Kaum ein gutes Haar lässt mancher Nobelpreisträger am Krisenmanagement der Politik. Zum Beispiel der frühere Weltbank-Chefökonom Joseph Stiglitz. Er hält den strikten EU-Sparkurs in der Schuldenkrise angesichts der schon wieder einbrechenden Konjunktur in Europa für gescheitert. Oder der letztjährige Preisträger Lars Peter Hansen, der das Krisenmanagement in der Eurozone für „keine gute Idee“ hält. Denn damit würden ausgerechnet diejenigen mit Strafen bedroht, die ohnehin schon am Boden lägen, sagt er vor wenigen Tagen am Rande eines viertägigen Treffens von Ökonomie-Preisträgern und 460 Nachwuchsökonomen in Lindau am Bodensee. Aber welcher Kurs wäre dann richtig? Den Finger in diese Wunde hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel gleich bei der Eröffnung des Wissenschaftlertreffens gelegt. Vor dem illustren Publikum von 17 Preisträgern und rund 460 Nachwuchsökonomen ging sie mit der Expertise seitens der Wirtschaftsforscher hart ins Gericht. „Nun kommen wir alle aus Jahren, in denen man nicht immer den Eindruck hat, dass die Wirtschaftswissenschaften schon alles wissen, was auf uns zukommt“, sagte die Kanzlerin. „Man kann natürlich jetzt fragen, woran das gelegen hat, dass manches, was wir angenommen haben ..., warum das so schwer neben der Realität lag, die sich dann eingestellt hat.“ Ob die zugrunde gelegten Theorien nicht stimmten? Oder „Umschläge von Quantitäten in völlig neue Qualitäten“ nicht vorausgesehen wurden? Hintergrund der Kritik: Die Finanzkrise seit 2007, der in Europa von 2010 an eine handfeste Staatsschuldenkrise folgte, die das noch junge Eurosystem fast in den Kollaps getrieben hätte. Ein Rückblick: Die Krise begann scheinbar harmlos – 2007 mit einem rapiden Verfall völlig überhöhter Immobilienpreise in den USA. Als ein Jahr später die US-Investmentbank Lehman pleiteging, war das Vertrauen selbst der Banken untereinander dahin. Der Geldkreislauf in der gesamten Finanzwelt versiegte. Am Ende stand 2009 die schlimmste globale Rezession überhaupt, von der sich etliche Volkswirtschaften bis heute noch nicht vollständig erholt haben. Das kostete Millionen Beschäftigte den Arbeitsplatz – und die Steuerzahler weltweit Milliarden und Abermilliarden für die Stützung des Finanzsystems und strauchelnder Staaten. Hansen, der in Chicago lehrt, hält Merkels Kritik entgegen: „Fünf Ökonomen mit fünf verschiedenen Modellen geben fünf verschiedene Ratschläge.“ Er verwendet häufig das Wort „Unsicherheit“: „Da ist immer eine bestimmte Unsicherheit – wir können zwar so tun, als ob es sie nicht gibt, aber sie ist nun mal da.“ Schließlich arbeite die Ökonomie mit theoretischen Modellen, die stets viele Schätzwerte enthielten – und dann „so gut wir es können“ überprüft würden, wie der US-Ökonom Peter Diamond betont. „Manchmal vergisst man, dass die Modelle abstrakte Bilder einer komplexen Welt sind und nicht die Realität“, ergänzt sein Kollege, der Harvard-Wissenschaftler Robert C. Merton. Und der Princeton-Ökonom Christopher Sims entgegnet der Kanzlerin: „Das ist eine oft gehörte Klage von Politikern. Sie mögen es nicht, wenn wir sagen, die Unsicherheit sei wirklich groß.“ Die Wissenschaftler verteidigen sich gegen den Vorwurf von Fehleinschätzungen im Zusammenhang mit der Finanzkrise. „Es ist nicht der Fall, dass irgendjemand wusste, was zu tun ist“, sagt Diamond, der am berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT) nahe Boston gelehrt hat.
Auch die US-Notenbank habe natürlich versucht herausfinden, was zu tun sei – „sie haben es nicht geschafft“. Selbst heute ist die Wissenschaft nach Hansens Einschätzung von einem umfassenden Verständnis der Finanzkrise noch weit entfernt. Das könne eher zehn als drei oder vier Jahre dauern - weil es sich um ein „entsetzlich kompliziertes Problem“ handele.