Der Markt für Fernbuslinien ist seit Jahresbeginn geöffnet – nun will die Branche neue Zielgruppen gewinnen. Insbesondere mehr Individualreisende sollen nach Wunsch des Internationalen Bustourismus-Verbands für eine Reise innerhalb Deutschlands vom eigenen Auto auf den Bus umsteigen. Die Marktöffnung berge erhebliches Potenzial für die Reisebusunternehmen, unterstrich der Internationale Bustourismus-Verband (IBV) jetzt bei einem Branchentreffen.
Zwar ist mit Wegfall der Schutzklausel für die Schiene seit Jahresanfang die Zahl der Fernbuslinien nicht sprunghaft in die Höhe geschnellt, zahlreiche Anträge für Buslinien seien aber gestellt. „Ich bin sicher, dass wir in Kürze eine Vielzahl von Anbietern haben werden“, sagte IBV-Präsident Richard Eberhardt. Eine Chance für erfolgreiche Fernbuslinien sieht er insbesondere bei Ost-West-Verbindungen, die über die Schiene nicht gut zu erreichen seien.
Der Reisebus ist bisher insbesondere für Gruppen von Jugendlichen und Senioren das Verkehrsmittel der Wahl. 59 Prozent aller Busreisenden sind derzeit über 60 Jahre alt, junge Reisende stellen mit 17 Prozent das zweite wichtige Segment dar. Um mehr Fahrgäste zwischen 30 und 60 Jahren anzusprechen, will die Bustourismus-Branche ihr Image aufpolieren. „Dem Bus fehlt ein sexy Image“, sagte Eberhardt.
Die Branche stecke in einem Dilemma: Der Bus werde zwar als preiswertes und umweltfreundliches Verkehrsmittel wahrgenommen, gelte aber als altmodisch. „Und häufig weckt der Reisebus beim Verbraucher negative Erinnerungen an die Schulzeit“, so Eberhardt. Mit dem Slogan „Bus-Luxus für alle“ sollen künftig die meist mittelständischen Busunternehmen in Deutschland gemeinsam auftreten. Wilhelm Schmidt aus dem IBV-Vorstand sieht die Unternehmer selbst in der Pflicht, Busse und ihre Wahrnehmung in der Bevölkerung zu verbessern: „Das Erscheinungsbild vieler Busse ist grottenschlecht.“
Am 1. Januar 2013 endete die historische Beschränkung, die Busse auf den Autobahnen seit mehr als 70 Jahren ausbremsen. Erste Anbieter locken schon mit Schnäppchentickets. Wie schnell sich ein Massenmarkt entwickeln kann, muss sich zeigen. Die aus den 1930er Jahren stammende Schutzklausel für die Schiene fällt jetzt weg. Deswegen wurden Fernbuslinien bisher in der Regel nicht genehmigt, wenn es parallel eine Zugverbindung gibt. Ein gewisser Rahmen bleibt aber. Beantragen müssen Busfirmen Linien weiterhin, und für Haltestellen gelten 50 Kilometer Mindestabstand.
Das soll verhindern, dass Fernbusse insgeheim lukrative Strecken im Nahverkehr ins Visier nehmen, der mit Steuergeld finanziert wird. Pünktlich zum 1. Januar haben sich junge Start-up-Firmen mit sprechenden Namen wie „Deinbus“ oder „MeinFernbus“ in Stellung gebracht. Sie haben keine eigene Flotte, sondern vermarkten Bus-Tickets per Internet, die Fahrzeuge stammen von mittelständischen Kooperationspartnern. Und auch etablierte Anbieter sind startklar. So bietet die Deutsche Touring auf Fahrten ins Ausland innerdeutsche Tickets an.
Für einige Verwunderung in der Branche sorgten die Post und der Autofahrerclub ADAC mit der Ankündigung, den Aufbau eines eigenen Fernbusnetzes bis 2014 prüfen zu wollen. Nicht bange wird dabei den Verantwortlichen von MeinFernbus, wie Sprecher Florian Rabe sagt: „Der Markt ist groß genug für drei bis vier Unternehmen. Zu denen werden wir gehören, auch weil wir 2013 zum Ausbau nutzen.“ Bislang ist der Markt ein zartes Pflänzchen, nachdem historisch nur für Berlin eine Ausnahme vom Fernbus-Verbot galt – zu Zeiten der deutschen Teilung sollte der Westteil gut erreichbar sein. Zuletzt hatten Fernbusse gerade einmal zwei Millionen Inlandskunden im Jahr, die Fernzüge der Deutschen Bahn aber 125 Millionen. Die Verbraucherzentralen erwarten dennoch heilsamen Druck auf das Staatsunternehmen.
Das müsse sich dem Wettbewerb stellen und auch seine Preisgestaltung überdenken, sagt Verbraucher-Vorstand Gerd Billen. „Wie jetzt gerade wieder die Preise zu erhöhen nach dem Motto ,Alles wird teurer', ist keine vielversprechende Strategie.“ Der bundeseigene Transportriese – mit 14 000 Bussen und 30 Fernlinien zugleich größter Busbetreiber der Republik – will vorerst in Wartestellung bleiben. Die Bahn taxiert das Umsatzpotenzial des Fernbuslinienmarkts auf 150 bis 300 Millionen Euro im Jahr – ihre Fernzüge kommen auf 3,8 Milliarden Euro.
Ein großes Fragezeichen steht indes hinter geeigneten Haltepunkten und Busbahnhöfen für die Neulinge. Frankfurt am Main gilt bereits als Nadelöhr, wie es bei MeinFernbus heißt. Neue Busse müssen am Hauptbahnhof um die wenigen Stellplätze mit Charter- und Linienbussen nach Osteuropa konkurrieren. In Stuttgart weichen Busse auf S-Bahn-Stationen oder den Flughafen aus. Vorbildlich sei München, sagt Deinbus-Gründer Janisch: „Dort liegt der Busbahnhof zentral, alles ist überdacht, es gibt Geschäfte und Büros. So sollte es sein.“