zurück
Berlin
Geschmäht, gelobt, gebraucht
Nur wenige Branchen haben einen schlechteren Ruf als die Zeitarbeit. Ihr Image ist tiefschwarz, die Wirklichkeit grau. Für Flüchtlinge ist sie eine Chance auf Arbeit.
Zeitarbeit ist kein Massenphänomen. Von den 45 Millionen Menschen in Lohn und Brot waren im vergangenen Jahr eine Million Leiharbeiter.
Foto: Frank Rumpenhorst, dpa | Zeitarbeit ist kein Massenphänomen. Von den 45 Millionen Menschen in Lohn und Brot waren im vergangenen Jahr eine Million Leiharbeiter.
Christian Grimm
Christian Grimm
 |  aktualisiert: 03.12.2019 11:46 Uhr

„Teile und herrsche“ ist eine alte Methode in der Politik. Teile Deine Gegner in verschiedene Gruppen und verhindere, dass sie eine gemeinsame Stimme finden. Bereits die Römer verfuhren danach. Die Leiharbeit, sagen ihre Kritiker, sei „teile und herrsche“ im Betrieb. Aber was passiert eigentlich, wenn die Chefs gar nicht genügend Leute finden, die sie gegeneinander ausspielen können?

Das Bild der Leih- oder Zeitarbeit hierzulande ist ein düsteres, eigentlich ist es rabenschwarz. Das liegt daran, dass die Branche immer wieder von Skandalen brutaler Ausbeutung gebeutelt wird und es den Zeitarbeitsfirmen nicht gelingt, schwarze Schafe auszusortieren. Geprägt ist das Image auch durch die Zeit der Massenarbeitslosigkeit in den 2000er Jahren und die schmerzhaften Arbeitsmarktreformen unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD). Leiharbeit und Hartz-IV waren, so wirkte es damals, Instrumente, um die Arbeiter klein zu halten.

Zeitarbeit ist kein Massenphänomen

Die Situation heute ist vielschichtiger, wahrscheinlich war sie es schon immer. Die Empörung über die Zeitarbeit überdeckt, dass sie kein Massenphänomen ist. Von den 45 Millionen Menschen in Lohn und Brot waren im vergangenen Jahr eine Million Leiharbeiter, wie die Bundesagentur für Arbeit errechnet hat. Das entspricht einem Anteil von knapp über zwei Prozent. Die Statistiker der Behörde haben außerdem gezählt, dass mehr als jeder zweite Zeitarbeiter einfache Helfertätigkeiten erledigt. Die Bezahlung ist nicht gut. Verdient der durchschnittliche Beschäftigte in Deutschland jeden Monat 3300 Euro brutto, bekommen Zeitarbeiter nur 1900 Euro. Es sind überwiegend Männer, die sich das antun. Sie besetzen 70 Prozent der Leiharbeiterstellen.

Die Gewerkschaften finden, dass es diese Arbeiter zweiter Klasse nicht geben darf. „Leiharbeit ist von einem Ausnahmeinstrument immer mehr zur Normalität geworden. So ist es nicht gedacht, denn Leiharbeit ist immer prekär“, sagt Annelie Buntenbach, Mitglied im Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) unserer Redaktion. Der DGB verlangt Änderungen bei den Regeln zur Zeitarbeit, um sie für Unternehmen unattraktiver zu machen. Geltende Rechtslage ist, dass niemand länger als 18 Monate in einem Betrieb als Leiharbeiter beschäftigt werden darf, außer ein Tarifvertrag sieht anderes vor. Danach kann der Drehtüreffekt einsetzen. Entweder kommt ein anderer Leiharbeiter oder – nach einer Karenzzeit von drei Monaten – der bisherige zur zweiten Runde. „So umgehen die Arbeitgeber die Übernahme in eine Dauerbeschäftigung“, beklagt Buntenbach. Die maximale Frist von 18 Monaten soll deshalb nicht für Zeitarbeiter gelten, sondern für einzelne Stellen im Betrieb.

Evaluierung der Branche

Ändern müsste das Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Doch der SPD-Mann hat mit der Grundrente alle Hände voll zu tun und der Koalitionsvertrag lässt ihm ausdrücklich Zeit bis nächstes Jahr. Dann soll eine Evaluierung der Zeitarbeitsbranche zeigen, wo die Probleme liegen. Weil wegen der Grundrente mit CDU und CSU der Frieden in der Koalition ohnehin schwer angespannt ist, will Heil derzeit keine zweite Front aufmachen und hält sich trotz Nachfrage bedeckt.

Hilfreich ist daher ein Blick auf die Pläne seiner Partei. Die Genossen sprechen sich dafür aus, dass Leiharbeiter in Zukunft vom ersten Tag genauso bezahlt werden müssen wie die fest angestellten Kollegen und nicht erst nach neun Monaten. Und zwar mit allem, was dazugehört: Urlaubsgeld, Sonderzahlungen, Zulagen, Zuschläge und vermögenswirksame Leistungen. Die SPD will den Verleihfirmen außerdem verbieten, Arbeitnehmer nur für einen Auftrag einzustellen und anschließend wieder zu entlassen. Die Zeitarbeitsunternehmen fürchten, dass ihnen schon wieder die Daumenschrauben angezogen werden. „Keine andere Branche ist derart häufig von Gesetzesnovellen betroffen. Die letzte Reform trat im April 2017 in Kraft“, sagte der Präsident des Bundesarbeitgeberverbands der Personaldienstleister, Sebastian Lazay, unserer Redaktion. Derzeit haben die Verleiher schon mit der Konjunkturflaute zu tun. Leiharbeiter müssen zuerst gehen, wenn das Geschäft nicht mehr brummt. Die Zahlen der Arbeitsagentur zeigen einen Rückgang von über zehn Prozent bei den Zeitarbeitern zwischen Frühjahr 2018 und Frühjahr 2019. Aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor.

In angespannten Berufen wie der Pflege, wo trotz Konjunkturflaute, absoluter Mangel herrscht, geht ohne die ausgeliehenen Schwestern und Pfleger nicht viel. Hier bieten Zeitarbeitsfirmen den Vorteil, dass sie zum Beispiel Personal gezielt für Tagschichten oder Nachtdienste vermitteln. Die Festangestellten allerdings müssen dann mehr in Randdiensten anpacken. Auch für Flüchtlinge und Menschen ohne Abschluss bleibt die Zeitarbeit ein Tor auf den Arbeitsmarkt. Die Arbeitsagentur spricht von einer „guten Einstiegsmöglichkeit“

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Christian Grimm
Arbeitgeber
Arbeitsagenturen
Arbeitsmarktreformen
Bundesagentur für Arbeit
Bundesminister für Arbeit und Soziales
CDU
CSU
Deutscher Gewerkschaftsbund
Gerhard Schröder
Gewerkschaften
Hartz-IV
Hubertus Heil
Leiharbeit
Personaldienstleister
SPD
Zeitarbeiter
Zeitarbeitsbranche
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen