Wichtige Weichenstellung für Europas Gasversorgung: Bis Ende dieser Woche wird entschieden, auf welchem Weg das Erdgas aus dem aserbaidschanischen Shah-Deniz-II-Feld nach Europa kommt. Das Gas aus dem Kaspischen Meer soll Europas Gasversorgung in den nächsten Jahrzehnten sichern und diversifizieren, sprich unabhängiger von Russland machen. Besonders für das krisengeplagte Griechenland hängt von der Pipeline-Entscheidung viel ab.
Zwei konkurrierende Projekte bewerben sich um den Zuschlag: Die Nabucco-Pipeline soll das aserbaidschanische Gas von der Türkei über Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Baumgarten in Österreich bringen, von wo es in das bestehende europäische Leitungsnetz eingespeist werden könnte. Die Trans Adriatic Pipeline (TAP) soll von der türkischen Grenze Nordgriechenland und Albanien durchqueren und von dort unter der Adria nach Italien verlaufen, wo sie an das bestehende europäische Leitungsnetz andockt. Die Entscheidung, welches Projekt sich durchsetzt, liegt beim Förderkonsortium Shah-Deniz. Der Firmengruppe gehören die Energiekonzerne BP und Statoil mit je 25,5 Prozent, die staatliche aserbaidschanische Gasgesellschaft Socar, die französische Total, die russische Lukoil und die iranische NIOC mit je zehn Prozent sowie die türkische TPAO mit neun Prozent an. Das Konsortium will bis Ende Juni seine Wahl bekanntgeben.
Klar ist: Das zur Verfügung stehende Gas reicht nur für eine Pipeline. Für die beteiligten Firmen, aber auch für die Länder, durch die das Gas fließen soll, steht also viel auf dem Spiel. Lange war das 2002 angestoßene Nabucco-Projekt der Favorit. An dem Pipeline-Konsortium sind federführend der österreichische Energiekonzern OMV sowie die türkische Botas, die bulgarische BEH, die rumänische Transgaz und der französische Energiekonzern GDF Suez beteiligt. Nabucco galt als Antwort auf die russische Pipeline South Stream, die quer durchs Schwarze Meer über den Balkan ebenfalls nach Österreich verlaufen wird. Das Projekt hatte deshalb anfangs die aktive Unterstützung der EU und der USA. Sie versprechen sich von Nabucco mehr Unabhängigkeit Europas von russischen Gaslieferungen.
Nabucco kämpft allerdings seit einigen Jahren mit Handicaps. Das größte sind die Kosten: Sie wurden ursprünglich auf rund acht Milliarden Euro beziffert, explodierten aber im Laufe der Planungen auf geschätzte 15 Milliarden. Zugleich mussten die Schätzungen des jährlich transportierten Gasvolumens zuletzt deutlich nach unten korrigiert werden. Ging man noch 2011 von rund 20 Milliarden Kubikmetern aserbaidschanischen Gases aus, ist jetzt nur noch von zehn Milliarden Kubikmetern die Rede, die für Europa bestimmt sein werden.
Im Mai 2012 speckte das Nabucco-Konsortium sein Projekt deutlich ab. Während die Leitung ursprünglich an der türkisch-georgischen Grenze beginnen sollte, schlagen die Betreiber jetzt die erst an der türkisch-bulgarischen Grenze beginnende Variante Nabucco West vor. Der Gastransport durch Anatolien könnte über bestehende Leitungen und die von Aserbaidschan und der Türkei gemeinsam geplante Trans Anatolia Pipeline (Tanap) laufen. Dadurch verkürzt sich Nabucco von 3300 auf 1330 Kilometer, die Kosten sollen auf rund sechs Milliarden Euro fallen.
Das wäre allerdings immer noch rund drei Mal so viel, wie die nur 880 Kilometer lange TAP nach Expertenschätzungen kosten soll. An dem TAP-Konsortium sind der Schweizer Stromversorger Axpo und die norwegische Statoil mit je 42,5 Prozent beteiligt. Die restlichen 15 Prozent gehören der deutschen E.ON Ruhrgas. Dass Statoil sowohl am Förderkonsortium als auch an TAP beteiligt ist, könnte für die Adria-Pipeline sprechen. Entscheidend wird aber vor allem sein, welches Projekt die niedrigsten Transportkosten verspricht.
Nachdem die Erdgas-Euphorie der vergangenen Jahre abgeklungen ist, die Nachfrage in Europa stagniert oder gar zurückgeht und die Preise unter Druck kommen, ist außerdem der Gesichtspunkt wichtig, welche Pipeline die meisten Märkte erschließen kann. Was das angeht, schien Nabucco anfangs wegen der Linienführung über die Balkanstaaten im Vorteil. Inzwischen gibt es aber Planungen des TAP-Konsortiums, über Albanien neue Märkte wie Montenegro, Kroatien, Bosnien und Herzegowina zu versorgen. Mit besonderer Ungeduld sieht man der Entscheidung im Pipeline-Wettlauf in Griechenland entgegen. Den diesen Monat besiegelten Einstieg der aserbaidschanischen Staatsgesellschaft Socar beim griechischen Netzbetreiber Desfa wertet man in Athen als gutes Vorzeichen für TAP. Bekommt sie den Zuschlag, bedeutet das für das krisengeplagte Land Investitionen von rund 1,5 Milliarden Euro, neue Jobs und günstiges Gas. Außerdem würde sich Griechenland als Korridor für Europas Gasversorgung etablieren – eine wichtige Perspektive auch im Hinblick auf eigene Gasvorkommen, die vor den griechischen Küsten vermutet werden.
Ein Gewinner im Pipeline-Poker steht aber schon fest: Das Shah-Deniz-Förderkonsortium hat sich bereits vor Monaten Einstiegsoptionen in beiden Pipeline-Konsortien gesichert.