Der Vorfall ist selbst für Brüsseler Verhältnisse beispiellos: Nur wenige Tage, nachdem die EU-Kommission ihre Pläne zum nur teilweisen Wegfall der Roaminggebühren präsentierte, zog sie den Vorschlag am Freitag selbst wieder zurück. Jahrelang hatten die EU-Institutionen dem Verbraucher versprochen, die teuren Auslandszuschläge für Telefonieren, SMS und mobiles Internet würden 2017 gestrichen. Am vergangenen Montag klang das dann ganz plötzlich ganz anders: Lediglich für höchstens 90 Tage im Jahr sollten die Provider auf die lukrativen Nebeneinnahmen verzichten müssen.
Ein Sturm der Entrüstung brach los: „Das ist nicht das, was die Verbraucher erwartet haben, als ihnen die Abschaffung der Zuschläge versprochen wurde“, schimpfte beispielsweise Isabelle Buschke von der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). „Diese weitgehenden Einschränkungen bedeuten, dass das lange versprochene Ende des Roaming für die meisten europäischen Verbraucher keine Realität wird“, hieß es beim europäischen Verbraucherschutzverband. Offenbar flogen angesichts der massiven Kritik auch hinter den Türen der Kommission die Fetzen. Am Donnerstag zog der Chef der Behörde, Jean-Claude Juncker, einen Schlussstrich und wies Andrus Ansip und Günther Oettinger, die beiden für den digitalen Markt zuständigen Kommissare, an, das Papier zurückzuziehen.
„Es war ein guter Vorschlag“, bemühte sich Sprecher Alexander Winterstein am Freitag, den Eindruck des Chaos zu beseitigen. „Aber der Kommissionspräsident war der Meinung, dass der Vorschlag nicht gut genug war.“ So kann man es auch sagen. Stattdessen ließ Juncker das Versprechen erneuern: „Die Roamingzuschläge werden bis Juni 2017 verschwinden. Daran gibt es keinen Zweifel.“
Doch das könnte sich als Bumerang herausstellen. Denn die Kommission hat sich auch mit dem Rückzug vom Rückzug in Schwierigkeiten gebracht. Tatsächlich enthält die einschlägige Roaming-Verordnung 2015/2120 vom November 2015 nämlich die klare Ansage, dass die Auslandszuschläge zwar „grundsätzlich“ entfallen sollen. In einer Zusatzklausel ist jedoch ausdrücklich nur von einer „begrenzten Maßnahme“ die Rede, die die „übliche Nutzung“ sowie den „fair use“ (fairen Gebrauch) betreffen. Diese Einschränkungen haben zwei Gründe. Zum einen fallen die Roaminggebühren je nach Mitgliedsstaat und Anbieter höchst unterschiedlich aus, so dass die Unternehmen nicht alle gleich hohe Einbußen hätten. Zum zweiten wollte man das „SIM-Karten-Shopping“ vermeiden, bei dem sich ein Nutzer mit der Karte aus einem Land, wo die Telefonate besonders preiswert sind, eindeckt und fortan damit im Heimatland telefoniert oder surft.
Mit anderen Worten: Eine Obergrenze steht bereits in der Verordnung, die 90-Tage-Regel sollte diese nur umsetzen. Die Kommission muss nun liefern und sagen, wie sie die bereits verabschiedete Verordnung einhalten, aber gleichzeitig den Verbrauchern geben will, was man der Öffentlichkeit jahrelang versprochen hat. Zwar lobten am Freitag Vertreter des Europäischen Parlaments den Schritt der Juncker-Behörde: „Wir wollen eine Lösung ohne Hintertüren“, erklärte beispielsweise der Chef der EVP-Mehrheitsfraktion im EU-Parlament, Manfred Weber. Doch wie die aussehen könnte, blieb erst einmal offen.
Nimmt man die Kommission beim Wort, gibt es nur zwei Dinge, die feststehen und den Verbraucher freuen dürfen: Erstens wird es zum Juni 2017 eine Neuregelung geben. Und zweitens muss diese den Wegfall der umstrittenen Gebühren bringen. Wie man dahin kommt, ist jedoch unklar.
„Roaming“ stammt aus dem Englischen und bedeutet auf Deutsch in etwa „Umherwandern“. In der Welt der Telekommunikation beschreibt das Wort die Möglichkeit, in ausländischen Mobilfunknetzen zu telefonieren, SMS zu schreiben oder Daten-Dienste zu nutzen.
Für die Weiterleitung verlangen die Anbieter Gebühren, die den Kunden in Rechnung gestellt werden. Die geringe Konkurrenz unter den Anbietern habe zeitweise zu „exzessiven Preisen“ geführt – und Menschen Angst vor der Nutzung ihrer Handys im Ausland gemacht, heißt es dazu bei der EU-Kommission.