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FRANKFURT
Ein preußischer Italiener
Fühlt sich von den Deutschen missverstanden: EZB-Chef Mario Draghi
Foto: Marc Tirl, dpa | Fühlt sich von den Deutschen missverstanden: EZB-Chef Mario Draghi
reda
 |  aktualisiert: 23.01.2015 17:34 Uhr

Es geht ihm nicht um Liebe. Mehr Verständnis und irgendwann Anerkennung seiner Arbeit reichen Mario Draghi. Doch die Deutschen sind für den Chef der Europäischen Zentralbank ein harter Brocken, deren Herzen er wohl nie erobern wird. Auch nach der Entscheidung der EZB, massenhaft Staatspapiere zu kaufen, schlug ihm die geballte germanische Empörung entgegen. Dabei hatte er monatelang versucht, die Ängste der Bürger des wirtschaftlich stärksten Euro-Landes zu zerstreuen. Draghi gab ausführliche Interviews und sprach, was für auf Zurückhaltung bedachte Notenbanker ungewöhnlich ist, eingehend über sein Privatleben. Es kommt ein Mensch zum Vorschein, der Sympathie verdient, selbst wenn man mit guten Gründen seine Politik des billigen Geldes und der exzessiven Aufblähung der Notenbank-Bilanz ablehnt. So fleht der schlanke Italiener, dessen Augen immer ein wenig melancholisch aus der runden, randlosen Brille hervorscheinen, Journalisten an, seine Politik besser zu erklären. Bestimmt sagt er: „Die öffentliche Meinung in Deutschland ist uns sehr wichtig.“ In solchen Momenten kann Draghi einnehmend lächeln und wirkt trotz des akkuraten Seitenscheitels gar nicht mehr so streng wie oft. Der 67-Jährige unterschlägt natürlich, dass seine Euro-Politik eine Komplexität angenommen hat, wie sie vielleicht noch der Kernphysik und anderen wundersamen Dingen eigen sind. Nur wenige Fachleute sind in der Lage, diesen Geld-Voodoo in all seinen esoterischen Winkeln auszuleuchten.

Wer als Draghi-Versteher von Freunden gebeten wird, ihnen die Folgen der EZB-Strategie zu erläutern, wird schnell zum Party-Stimmungstöter, muss er doch länger als eine halbe Stunde ausholen. Eines verstehen viele dann doch: Aufgrund der Notenbank-Politik bekommen sie kaum noch Zinsen für ihr Erspartes, die Renditen der Lebensversicherungen sinken, und Bausparverträge werden gekündigt.

Draghi hat also schlechte Karten, mag er im kleinen Kreis auch angenehm wirken. Wer den EZB-Chef im vergangenen Jahr bei seinem Besuch im Allgäu vor einem Konzert in Ottobeuren erlebt hat, lernte einen uneitlen Intellektuellen kennen, der zuhören kann und entspannt Fragen beantwortet. Eigentlich taugt ein solch ernsthafter Denker nicht zum Feindbild, zumal er den Deutschen zu schmeicheln weiß. Der Ökonom appelliert an wachstumsschwache Euro-Staaten: „Sie müssen wie Deutschland bereit sein, strukturelle Reformen anzugehen.“

Draghi findet es abstrus, dass es in manchen Euro-Ländern neun Monate dauere, bis man einen Laden eröffnet hat. Als Vorbild empfiehlt er den Krisenländern Deutschland und lobt die wirtschaftspolitischen Reformen der Regierung Schröder. Vor allem der Süden der Republik hat es ihm angetan: „Das war Bauernland. Jetzt schlägt hier das Herz des Hightech-Standortes Deutschland.“ Fast möchte man den Italiener einbürgern, derart liebt er bella Germania und vor allem bella Bavaria. Draghi scheint stark von seinem Vater geprägt zu sein, dessen Deutsch fast so gut wie sein Italienisch war. Draghi senior habe immer zum Junior gesagt: „Arbeit ist das Wichtigste im Leben eines Menschen.“ Das hat sich der Zentralbank-Chef zu eigen gemacht. Er gilt als fleißig und gewissenhaft. Der Ökonom gibt sich gerne als preußischer Italiener. Zäh ist Draghi auch. Sein Vater habe ihm einen Spruch mit auf den Lebensweg gegeben, den dieser auf einem Denkmal in Deutschland vorfand: „Wenn du aber deinen Mut verloren hast, so hast du alles verloren.“ Trotz des auf ihm lastenden enormen Drucks und der heftigen Kritik an seiner Person wirkt der Währungshüter nicht gehetzt und alles andere als mutlos. Sein Vater starb übrigens, als Draghi 15 Jahre alt war. Kurz darauf traf dieses Schicksal auch seine Mutter.

In jungen Jahren musste er für sich und seine jüngeren Geschwister Verantwortung übernehmen. Draghi biss sich durch und schaffte es, als Student beim elitären Massachusetts Institute of Technologie in den USA angenommen zu werden. Sein Stipendium reichte gerade einmal aus, um in den ersten beiden Jahren Miete und Studiengebühren zu bezahlen. Alles andere musste sich der junge Mann hinzuverdienen. In den USA, erinnert sich Draghi heute, habe er verstanden, was harte Arbeit ist.

So kommen in ihm sowohl amerikanische als auch deutsche Tugenden zusammen. Trotzdem wird der Ökonom hierzulande von vielen als Bedrohung empfunden. Auf die Frage, ob er in Deutschland die öffentliche Person sei, die am wenigsten von allen verstanden werde, meinte Draghi fast schon resignierend: „Ich glaube, das stimmt.“

„Die öffentliche Meinung in Deutschland ist uns sehr wichtig“.
Mario Draghi
 
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