Der von der Wirtschaft befürchtete Mangel an Fachkräften wird einer Studie zufolge weniger dramatisch ausfallen als gedacht. So ließen etwa eine stärkere Zuwanderung, bessere Ausbildung und das schwächere Wirtschaftswachstum die erwartete Lücke kleiner werden, heißt es in der am Montag veröffentlichten Studie der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) für ganz Deutschland.
„Dieser Befund darf uns dennoch nicht dazu veranlassen, die Bemühungen zur Fachkräftesicherung ruhen zu lassen“, so vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. „Wir haben aktuell ein erhebliches Fachkräftedefizit. Die Studie zeigt, dass trotz aller Gegenmaßnahmen das Defizit noch steigen wird.“
Der vom Prognos-Institut erstellten Untersuchung zufolge werden bundesweit bis 2020 rund 1,7 Millionen Fachkräfte fehlen, bis 2035 rund vier Millionen. Die Vorgängerstudie aus dem Jahr 2008 hatte bis 2015 eine Lücke von drei Millionen und bis 2030 von fünf Millionen vorhergesagt. „Die letzte Erhebung wurde im Zeichen des wirtschaftlichen Aufschwungs erhoben. Es gab keine Staatsschuldenkrise“, sagte vbw-Präsident Randolf Rodenstock. Nun machten sich die deutlich trüberen Aussichten deutlich bemerkbar.
Daneben zahlten sich die Anstrengungen von Wirtschaft und Politik aus. Vor allem vielen Firmen sei zu danken, sagte Rodenstock. „Sie haben über Bedarf ausgebildet. Sie haben Fachkräfte in der Krise gehalten, obwohl der Auftragsbestand dies nicht gerechtfertigt hat.“ Zudem sei die Zahl der Schulabbrecher gesunken und es gebe mehr Zuwanderung. All das habe die Lage im Vergleich zu 2008 verändert. Ein Grund, sich zurückzulehnen, sei die Entwicklung aber nicht.
„Die Lücke ist weniger groß, aber immer noch beachtlich.“ Sie bremse die Konjunktur, sagte Rodenstock und erneuerte Forderungen nach besserer Arbeitsvermittlung, Fortbildung und die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. „Und wir müssen gerade Mädchen und Frauen früher und mehr für technische Berufe begeistern“, sagte Rodenstock. Auch in der Bildung müsse mehr getan werden. Außerdem brauche es weiter eine konstante Zuwanderung aus dem Ausland.
Arbeitsmarktforscher sehen derzeit keinen flächendeckenden Fachkräftemangel. Engpässe seien bislang auf bestimmte Regionen und Berufe begrenzt, betonte der Fachkräfteexperte beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Alexander Kubis, am Montag. Probleme bei der Besetzung von freien Stellen gebe es vor allem in Ballungsräumen wie München. Gesucht würden derzeit vor allem Fachleute in technisch-naturwissenschaftlichen Berufen sowie Ärzte und Krankenpfleger.
Langfristig rechnet allerdings auch das IAB wegen der alternden und schrumpfenden Bevölkerung mit einem Fachkräfte-Engpass. Ein gravierender Mangel während des Übergangs lasse sich aber im Schulterschluss mit allen Beteiligten abfedern, meint IAB-Chef Joachim Möller in einem am Montag veröffentlichten Zeitschriftenbeitrag. Unternehmen müssten dazu künftig mehr Frauen, Ältere, Migranten und Arbeitslose beschäftigen. Im Kampf um die besten Köpfe kämen Unternehmen künftig auch nicht umhin, ihre Mitarbeiter besser zu bezahlen.
Junge Frauen mit schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Obwohl sie besser ausgebildet sind als ihre männlichen Kollegen, haben junge Frauen auf dem Arbeitsmarkt aber trotzdem die schlechteren Karten. Das ist das Fazit einer am Montag veröffentlichten Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Um die Ungleichbehandlung zu ändern, rät sie in Deutschland zu einem hochwertigen Betreuungsangebot für Kinder, zur Abschaffung des Ehegatten-Splittings und des gerade erst beschlossenen Betreuungsgeldes. 27 Prozent der Frauen in Deutschland zwischen 25 und 34 Jahren haben einen Abschluss von einer Uni, einer Fachschule oder einen Meisterbrief. Bei den gleichaltrigen Männern sind es nur 25 Prozent. „Zwar sind Frauen heute in vielen Ländern häufiger berufstätig als noch vor 20 Jahren, aber in Deutschland, Österreich und der Schweiz arbeiten sie überproportional oft in Teilzeitanstellung“, heißt es. „Das hat negative Auswirkungen auf ihr Gehalt und auf ihre Karriere.“ Frauen mit einem mittleren Einkommen verdienen im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer, Freiberuflerinnen sogar 63 Prozent weniger – mit Folgen für die Rente. Dabei liegt der Anteil der erwerbstätigen Frauen in Deutschland mit 68 Prozent über dem OECD-Durchschnitt von 60 Prozent. Viele Mütter würden aber wegen mangelnder Möglichkeiten zur Kinderbetreuung zu Teilzeit gezwungen. TEXT: rtr