Der Fall Edward Snowden kommt Michael Otto nicht gerade gelegen – gelinde gesagt. Handelskunden seien auf einmal viel sensibler für das, was nach dem Einkauf mit ihren Daten passiert, bemerkt der Aufsichtsratschef des Hamburger Versandriesen Otto. Und das muss ihm Sorgen machen: Denn wer heute im Netz oder im Laden etwas kauft, hinterlässt immer mehr Datenspuren – und die sind für den Handel Gold wert.
Sei's die Milch vom Discounter oder das Socken-Abo im Netz – was kauft der Kunde wann, wo und warum? Um ein Bild davon zu bekommen, fügen Handelsunternehmen ein Mosaik aus immer mehr Steinchen zusammen. Der Käufer liefert die Datenbausteine, oft ohne darüber nachzudenken: etwa mit seiner Kundenkarte am Ladentisch oder dem Warenkorb am Bildschirm.
„Big data“, das ist eines der Topthemen der Branche. Nach Schätzungen verfünfzigfacht sich die weltweite Datenmenge im Laufe dieses Jahrzehnts. Der Handel – offline wie online – sieht sich vor einer unerschöpflichen Goldmine.
Und jetzt das: „Big data droht zum Schimpfwort zu werden“, klagt Handelsschwergewicht Michael Otto. Schon drohe eine neue EU-Datenschutzrichtlinie, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Otto betont: „Big data hat nichts mit Geheimdiensten zu tun.“
Was will der Kunde?
Thomas Storck erklärt, worum es eigentlich geht. „Der Tante-Emma-Ladenbesitzer wusste immer, was seine Kunden wollten.“ Der Kaufhof-Geschäftsführer erinnert an die Zeit, als Einzelhändler ihre Käufer noch mit Namen kannten. „Er wusste auch, was der Kunde sich nicht leisten konnte, und er kaufte entsprechend ein. Das versuchen wir heute auf den Massenmarkt zu übertragen.“
Dafür kombinieren Computer alles, was über einen Käufer erfahrbar ist. Von welcher Seite aus gelangt er in den Online-Shop? Was sucht er dort? Was sieht er an? Was legt er in den Warenkorb, was wieder hinaus und was kauft er? Was kauft er anderswo? Hat die Firma das Datengold nicht selbst, kann sie es bei spezialisierten Händlern kaufen.
Der Handel erhofft sich vielerlei Nutzen: zielgerichtete Werbung für jeden Kunden, stets passende Lagerbestände, bessere Mitarbeiterplanung in den Filialen. Die Käufer müssten durch den Angebotsdschungel gelotst werden, sagt Otto. „Der Kunde freut sich, wenn er im Kaufentscheidungsprozess entlastet wird.“
Verbraucherschützer sehen es etwas anders. „Big data“ berge ein erhebliches Risiko für den Persönlichkeitsschutz, heißt es beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Meist wüssten die Nutzer nicht, dass ihre Daten weiterverwendet werden.
Auch die Bürger sind skeptisch. Zwar würden drei Viertel ihre persönlichen Daten hergeben, wenn sich damit medizinische Leistungen verbessern lassen, wie eine im Oktober veröffentlichte repräsentative Umfrage für die Telekom ergab. Aber nur jeder Zehnte würde seine Daten für personalisierte Werbung preisgeben.
EU wird aktiv
Die Zurückhaltung ist dem Europäischen Parlament nicht entgangen. Es will die in die Jahre gekommene EU-Datenschutzrichtlinie renovieren und erwägt, dass Internetsurfer künftig explizit auf die Weiterverwendung ihrer Daten hingewiesen werden müssen. Das soll Datenmissbrauch vorbeugen.
Von einer schärferen Richtlinie wollen Händler aber nichts wissen. Otto betont dagegen die hohe Verantwortung, die das Vertrauen der Kunden mit sich bringe. Kaufhof-Mann Storck warnt angesichts der Datenschutzdebatte: „Die Sensibilität wird massiv zunehmen.“ Um „big data“ zu retten, verlangt er eine Selbstverpflichtung des Handels für die Datensicherheit. „Ansonsten ist das ganze Thema on risk.“