Das Gezerre um Klimavorgaben für europäische Neuwagen ab dem Jahr 2020 war eine wahre politische Schlacht. Selbst Kanzlerin Angela Merkel (CDU) focht monatelang für die Interessen der heimischen Autobauer, um einen bereits im Juni ausgehandelten Kompromiss abzuschwächen. Nun endlich haben sich die EU-Staaten auf neue Grenzwerte für den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) geeinigt. Doch dies ist für die deutschen Hersteller eher ein begrenzter Sieg als ein großer Triumph – sie haben vor allem Zeit gewonnen.
„Ich habe mich gewundert, dass der Kompromiss in Deutschland so euphorisch aufgenommen wurde“, sagt Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW). „Die Veränderung ist marginal. Dass die Regelungen etwas lockerer werden, hilft natürlich insbesondere den deutschen Herstellern.“
Denn deutsche Autobauer tun sich tendenziell schwerer beim Einsparen von CO2. Ihr Geschäftsmodell basiert stärker als anderswo in der Welt auf Oberklassewagen wie Mercedes, Audi und BMW. Im Premiumsegment halten sie einen Weltmarktanteil von 80 Prozent, die Geschäfte laufen glänzend. Die schweren Karossen schlucken mehr Sprit als Kleinwagen, die beispielsweise verstärkt in Frankreich und Italien von den Bändern rollen. Entsprechend müssen deutsche Hersteller ihren CO2-Ausstoß mehr drücken. Dabei sinkt übrigens auch der Spritverbrauch.
Vorgaben dafür gibt es auch jetzt schon. Im Jahr 2015 etwa soll der CO2-Ausstoß aller europäischen Neuwagen (Pkw) im Durchschnitt bei 130 Gramm pro Kilometer liegen. Für jeden Hersteller gelten eigene Ziele. Doch über die Jahre legte die EU die Latte immer höher: Nach dem jetzt vereinbarten Kompromiss müssten die Autobauer im Jahr 2021 auf durchschnittlich 95 Gramm pro Kilometer kommen. 2020 gilt die Auflage bereits für 95 Prozent aller neuen Pkw – den ursprünglichen Plänen zufolge hätten dann schon alle Neuwagen betroffen sein sollen.
„Im Prinzip haben wir den Sprung von 130 auf 95 Gramm etwas eleganter gestaltet“, sagt der Europaabgeordnete Thomas Ulmer (CDU), der gemeinsam mit Parlamentskollegen mit den Staaten verhandelt hat.
Erleichterungen könnten sich die Hersteller von speziellen Boni für Elektroautos und andere schadstoffarme Fahrzeuge versprechen. Zwischen 2020 und 2022 zählen diese Wagen mehrfach für die Klimabilanz – das soll Investitionen in die neue Technologie fördern. So erreichen die Unternehmen auch leichter ihre Klimavorgaben. Dieser Effekt ist allerdings begrenzt: Auf mehr als 7,5 Gramm Abweichung vom jeweiligen CO2-Zielwert über drei Jahre käme keiner. Weite Teile dieses Ergebnisses hatten Unterhändler der EU-Staaten, des Europaparlaments und der EU-Kommission Ende bereits Juni vereinbart. Doch danach schaltete Berlin auf stur, eine Bestätigung des Verhandlungsergebnisses gewährte die Bundesregierung über Monate hinweg nicht. Erst in der Sitzung der EU-Botschafter am Freitag stimmte Deutschland offiziell zu.
Das ursprünglich für 2020 geplante 95-Gramm-Ziel soll nun erst 2021 voll greifen. Und die Hersteller können Boni für Elektroautos innerhalb der drei vorgesehenen Jahre flexibel einsetzen – dadurch bleibt ihnen am Anfang mehr Spielraum bei der Einhaltung der Werte. Die Hersteller bekommen mehr Zeit. Zu viel, meint Franziska Achterberg von Greenpeace: Insgesamt sei das „eine Verschiebung der Vorgaben um bis zu drei Jahre“. Schließlich seien auch die Boni zu berücksichtigen.
Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) bewertet die Pläne ebenfalls kritisch. Es handele sich um eine „deutliche Verschlechterung“ im Vergleich zu dem Entwurf, den die Bundesregierung Ende Juni verworfen hatte. „Der Klimaschutz hätte damit ein Jahr verloren“, sagt der verkehrspolitische VCD-Sprecher Gerd Lottsiepen. Insgesamt sei es aber besser, jetzt einen Kompromiss zu schließen, als das wichtige Thema noch einmal zu vertagen. Nach den Botschaftern müsste noch das Europaparlament den Kompromiss besiegeln, vermutlich im Januar. Ein Ja von den Volksvertretern gilt als wahrscheinlich.
Deutschland im Nachteil
Deutschlands Autobauer stellen im europäischen Vergleich größere und schwerere Modelle her. Die Zielmarke eines CO2-Ausstoßes von 95 Gramm pro Kilometer ist zwar ein Durchschnittswert, der im Verhältnis zum Gewicht des Autos angepasst wird. Schwere Autos dürfen also eigentlich mehr CO2 ausstoßen, ohne dass Strafen fällig werden. Allerdings wurde die Berechnungsgrundlage im EU-Kompromiss so angepasst, dass bei einem höheren Gewicht im Verhältnis mehr CO2 eingespart werden muss als bei einem niedrigeren. Doch irgendwann stoßen die Hersteller an technologische Grenzen, was Effizienz und Gewichtsreduktion angeht. Denn schwere Autos benötigen mehr Energie, um ihre Masse zu bewegen. „Wir gehen davon aus, dass mit einem Verbrennungsmotor maximal noch zehn bis 15 Prozent an Einsparung möglich ist“, sagt eine Daimler-Sprecherin. Die neuen Grenzwerte seien für schwere Autos ohne Hybrid-Motoren nicht zu schaffen, glaubt Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft. Das mache die Autos teurer. Text: dpa