Als Betriebsratschef stand Klaus Volkert 15 Jahre lang wie kein anderer für das „System VW“: In enger Abstimmung mit dem Vorstand sah sich der gelernte Schmied auf Augenhöhe mit der Chefetage. Am Ende parkte Volkert wie selbstverständlich neben den Vorstandsbossen vor dem Wolfsburger Verwaltungshochhaus. Wenn er wollte, zogen Zehntausende Mitarbeiter zum Protest aufs Werksgelände. Doch die Macht dafür hatte Volkert von der Belegschaft nur geliehen. Und zum Schluss missbrauchte er sie schamlos – unterstützt aus der Chefetage.
Die VW-Affäre um geheime Boni, Schmiergelder und Lustreisen auf Firmenkosten samt Bordellorgien erschütterte Mitte 2005 nicht nur den Autobauer, sondern mit dem VW-Land Niedersachsen auch die Republik. Der Skandal zog den Mitbestimmungsgedanken als Errungenschaft der Gewerkschaftsbewegung in den Dreck und kratzte heftig am Image von Volkswagen.
Volkert selber kassierte damals fast zwei Millionen Euro an Boni von Personalvorstand Peter Hartz, der einräumte, Volkert „gekauft“ zu haben. Volkerts Geliebte aus Brasilien bekam zudem rund 400 000 Euro zugeschanzt. Während Hartz mit Bewährung und Geldstrafe davonkam, erhielt Volkert zwei Jahre und neun Monate Haft, aus der er ein Jahr vor Ablauf entlassen wurde. VW-Personalmanager Klaus-Joachim Gebauer, der Luxushotels, Partys und Nachtklubs organisierte, bekam wie Hartz Bewährung. „Gebauer, wo bleiben die Weiber?“, soll damals im System VW oft ein Ausruf gewesen sein. Die Affäre hallte lange nach. In jenen Zeiten kriselte es. Von 89 Milliarden Euro Umsatz blieben 2004 nur 700 Millionen Euro Überschuss. Das Sparprogramm „ForMotion“ griff, Volkswagen galt vor zehn Jahren noch als „kranker Mann der Automobilindustrie“, sagt Branchenkenner Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.
Die große Bedeutung des VW-Betriebsrates war historisch gewachsen. Die Keimzelle des Konzerns in Wolfsburg entstand unter den Nazis mit enteignetem Gewerkschaftsvermögen. Daher sah die Arbeitnehmerseite in VW stets einen Sonderfall. „Wer dies unterschlägt oder verkennt, verkennt den Charakter des Werkes, seine Identität und seine Erfolgsfaktoren“, sagte der frühere IG-Metall-Chef Berthold Huber. Das VW-Gesetz und die VW-Satzung räumen der Arbeitnehmerseite eine für börsennotierte Konzerne einmalige Gestaltungsmacht ein. Ohne ihre Zustimmung gibt es zum Beispiel kein neues Werk oder Verlagerungen. Entsprechend viel hatte die Konzernführung von einem Betriebsrat, der bei Laune gehalten wurde. Branchenexperte Bratzel ist überzeugt, dass die Arbeitnehmerseite von dem Schock der Affäre gelernt hat. „Die Prozesse sind jetzt transparenter und offener“, sagt er. In den vergangenen zehn Jahren sei die positive Dimension des Machtfaktors Betriebsrat zum Vorschein gekommen. „Es wurde gelernt, dass die Arbeitnehmerinteressen mittel- und langfristig nur gewahrt werden können, wenn der wirtschaftliche Erfolg des Gesamtunternehmens gewährleistet ist“, sagt Bratzel.
In der auf wenige Top-Entscheider zugeschnittenen VW-Führungsstruktur habe der Konzernbetriebsrat als unabhängige Kontrollinstanz wichtige Akzente gesetzt. So werde das Gremium seinem wahren Auftrag, dem der Korrektivfunktion, wieder gerecht.
Analyst Frank Schwope von der NordLB rechnet vor, dass sich der Absatz des Konzerns von damals auf heute verdoppelt habe. Die Aufarbeitung der Probleme habe VW nach vorne gebracht. „Skandale und Affären lassen sich in Großorganisationen selten vermeiden, wie aktuelle Beispiele beim ADAC oder der Fifa belegen“. In der Tat ist VW nicht allein mit einem Skandal. So schickte der Versicherer Ergo 2007 rund 100 Mitarbeiter nach Budapest, um dort eine Therme in ein Freiluftbordell zu verwandelten – auf Firmenkosten. Siemens kultivierte ein System aus Schwarzen Kassen, und auch das Image des VW-Konkurrenten Daimler litt, als er 2010 einräumen musste, über Jahre in zahlreichen Ländern Regierungsbeamte bestochen zu haben, um an Aufträge zu kommen.