"5G ist ein großes Experiment an der ganzen Bevölkerung", sagt Klaus Schuhmacher. Er ist Vorsitzender des Vereins "Weiße Zone Rhön", der sich in der hessischen und bayerischen Rhön für den Erhalt von Funklöchern einsetzt. An diesem Dienstag beginnt die Bundesnetzagentur die umstrittene Auktion für Frequenzblöcke, die für den neuen Mobilfunkstandard 5G genutzt werden sollen.
In der Versteigerung sehen Experten einen wichtigen Schritt, damit Deutschland beim Internet vorankommt. Schuhmacher und sein Verein sehen darin einen Versuch, der "allen Menschenrechtskonventionen widerspricht". Sein Verein fordert daher ein Moratorium: 5G soll nicht eingeführt werden, bis bewiesen ist, dass die Strahlung für Mensch und Umwelt unbedenklich ist. Eine entsprechende Online-Petition eines amerikanischen Aktivisten zum Stop des 5G-Ausbaus hatten bis zum ersten März knapp 54 000 Menschen aus 168 Ländern unterzeichnet.
Endgültige Ergebnisse erst in zehn Jahren?
Henning Hintzsche, Toxikologe der Uni Würzburg, hat selbst lange zur Mobilfunkstrahlung geforscht und gibt Schuhmacher in Teilen recht: "Die langfristigen Folgen, die die Mobilfunkstrahlung für den Menschen haben werden, sind immer noch offen", sagt er. Bisher gebe es lediglich epidemiologische Untersuchungen, in denen Personen über zehn oder 20 Jahre hinweg begleitet wurden.
Dazu gebe es Daten von Tieren, die ihr ganzes Leben lang Strahlung ausgesetzt waren – Daten, die nicht auf ein erhöhtes Krebsrisiko hindeuteten. "Aber es gibt eben Erkrankungen, die sich erst nach 30 oder 40 Jahren zeigen. Dazu gehören besonders Krebserkrankungen", so Hintzsche. So lange gibt es den Mobilfunk in dieser Art und Intensität noch nicht. "Diese Folgen werden wir also erst in zehn, vielleicht fünfzehn Jahren sehen können."
Wird es dann ein böses Erwachen geben? Nein, sagt Hintzsche."Aus meiner Sicht ergibt sich aus den Studien zu dem Thema ein klares Bild: Wenn die Grenzwerte eingehalten werden, gibt es keine gesundheitsschädlichen Effekte von Mobilfunkstrahlung." Auch die regulierenden Behörden wie das Bundesamt für Strahlenschutz kommunizieren das so.
Grenzwerte schützen vor Wärmewirkung
Diese Grenzwerte kommen nicht von ungefähr. Mobilfunkstrahlung verursacht bei einer hohen Intensität Wärme. "Diesen Effekt nutzt zum Beispiel die Mikrowelle, um unser Essen aufzuwärmen", erklärt Hintzsche. Die Grenzwerte sind so gewählt, dass die Temperatur nicht über einen bestimmten Punkt steigt, ab dem für den Menschen gesundheitsschädliche Effekte entstehen könnten. "Nur wenn man sich bis auf wenige Zentimeter einer Funk-Basisstation nähert, wird dieser Wert überschritten – deswegen ist der Bereich um einen Funkmasten abgesperrt", erklärt Hintzsche.
Im Gegensatz zu den Strahlen der bisherigen Mobilfunkstandards hat 5G eine kürzere Reichweite. Das könnte bedeuten, dass bald an vielen Stellen in den Städten sogenannte Kleinzellen installiert werden, um flächendeckenden Empfang zu gewährleisten – der Abstand zwischen Mensch und Antenne könnte also im Alltag auf wenige Zentimeter schrumpfen. Hintzsche hält das dennoch für unbedenklich: "So ein Konzept mit vielen kleineren Funkzellen gibt es zum Beispiel schon in der Schweiz: Die Zellen haben dann geringere Reichweite und Intensität." Er erwartet auch strengere Grenzwerte für diese Zellen.
Wissenschaft ist sich uneins
Was bleibt, ist die Diskussion um Strahlenbelastung, die nicht mit Wärme zusammenhängt. "Solche nicht-thermischen Effekte werden immer wieder verkündet, sind aber nicht nachgewiesen", sagt Hintzsche. Doch die Wissenschaft ist sich uneins. Es gibt auch Studien, die Schäden durch Strahlungen nachgewiesen haben wollen. "Das sind Einzelstimmen, die nicht repräsentativ sind für die Datenlage", sagt Hintzsche.
Es sei eben grundsätzlich so, dass Studien, die Effekte aufzeigen, mehr Aufmerksamkeit bekommen. "Das ist in gewisser Hinsicht nachvollziehbar, weil die Wissenschaft ja Erkenntnisse gewinnen will", so Hintzsche. Außerdem seien viele Studien bewusst oder unbewusst schlecht gemacht: "Das Thema erhält eben wenig finanzielle Förderung."
Die Uni Würzburg hat für Mobilfunkstudien mit der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig zusammengearbeitet. Die Wissenschaftler aus Würzburg konnten die Studie biologisch begleiten, die Experten der PTB haben sich um die technische Seite des Versuchs gekümmert. "So eine Kooperation ist aber aufwendig, deswegen werden viele Studien nur von Medizinern oder nur von Elektrotechnikern ausgeführt."
Studien mit Schwachstellen
Für Aufsehen sorgte erst im November 2018 eine Studie des National Toxicology Program (NTP) aus den USA: In einer Langzeitstudie an Ratten und Mäusen hatten die Wissenschaftler die Wirkung von 2G- und 3G-Strahlung getestet und erhöhtes Auftreten von Herztumoren und ein leicht erhöhtes Auftreten von Hirntumoren bei männlichen Ratten festgestellt.
Diese Studie sei gut gemacht, sagt Hintzsche, die Ergebnisse seien jedoch ein Beispiel dafür, wie Befunde überinterpretiert werden. "Man hat viele Frequenzen und Intensitäten getestet, und nur bei wenigen war die Tumorrate erhöht", erklärt er. Das sei ein Indiz dafür, dass es sich um zufällige Befunde handele, nicht um ein systematisch auftretendes Problem.
Entscheidend sei jedoch, dass die Forscher keine "Dosisabhängigkeit" nachweisen konnten. "Wenn eine kleine Dosis Strahlung eine kleine Erhöhung der Tumorrate ergibt, muss eine große Dosis eine große Erhöhung bewirken. Dann können wir davon ausgehen, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Strahlung und den Tumoren besteht."
Das Bundesamt für Strahlenschutz kritisiert außerdem, dass während der Studie der Befund nur bei männlichen, aber nicht bei weiblichen Ratten auftrat. Weiterhin wurde die Körpertemperatur der Tiere nicht erfasst – es sei deshalb nicht auszuschließen, dass die Tiere erkrankten, weil sie durch die Strahlung stärker aufgewärmt wurden, als es geltende Grenzwerte eigentlich erlauben.
Dem Strahlenschützer Klaus Schuhmacher macht vor allem die Tatsache Sorgen, dass bei Versuchen oft nur die Wirkung einer einzelnen Strahlenart oder sogar nur eine Frequenz getestet werden. "Dass wir im Alltag einer Summe von verschiedenen Strahlungen ausgesetzt sind, wird dabei nicht beachtet", sagt Schuhmacher.
Tatsächlich gibt es Studien, in denen ganze Ortschaften einige Zeit vor und nach der Errichtung eines Mobilfunkmasten untersucht wurden. Die Anwohner dieser Orte waren zwangsläufig auch anderen Arten von Strahlung ausgesetzt, diese Studien untersuchen also auch diese kombinierten Effekte. "Bei solchen Studien hat aber die Voreinstellung des Studienleiters und der Teilnehmer auch einen erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse", gibt Hintzsche zu bedenken. Auch unbewusst könnten also Forscher mit der Art ihrer Fragestellung beeinflussen, wie die Probanden antworten.
Mittlerweile gebe es auch Zellkulturstudien, die mehrere Arten von Strahlung kombinieren. "Eine Untersuchung, in der das ganze Spektrum von Stahlung getestet wird, ist mir aber nicht bekannt." Dass es eine kombinierte Wirkung von Mobilfunk- und anderer Strahlung gibt, kann er sich aber grundsätzlich vorstellen.
Sorge um kommende Generationen
Schuhmacher sorgt sich auch um Kinder und Schwangere: "Die ältere Generation ist noch unbelastet aufgewachsen, aber heute sind Kinder schon im Mutterleib Strahlung ausgesetzt", kritisiert er. Der Wissenschaftler Hintzsche sagt jedoch: Der Effekt von Mobilfunkstrahlung für Kinder sei mittlerweile gut erforscht. "Bei vielen Studien wurden Kinder früher aus ethischen oder praktischen Gründen außen vor gelassen. Mittlerweile gibt es aber Untersuchungen, die zeigen, dass Kinder nicht empfindlicher sind als Erwachsene."
Schuhmacher selbst ist kein Technikverweigerer, im Gegenteil: "In meinem Beruf als Grafikdesigner bin ich auf die Technik angewiesen und freue mich jeden Tag über meine schnelle Glasfaserverbindung." Der 63-Jährige aus Tann in der hessischen Rhön setzt sich dennoch gegen 5G ein, weil er an die kommenden Generationen denkt: "In zehn, zwanzig Jahren fragen mich meine Kinder vielleicht: Warum hast du nichts gegen diese Art der Umweltverschmutzung unternommen?"
Elektrosensibilität nicht wissenschaftlich nachgewiesen
Durch seine Vereinsarbeit hat er viele Menschen kennengelernt, die elektrosensibel sind, also von Strahlung krank werden. Ihre Symptome sind unterschiedlich: Blutdruckschwankungen, Schwindel, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen und vieles mehr. Der Verein "Weiße Zone" setzt sich für den Erhalt von "weißen Flecken" ein: Das sind Funklöcher, in denen sich Betroffene von der Strahlenbelastung erholen können. "Stellen Sie sich vor, Sie sind gegen Erdnüsse allergisch und werden gezwungen, jeden Tag eine Portion Erdnüsse zu essen. So wird die Situation für Elektrosensible, wenn 5G flächendeckend eingeführt wird", erklärt Schuhmacher.
Wissenschaftlich ist Elektrosensibilität allerdings nicht nachgewiesen. Das sagen sowohl das Bundesamt für Strahlenschutz als auch Henning Hintzsche. Dass die Symptome der Betroffenen real sind, nimmt er schon an. "Aber ich bezweifle stark, dass die Symptome von der Strahlenbelastung ausgelöst werden." Er vermutet dahinter den Nocebo-Effekt: Weil der Patient einen negativen Einfluss von einem Medikament oder eben der Mobilfunkstrahlung erwartet, entwickelt er reale Beschwerden.
Ab 2020 soll 5G in Deutschland verfügbar sein. Wann Privatpersonen den Standard nutzen können und ob 5G dann wirklich schon flächendeckend verfügbar sein wird, ist noch unklar.