Die Politik stand am Dienstag im Mittelpunkt des Digital-Gipfels der Bundesregierung in Nürnberg. Neben Bundeskanzlerin Angela Merkel hoben unter anderem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, Justizministerin Katarina Barley, Verkehrsminister Andreas Scheuer und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz (KI) hervor. Dieser Teil der Digitalisierung ist Leitthema des zweitägigen Gipfels und gilt als Schlüsseltechnologie der nahen Zukunft.
Vor 1100 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sagte Minister Altmaier, dass "allein im produzierenden Gewerbe rund 32 Milliarden Euro an zusätzlicher Wertschöpfung in den nächsten fünf Jahren" möglich seien. Andere Redner hoben die Bedeutung der KI für Medizin, Verkehr und Bildung hervor.
Freilich gab es auch Skepsis und Kritik. Der Bundesregierung fehle es bei dem Thema an Zugkraft, war zu hören. Telekom-Vorstandschef Timotheus Höttges vertrat die Ansicht, dass hierzulande bei KI zu viel geredet, zu viel reguliert und zu wenig gehandelt werde. Was die Verwaltung großer Datenmengen angehe, habe Europa schon einmal den Kampf verloren – gegen US-Giganten wie Google, Amazon und Microsoft. Das dürfe bei KI nicht passieren.
"KI made in Germany" nannte Wirtschaftsminister Altmaier das Gebot der Stunde. Die Bundesregierung werde bis 2025 drei Milliarden Euro dafür investieren. Solche Worte machten in Nürnberg deutlich: Es herrscht viel Aufbruchstimmung – aber auch Rätselraten über Mittel und Wege.
Was KI mit uns macht
"So viel Anfang war noch nie", gab sich Geschäftsführer Bernd Montag vom Medizintechnik-Anbieter Siemens Healthineers euphorisch. Das Potenzial von KI sei gerade für Ärzte und Kliniken eine Chance von bisher nicht gekannter Größe. Zum Beispiel Diagnosen fielen mit Hilfe selbstlernender Medizinsoftware viel genauer aus als von Ärzten. Diese in Nürnberg oft gehörte Ansicht brachte der Informatiker und Präsident der Universität Erlangen-Nürnberg, Joachim Hornegger, auf den Punkt: "KI wird uns nicht unsterblich machen, aber gesünder."
Den Digital-Gipfel der Bundesregierung gibt es seit 2006, bis vor zwei Jahren noch bekannt als "Nationaler IT-Gipfel". Sein Sinn und Zweck wird immer wieder in Frage gestellt, weil bislang kaum Bahnbrechendes aus ihm hervorgegangen sei.
Zwar von KI überzeugt, aber dennoch zögernd, gab sich am Montagabend der Philosoph und ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin. Es gebe in Deutschland ein "Überangebot an Daten", dennoch "ist uns noch nicht einmal das papierlose Büro gelungen". Bundesinnenminister Horst Seehofer sah Grundsätzliches in der KI: Sie sei "für unsere Menschheit etwas Positives".
Vor fünf Jahren hatte Bundeskanzlerin Merkel das Internet noch als etwas bezeichnet, was "für uns alle Neuland" ist – und mächtig Häme dafür kassiert. In Nürnberg versuchte sie dergleichen zu vermeiden und bezeichnete KI verschmitzt als "noch nicht durchschrittenes Terrain". Sie sah es als "Aufgabe für Handwerkskammern und IHKs" an, dass kleine und mittlere Unternehmen für die Digitalisierung begeistert werden.
Nürnberg "war ein wichtiger Digitalgipfel", lobte Merkel am Dienstagnachmittag zum Abschluss des Kongresses. Wo der Gipfel im kommenden Jahr stattfinden wird, sei noch nicht klar.
Bitkom-Präsident fand klare Worte
Wer gut mit der Digitalisierung umgehen will, muss seine Chancen und Grenzen lernen: Diese ebenfalls in Nürnberg häufig gehörte Meinung griff der Präsident des Branchenverbandes Bitkom auf, Achim Berg. Das Thema komme in Deutschland in der Bildung zu langsam voran. Berg wurde gegenüber der Kanzlerin deutlich: "Diese Gesellschaft braucht Daten, braucht Bildung, braucht Breitband." Berg rechnete vor, dass es für das neue und für KI wichtige Mobilfunknetz 5G zehn Mal mehr Funkmasten in Deutschland brauche als jene 60.000, die es aktuell gebe. Das 5G-Netz soll zunächst entlang wichtiger Verkehrswege angelegt werden.
Buchtipp: Welche Folgen die KI für die Zukunft der Arbeit hat, damit setzt sich das im August veröffentlichte Buch "Human + Machine" (deutschsprachig) auseinander. Die Autoren zeigen aufgrund eigener Erfahrungen und anhand einer Studie, das KI unser aller Berufsalltag auf den Kopf stellen wird. "Human + Machine", dtv Sachbuch, 276 Seiten, 25 Euro; ISBN 978-3-423-28993-1