
Seine Worte bewegen die Kurse von Aktien und Währungen, seine Entscheidungen bewegen Milliarden. Viele halten EZB-Präsident Mario Draghi für den de facto mächtigsten Mann Europas. Notenbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB), die US-Fed oder die Bank of England bewiesen in der Dauerkrise der vergangenen Jahre Entschlossenheit. Sie handelten – und kauften so wertvolle Zeit. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, adelte Zentralbanker als „Helden der Krise“. Doch es gibt auch Kritik – schließlich brachen die Währungshüter, die nicht demokratisch gewählt und von Parlamenten kontrolliert werden, in der Not einige Tabus.
Nullzinsen, Strafzinsen, Staatsanleihenkäufe – die EZB zog so ziemlich alle Register. Am heutigen Donnerstag folgt aller Voraussicht nach der vorerst letzte Akt: ein weitreichender Beschluss zum Kauf von Schuldscheinen („Quantitative Easing“/QE). Seit Monaten bereiten Draghi und andere führende Notenbanker die Märkte auf einen solchen Schritt vor. Wie wichtig die Berechenbarkeit von Geldpolitik ist, zeigt das jüngste Beispiel der Schweizerischen Nationalbank (SNB): Jahrelang hatte die SNB mit einer Bindung des Franken an den Euro verhindert, dass die heimische Währung zu teuer wird. Völlig überraschend gab sie dann am vergangenen Donnerstag den Franken-Kurs frei – und schockte die Finanzwelt. Im Idealfall bemühen sich Notenbanker um möglichst klare Signale, um genau das zu verhindern. Im Sommer 2012 beruhigte Draghi mit einem Machtwort vorübergehend die Lage, als die Eurozone am Abgrund stand: „Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten. Und glauben Sie mir: Es wird genug sein.“ Zwar werden Notenbanker selten so deutlich. Doch allein die Häufigkeit, mit der führende Vertreter der EZB in den vergangenen Wochen öffentlich erklärten, dass weitere Sondermaßnahmen notwendig und Vorbereitungen dafür weit fortgeschritten seien, interpretieren Ökonomen als eindeutige Botschaft. „Mario Draghi dürfte am Ziel sein. Vor der heutigen EZB-Ratssitzung sprechen alle Anzeichen dafür, dass die EZB ein breit angelegtes Anleihen-Kaufprogramm ankündigen wird“, schreibt etwa die Fondsgesellschaft Union Investment. Experten erwarten, dass die EZB mindestens 500 Milliarden Euro in Staatsanleihen investieren wird, zudem bis zu 250 Milliarden Euro für Unternehmensanleihen. Kaufen kann die EZB solche Papiere theoretisch unbegrenzt, schließlich druckt sie sich das Geld dafür selbst.
Das Ziel: Das frische Zentralbankgeld soll über die Banken, denen die EZB die Anleihen abkauft, an Firmen und Verbraucher weitergereicht werden. Die Banken könnten mehr Kredite geben und so die Konjunktur anschieben. Dies wiederum müsste im Normalfall die Preise steigen lassen und die zuletzt gefährlich niedrige Inflation wieder in Richtung des EZB-Ziels von knapp unter 2,0 Prozent befördern. Aus Luxemburg bekamen die Euroretter in der vergangenen Woche Rückendeckung: Grundsätzlich dürfe die EZB Anleihen von Krisenstaaten kaufen, befand der einflussreiche Gutachter am Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dies bezog sich zwar auf das Anleihenkaufprogramm aus dem Sommer 2012 (OMT). Dennoch machte der Gutachter deutlich, wer die alleinige Verantwortung für die Geldpolitik trägt: die EZB.
Die Wahrscheinlichkeit eines breit angelegten QE-Programms sei durch das Luxemburger Gutachten deutlich erhöht worden, meint Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise: „Es hat der EZB den Rücken gestärkt.“ Allerdings machte der EuGH-Gutachter auch deutlich, dass die EZB ihr Handeln gut begründen muss und Anleihenkäufe verhältnismäßig sein müssen. Auch die Notenbank hat erkannt, dass sie ihre hinter verschlossenen Türen getroffenen Entscheidungen besser erklären muss – gerade, weil Millionen Sparer indirekt davon betroffen sind und im Pleitefall die Steuerzahler haften müssten. Ab diesem Jahr veröffentlicht die EZB jeweils vor der folgenden Sitzung Zusammenfassungen der Beratungen ihres Rates. Dies sei „ein weiterer Schritt, um unsere Maßnahmen und die ihnen zugrunde liegenden Erörterungen zu erläutern“, erklärte Draghi. Er weiß, für einen erfolgreichen Anti-Krisen-Kurs braucht er Vertrauen.
Werkzeuge der EZB
Staatsanleihen: Dass die EZB darauf verzichten kann, staatliche Schuldverschreibungen zu erwerben, ist faktisch ausgeschlossen. Staatsanleihen sind die mit Abstand größte Anlageklasse, auf die die Notenbank zugreifen könnte. Nach Daten der europäischen Zentralbank sind derzeit Staatspapiere im Wert von rund 6,5 Billionen Euro im Umlauf, die den Anforderungen der Notenbank gerecht werden. Der EZB ist es verboten, Staaten direkt mit der Notenpresse zu finanzieren. Der Kauf von Anleihen am freien Markt, also etwa von Banken, ist ihr allerdings grundsätzlich erlaubt.
Unternehmensanleihen: Schuldverschreibungen größerer Unternehmen haben einen Nachteil: Sie sind seltener. Die EZB gibt das Marktvolumen von „Corporate Bonds“, die ihrem Sicherheiten-Katalog entsprechen, mit 1,4 Billionen Euro an. Darüber hinaus konzentriert sich das Aufkommen stark auf Länder wie Frankreich.
Bankanleihen: Gedeckte Bankanleihen („Covered Bonds“) kauft die EZB bereits. Diese Papiere gelten als vergleichsweise wenig riskant, weil sie doppelt besichert sind – durch Sicherheiten wie Grundstücke und die Haftung der ausgebenden Bank. Dass die EZB dies auf ungedeckte Bankanleihen ausweitet, halten Experten für eher unwahrscheinlich. Schließlich ist die Europäische Zentralbank seit November zentrale Bankenaufsicht im Euroraum. Da könnte ein solcher Schritt Fragen aufwerfen.
SSA-Anleihen: Unter „SSA-Bonds“ sind Schuldverschreibungen zu verstehen, die von staatlichen oder staatsnahen Organisationen ausgegeben werden. Beispiele sind etwa Anleihen der Europäischen Investitionsbank oder der deutschen Förderbank KfW in Frankfurt. Text: dpa