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Würzburg
Experte: Was vom Glasgow-Klimagipfel in Mainfranken ankommt
Viel Tamtam hat es um den Weltklimagipfel in Glasgow gegeben. Der Würzburger Umweltexperte Stefan Müssig erklärt, mit was die regionale Wirtschaft nun zu rechnen hat.
Die Delegierten sind abgereist, die Bühne ist leer: Nachdem der UN-Klimagipfel am Wochenende in Glasgow zu Ende ging, stellt sich die Frage, wie die mainfränkische Wirtschaft die Beschlüsse spüren wird.
Foto: Christoph Soeder, dpa | Die Delegierten sind abgereist, die Bühne ist leer: Nachdem der UN-Klimagipfel am Wochenende in Glasgow zu Ende ging, stellt sich die Frage, wie die mainfränkische Wirtschaft die Beschlüsse spüren wird.
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:57 Uhr

Die Scheinwerfer sind aus, die Scharen von Teilnehmenden aus 200 Ländern abgereist: Der UN-Klimagipfel im schottischen Glasgow ist Geschichte. Und nun? Kritische Stimmen sagen, die zwei Wochen seien ein Flop gewesen. Egal, wie man das sieht: Wie so oft bei politischen Entschlüssen auf höchster Ebene stellt sich auch hier die Frage, was davon an der Basis ankommt.

Direkt wenig, indirekt viel: Das behauptet der Würzburger Unternehmensberater Stefan Müssig. Der 59-Jährige ist seit 2002 Vorsitzender des Förderkreises Umweltschutz in Unterfranken (FUU), dessen 80 Mitglieder zum größten Teil mittelständische Unternehmen aus der Region sind. Müssig leitet zudem den Bundesverband für Umweltberatung und ist Geschäftsführer der Würzburger Umwelt- und Qualitätsmanagement Consulting GmbH.

Der gelernte Chemiker skizziert im Interview mit dieser Redaktion, auf was Unternehmen bei dem so viel zitierten Thema Nachhaltigkeit achten sollten – mit oder ohne Glasgow. Und Müssig geht davon aus, dass der Einsatz für Umwelt und Klima die Preise steigen lässt – allerdings nur für eine überschaubare Zeit.

Sieht im Klimagipfel von Glasgow einen wichtigen Impulsgeber: Stefan Müssig vom Förderkreis Umweltschutz in Unterfranken.
Foto: Norbert Schmelz | Sieht im Klimagipfel von Glasgow einen wichtigen Impulsgeber: Stefan Müssig vom Förderkreis Umweltschutz in Unterfranken.
Frage: Was kommt auf die mainfränkische Wirtschaft aufgrund von Glasgow zu?

Stefan Müssig: Ich glaube nicht, dass Glasgow für die Unternehmen schon konkrete Auswirkungen haben wird. Die Unternehmen müssen vielmehr wissen, was die EU vorhat. Denn die EU-Kommission ist die eigentliche Taktgeberin. Da ist zum Beispiel das Paket "Fit for 55" mit der Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 55 Prozent bis 2030.

Schön und gut. Aber ein typischer Mittelständler in Mainfranken hat zurzeit volle Auftragsbücher und mit Materialmangel, Corona-Regeln und anderen Herausforderungen des Alltags zu kämpfen. Wo bleibt da der Kopf dafür, sich jetzt auch noch mit Glasgow und Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen?

Müssig: Vielleicht nicht mit dieser globalen Sicht der Dinge. Aber ein Unternehmer sollte auf jeden Fall darauf achten, was in Brüssel an Richtlinien beschlossen wird. Denn eine EU-Richtlinie wird nach zwei Jahren deutsches Recht. Wenn ein Unternehmer das nicht weiß, könnte er in ein schwieriges Fahrwasser geraten.

"Gefühlt sind es 25 Prozent aller Unternehmen, die Nachhaltigkeit ernst nehmen und versuchen, sich da neu auszurichten."
Umweltexperte Stefan Müssig über die Quote in Mainfranken
Wenn es um Nachhaltigkeit geht, ist mitunter zu beobachten, dass Unternehmen demonstrativ tätig werden. Da wird dann die Fotovoltaikanlage auf dem Dach hervorgehoben oder die konsequente Mülltrennung. Klingt dann oft nach Augenwischerei. Wissen die Firmen in der Region überhaupt in nennenswertem Maße, was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet?

Müssig: Teils, teils. Es gibt Unternehmer, die schon sehr weit denken und bei denen man das Gefühl hat: Das wird gemanagt. Ich spreche hier von Umweltmanagementsystemen wie EMAS oder EMASplus. Damit dringt dieses Thema in alle Prozesse des Unternehmens ein. Das ist der Unterschied zu jenen Betrieben, die etwas beispielhaft machen wie jene Fotovoltaikanlage auf dem Dach. Das ist dann eine Maßnahme, die groß propagiert und vermarktet wird. Nachhaltigkeit bedeutet aber, dass man alle Geschäftsmodelle und Prozesse durchleuchtet mit Fragen wie: Welche sozialen und ökologischen Auswirkungen hat mein Geschäftsmodell? Das nennt man Umfeld- und Stakeholder-Analyse. Wer das nicht hat, macht nichts Durchdachtes.

Wie viele Unternehmen in Mainfranken machen eher Greenwashing, tun also nur so, als ob sie ökologisch seien?

Müssig: Das ist schwer zu sagen. Ich will da niemandem auf die Füße treten. Ich kann es umgekehrt sagen: Die Zahl der Unternehmen, die ein Umweltmanagementsystem – am besten noch ein zertifiziertes – haben, liegt bei unter einem Prozent. In Deutschland gibt es 3,3 Millionen Unternehmen jeglicher Art. Man weiß, dass ungefähr 10 000 von ihnen zum Beispiel eine Umweltmanagement-Zertifizierung besitzen. Das gilt umgerechnet auch für Mainfranken.

Das klingt ernüchternd.

Müssig: Immerhin hat unser Förderkreis einige Projekte vorangebracht. Da sind in den vergangenen Jahren einige Unternehmen dazugekommen, die das Thema sehr tiefgründig und seriös angehen. Deswegen denke ich, dass Mainfranken auf den Bund hochgerechnet dann doch die Nase vorn hat. Hinzu kommt noch eine gewisse Dunkelziffer. Das sind Firmen, die Nachhaltigkeit ohne Zertifizierung betreiben. Gefühlt sind es 25 Prozent aller Unternehmen, die Nachhaltigkeit ernst nehmen und versuchen, sich da neu auszurichten.

Nicht nur Kohlendioxid, sondern auch das zum Beispiel von Kühen ausgeschiedene Gas Methan wird für den Klimawandel verantwortlich gemacht. Das Bild entstand 2019 in Schleswig-Holstein und zeigt Kühe mit Apparaten, die den Methan-Ausstoß  messen.
Foto: Carsten Rehder, dpa | Nicht nur Kohlendioxid, sondern auch das zum Beispiel von Kühen ausgeschiedene Gas Methan wird für den Klimawandel verantwortlich gemacht.
Und was muss geschehen, damit die restlichen 75 Prozent auch was tun?

Müssig: Es gibt viele Unternehmen, die nicht inhabergeführt sind. Das sind oft klassische Kapitalgesellschaften. Die Gewinnmaximierung als Anreiz steht hier im Weg. Manche dieser Unternehmen sind zumindest in Bereichen ökologisch ausgerichtet – bei der Energieeffizienz zum Beispiel. Aber im Kerngeschäft, also womit das Geld verdient wird, da tut man sich sehr schwer, Veränderungen herbeizuführen.

Woran erkennt man als Kundin oder Kunde, dass es ein Unternehmen ernst meint mit der Nachhaltigkeit?

Müssig: Es gibt zwei Möglichkeiten. Erstens, ein Umweltmanagement- oder Energiemanagement-Zertifikat wie EMAS, ISO 14001 oder 50001. Zweitens gibt es Unternehmen, die Umwelt- oder Nachhaltigkeitsberichte herausgeben. Dabei ist wichtig, dass diese Berichte von einer unabhängigen, dritten Instanz geprüft wurden.

So etwas liest sich die Kundschaft ja wohl kaum durch. Sollte sie dennoch zumindest danach fragen?

Müssig: Ja. Der DNK, also der Deutsche Nachhaltigkeitskodex, ist hier ein Berichtsstandard, ein erster seriöser Einstieg.

"Am Anfang vielleicht fünf bis zehn Prozent teurer."
Stefan Müssig über den Preisanstieg von Produkten nachhaltiger Unternehmen
Wird Nachhaltigkeit die Produkte der Unternehmen teurer machen?

Müssig: Das ist indifferent. Es gibt Bereiche, in denen man ein nachhaltiges Produkt zu einem ähnlichen Preis erhält wie ein noch nicht nachhaltiges Markenprodukt. Natürlich preisen sich die Umweltfolgen bei den nachhaltigen Produkten ein. Die sind am Anfang vielleicht fünf bis zehn Prozent teurer. Doch wenn die Nachfrage nach ihnen steigt, macht sich das für die Verbraucher positiv bemerkbar.

Nochmal zur Weltklimakonferenz in Glasgow. Kritiker bezeichnen sie als Flop. Wie sehen Sie das?

Müssig: Ich sehe es nicht ganz so massiv als Flop. Es gab ja immerhin von vielen Staaten das Bekenntnis, aus der fossilen Energie auszusteigen. Das ist als sehr positiv zu bewerten. Was im Hintergrund auch ganz gut lief, ist, dass man Regeln gefunden hat für die Treibhausgasbilanzierung und -berechnung. Dieses Regelwerk gab es in Paris noch nicht. Es bedeutet zum Beispiel, dass wenn ein Staat ein CO2-Zertifikat an einen anderen Staat verkauft, dass das nicht doppelt gezählt wird. Was mich nicht euphorisch stimmt, ist, dass es weiterhin noch keine festen Zusagen gibt, die Klimaneutralität deutlich vor 2050 zu erreichen. Da hätte ich mir eine schnellere Taktung gewünscht. Da sind einige Staaten wie China hinter den Zielfristen noch weit zurück.

UN-Klimagipfel in Glasgow: die wichtigsten Ergebnisse

Abschied von der Kohle: Erstmals in der Geschichte der Weltklimagipfel gab es für das Ende der Kohleverbrennung zu Energiezwecken einen Konsens unter den rund 200 Staaten. Sie werden auch aufgefordert, "ineffiziente" Subventionen für Öl, Gas und Kohle zu streichen. Die Formulierung zu Kohle wurde allerdings in letzter Minute auf Druck Chinas und Indiens abgeschwächt. Die Industriestaaten wollen demnach in den 30er Jahren aussteigen, andere spätestens in den 40er Jahren. Außerdem sagte eine Reihe von Staaten zu, nicht mehr in Kohle, Öl und Gas zu investieren – darunter mit Verspätung auch Deutschland.
Bekenntnis zu 1,5 Grad: Die Länder bekennen sich klar zum Ziel, die Erderwärmung bei 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu stoppen - und nicht nur bei deutlich unter 2 Grad, wie es im Pariser Klimaabkommen heißt.
Aus für Benzin- und Dieselautos: Zwei Dutzend Staaten vereinbarten, ein Enddatum für den Verkauf von Benzin- und Dieselautos festzusetzen. Mit dabei sind auch sechs große Auto-Hersteller, darunter Mercedes und Ford. Die Regierungen wollen, dass alle Verkäufe von neuen Pkw und leichten Nutzfahrzeugen bis zum Jahr 2040 emissionsfrei sind, in den führenden Märkten bis spätestens 2035. Die Autokonzerne sollen spätestens 2035 in führenden Märkten nur noch emissionsfreie Autos und Vans verkaufen. Deutschland ist zunächst nicht dabei, weil man sich in Berlin nicht einig wurde.
Methan-Pakt: Oft ist hauptsächlich von CO2 die Rede, wenn es um Treibhausgase geht. Problematisch ist auch Methan, das in der Landwirtschaft, auf Abfalldeponien oder in der Öl- und Gasindustrie entsteht und dem Weltklimarat zufolge für die Hälfte der Klimaerwärmung verantwortlich ist. Mehr als 100 Staaten haben sich unter Führung der EU und USA das Ziel gesetzt, ihre Methanemissionen bis 2030 um mindestens 30 Prozent gegenüber 2020 zu senken.
dpa
 
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