Noch Ende Mai leitete mit Basler Fashion aus Goldbach (Lkr. Aschaffenburg) ein unterfränkisches Modeunternehmen das vorerst letzte Insolvenzverfahren ein. Grund für diesen Schritt sei eine notwendige Restrukturierung, um das Unternehmen zukunftsfähig aufzustellen, teilte Basler mit. Anfang September 2016 musste die Nürnberger Modehauskette Wöhrl Insolvenz anmelden, die Damen-Premium-Marke St. Emile aus Kleinwallstadt (Lkr. Miltenberg) folgte im Oktober. Im März dieses Jahres stellte René Lezard aus Schwarzach (Lkr. Kitzingen) einen Insolvenzantrag – und war damit schon die Pleite Nummer 43 in der Bekleidungs- und Textilindustrie seit 2008, wie die „Welt“ unter Bezugnahme auf das Statistische Bundesamt berichtete.
Weitere werden folgen, so die Prognosen. Denn laut einer Marktanalyse des weltweit führenden Kreditversicherers Euler Hermes sind die Risiken in der Textilbranche und insbesondere im textilen Einzelhandel weiterhin hoch. Der Strukturwandel sei in vollem Gange, die Konkurrenz durch den Online-Handel immer stärker und der Investitionsbedarf immer höher. Außerdem stagnieren die Umsätze, die Margen seien gering und der Wettbewerbsdruck werde immer höher. „Aber es wird weiterhin Gewinner und Verlierer geben“, so Euler Hermes.
Zu den Gewinnern zählt beispielsweise die ebenfalls in Unterfranken ansässige s.Oliver Group in Rottendorf bei Würzburg. Obwohl deren Marken durch Insolvenzen von Handelspartnern betroffen sind, hat der Konzern 2016 mit 1,67 Milliarden Euro den höchsten Umsatz der Unternehmensgeschichte erzielt. Damit das möglich war, sei Vorausblick erforderlich gewesen, sagt Armin Fichtel, Vorsitzender der Geschäftsführung (CEO) der s.Oliver Group. „Wir haben uns schon seit Jahren auf den Wandel der Branche eingestellt und daher zum Beispiel rechtzeitig und sehr erfolgreich in unseren Online-Shop investiert.“ Dazu trage aber auch bei, dass das Unternehmen durch sein Markenportfolio, mit zum Beispiel comma oder Liebeskind, gut und breit aufgestellt sei, betont Fichtel.
s.Oliver Group bei den Gewinnern
Nur so konnte es gelingen, dass der Rottendorfer Konzern das Umsatzniveau steigerte, wenn auch nicht mehr mit der Dynamik von früher: „Und auch im laufenden, für die gesamte Branche schwierigen Jahr, bewegen wir uns auf Vorjahresniveau“, erläutert Fichtel. „Trotzdem agieren wir natürlich sehr kostenbewusst in allen Bereichen, investieren jedoch gleichzeitig hohe Summen in Zukunftstechnologien, um für die sich ständig ändernden Marktanforderungen gewappnet zu sein.
“ So hat die s.Oliver Group im vergangenen Jahr die Strategie 2020 verabschiedet: „Digitalisierung, Vertikalisierung und ein noch einheitlicherer Auftritt jeder unserer Marken über alle Vertriebskanäle stehen dabei im Mittelpunkt.“
Schwer hingegen wird es vor allem für die Unternehmen, die der klassischen Bekleidungsindustrie vertrauen und sich lediglich auf diese verlassen. Denn Hightech-Materialien, zum Beispiel für Funktionskleidung in Industrie und Medizin, sind im Kommen, so der Verband der Bayerischen Textil- und Bekleidungsindustrie schon Ende 2016. „Ein Hochlohnland wie Bayern kann sich mit seinen Produkten auf dem Weltmarkt langfristig nur durchsetzen, wenn Innovationen und eine höhere Qualität die Kosten rechtfertigen“, sagte Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner im Landtag. „Insbesondere die Technischen Textilien mit ihren zahlreichen funktionellen Eigenschaften und vielfältigen Anwendungsgebieten bieten großes Potenzial“, so die Ministerin. Auch Fichtel von s.
Oliver weiß, was weiterhin zählt: „Die Basis für eine erfolgreiche Zukunft in der Modeindustrie sind Schnelligkeit bei der saisongerechten Umsetzung von Modetrends, der direkte Kontakt zu unseren Kunden und digitale Vernetzung über alle Vertriebskanäle.“
Dabei blickt Bayern und gerade Unterfranken auf eine lange Tradition zurück: „Der Glattbacher Schneider Johann Desch erkannte bei seiner Tätigkeit in der Kleiderkammer im preußischen Militärdienst, dass viele Soldaten ähnliche Maße hatten“, erzählt Thomas Rittger über die Anfänge. Rittger ist Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands der Bekleidungsindustrie Aschaffenburg und Unterfranken (AgV Abg). „Damit erfand Johann Desch quasi die Konfektionsgrößen und fertigte seit 1874 auf Vorrat von der Stange.“
Phänomen „Fast Fashion“
Durch diese Änderung entstanden in der Zeit danach immer mehr Kleiderfabriken, die zahlreiche Heimarbeiter beschäftigten. Ende der 70er Jahre wurden die Lohnkosten in Deutschland so hoch, dass zunächst die lohnintensiveren Tätigkeiten ins günstigere Ausland verlagert werden mussten. Der Wandel hält an. Heute verändert vor allem das Phänomen „Fast Fashion“ die Branche radikal.
„Fast Fashion“ meint den immer schnelleren Wechsel der Kollektionen, was die Lieferzeiten und -kosten belastet sowie die Produktion erschwert. Dass das auch die Unternehmen in der Mainfranken-Region betrifft, ist klar. Doch es gibt auch Grund zum Optimismus: „Wir erwarten, dass sich die Branche erholen wird. Viele Modeunternehmen haben inzwischen umfassend restrukturiert, was sich im kommenden Jahr auszahlen wird“, sagt Imran Amed in einer Marktanalyse von Business of Fashion und McKinsey. Amed ist Gründer und Chefredakteur von Business of Fashion, einer internationalen Plattform für tagesaktuelle Themen rund um die Modeindustrie.
Daseinsberechtigung schaffen
Stichwort Restrukturierung: Auch der Modehändler Wöhrl in Nürnberg mit Niederlassungen in Unterfranken ist davon betroffen. Nachdem das Unternehmen im Herbst 2016 Insolvenz angemeldet hatte, scheint es vorerst gerettet. Der Insolvenzplan wurde von den Gläubigern angenommen. Christian Greiner, der Enkel des Wöhrl-Gründers, konnte den Geschäftsbetrieb übernehmen. „Die letzten Monate wurden genutzt, um umfassende Restrukturierungen vorzunehmen, aber auch Weichenstellungen im Geschäftsmodell“, so Beatrice Handte, Sprecherin von Wöhrl.
„Das Sortiment, die Häuser, die Werbung und das Erscheinungsbild wurden stark verbessert“, erzählt sie und schließt: „Die Firma Wöhrl ist auf einem guten Weg.“
Dessen ungeachtet: „Derzeit tut sich die Branche grundsätzlich eher schwer, was einige Insolvenzen in den letzten Monaten verdeutlichen“, so Thomas Rittger, Geschäftsführer des AgV Abg. Dennoch könne man dies nicht absolut sehen: „Wer sich in einer Nische eine Daseinsberechtigung geschaffen hat, dem kann es auch gut bis zufriedenstellend gehen.“