
Die Scheinwerfer sind aus, die Scharen von Teilnehmenden aus 200 Ländern abgereist: Der UN-Klimagipfel im schottischen Glasgow ist Geschichte. Und nun? Kritische Stimmen sagen, die zwei Wochen seien ein Flop gewesen. Egal, wie man das sieht: Wie so oft bei politischen Entschlüssen auf höchster Ebene stellt sich auch hier die Frage, was davon an der Basis ankommt.
Direkt wenig, indirekt viel: Das behauptet der Würzburger Unternehmensberater Stefan Müssig. Der 59-Jährige ist seit 2002 Vorsitzender des Förderkreises Umweltschutz in Unterfranken (FUU), dessen 80 Mitglieder zum größten Teil mittelständische Unternehmen aus der Region sind. Müssig leitet zudem den Bundesverband für Umweltberatung und ist Geschäftsführer der Würzburger Umwelt- und Qualitätsmanagement Consulting GmbH.
Der gelernte Chemiker skizziert im Interview mit dieser Redaktion, auf was Unternehmen bei dem so viel zitierten Thema Nachhaltigkeit achten sollten – mit oder ohne Glasgow. Und Müssig geht davon aus, dass der Einsatz für Umwelt und Klima die Preise steigen lässt – allerdings nur für eine überschaubare Zeit.

Stefan Müssig: Ich glaube nicht, dass Glasgow für die Unternehmen schon konkrete Auswirkungen haben wird. Die Unternehmen müssen vielmehr wissen, was die EU vorhat. Denn die EU-Kommission ist die eigentliche Taktgeberin. Da ist zum Beispiel das Paket "Fit for 55" mit der Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 55 Prozent bis 2030.
Müssig: Vielleicht nicht mit dieser globalen Sicht der Dinge. Aber ein Unternehmer sollte auf jeden Fall darauf achten, was in Brüssel an Richtlinien beschlossen wird. Denn eine EU-Richtlinie wird nach zwei Jahren deutsches Recht. Wenn ein Unternehmer das nicht weiß, könnte er in ein schwieriges Fahrwasser geraten.
Müssig: Teils, teils. Es gibt Unternehmer, die schon sehr weit denken und bei denen man das Gefühl hat: Das wird gemanagt. Ich spreche hier von Umweltmanagementsystemen wie EMAS oder EMASplus. Damit dringt dieses Thema in alle Prozesse des Unternehmens ein. Das ist der Unterschied zu jenen Betrieben, die etwas beispielhaft machen wie jene Fotovoltaikanlage auf dem Dach. Das ist dann eine Maßnahme, die groß propagiert und vermarktet wird. Nachhaltigkeit bedeutet aber, dass man alle Geschäftsmodelle und Prozesse durchleuchtet mit Fragen wie: Welche sozialen und ökologischen Auswirkungen hat mein Geschäftsmodell? Das nennt man Umfeld- und Stakeholder-Analyse. Wer das nicht hat, macht nichts Durchdachtes.
Müssig: Das ist schwer zu sagen. Ich will da niemandem auf die Füße treten. Ich kann es umgekehrt sagen: Die Zahl der Unternehmen, die ein Umweltmanagementsystem – am besten noch ein zertifiziertes – haben, liegt bei unter einem Prozent. In Deutschland gibt es 3,3 Millionen Unternehmen jeglicher Art. Man weiß, dass ungefähr 10 000 von ihnen zum Beispiel eine Umweltmanagement-Zertifizierung besitzen. Das gilt umgerechnet auch für Mainfranken.
Müssig: Immerhin hat unser Förderkreis einige Projekte vorangebracht. Da sind in den vergangenen Jahren einige Unternehmen dazugekommen, die das Thema sehr tiefgründig und seriös angehen. Deswegen denke ich, dass Mainfranken auf den Bund hochgerechnet dann doch die Nase vorn hat. Hinzu kommt noch eine gewisse Dunkelziffer. Das sind Firmen, die Nachhaltigkeit ohne Zertifizierung betreiben. Gefühlt sind es 25 Prozent aller Unternehmen, die Nachhaltigkeit ernst nehmen und versuchen, sich da neu auszurichten.

Müssig: Es gibt viele Unternehmen, die nicht inhabergeführt sind. Das sind oft klassische Kapitalgesellschaften. Die Gewinnmaximierung als Anreiz steht hier im Weg. Manche dieser Unternehmen sind zumindest in Bereichen ökologisch ausgerichtet – bei der Energieeffizienz zum Beispiel. Aber im Kerngeschäft, also womit das Geld verdient wird, da tut man sich sehr schwer, Veränderungen herbeizuführen.
Müssig: Es gibt zwei Möglichkeiten. Erstens, ein Umweltmanagement- oder Energiemanagement-Zertifikat wie EMAS, ISO 14001 oder 50001. Zweitens gibt es Unternehmen, die Umwelt- oder Nachhaltigkeitsberichte herausgeben. Dabei ist wichtig, dass diese Berichte von einer unabhängigen, dritten Instanz geprüft wurden.
Müssig: Ja. Der DNK, also der Deutsche Nachhaltigkeitskodex, ist hier ein Berichtsstandard, ein erster seriöser Einstieg.
Müssig: Das ist indifferent. Es gibt Bereiche, in denen man ein nachhaltiges Produkt zu einem ähnlichen Preis erhält wie ein noch nicht nachhaltiges Markenprodukt. Natürlich preisen sich die Umweltfolgen bei den nachhaltigen Produkten ein. Die sind am Anfang vielleicht fünf bis zehn Prozent teurer. Doch wenn die Nachfrage nach ihnen steigt, macht sich das für die Verbraucher positiv bemerkbar.
Müssig: Ich sehe es nicht ganz so massiv als Flop. Es gab ja immerhin von vielen Staaten das Bekenntnis, aus der fossilen Energie auszusteigen. Das ist als sehr positiv zu bewerten. Was im Hintergrund auch ganz gut lief, ist, dass man Regeln gefunden hat für die Treibhausgasbilanzierung und -berechnung. Dieses Regelwerk gab es in Paris noch nicht. Es bedeutet zum Beispiel, dass wenn ein Staat ein CO2-Zertifikat an einen anderen Staat verkauft, dass das nicht doppelt gezählt wird. Was mich nicht euphorisch stimmt, ist, dass es weiterhin noch keine festen Zusagen gibt, die Klimaneutralität deutlich vor 2050 zu erreichen. Da hätte ich mir eine schnellere Taktung gewünscht. Da sind einige Staaten wie China hinter den Zielfristen noch weit zurück.