Es ist wieder Sommer, Hauptreisezeit. Auf den Bahnsteigen der Bundesrepublik tummeln sich Urlauber in Ferienlaune. Auch in Mainz. Den einen oder anderen ängstlichen Blick auf die Anzeigetafeln könnte es dort allerdings geben: schließlich stand die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt vor rund einem Jahr einen Monat lang auf dem Abstellgleis. Weil Personal im Stellwerk fehlte, fielen Züge aus, hatten Verspätung oder wurden umgeleitet. Ein Debakel für die Bahn, ein Ärgernis für die Kunden. Bleibt die Frage: Kann sich die Misere wiederholen?
„Wir haben Konsequenzen gezogen und tun weiterhin alles, um solche Ereignisse zu vermeiden“, sagt eine Sprecherin der Deutschen Bahn. Die Bahn verweist für das vergangene Jahr zum Beispiel auf rund 290 zusätzliche Fahrdienstleiter bundesweit und mehr junge Leute, die ausgebildet wurden. In Mainz, dem Ursprung der Misere, ist das Stellwerk nach Angaben der Bahn heute personell „sehr gut ausgestattet“ – seit August 2013 sind es neun Mitarbeiter mehr. Das Chaos hatte bundesweit einen Imageschaden für die Bahn ausgelöst. Das Unternehmen steuerte mit dem zusätzlichen Personal gegen.
Damit ist das Grundproblem der Bahn aus Sicht der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) aber noch nicht gelöst – es mangele nach wie vor an qualifizierten Mitarbeitern. Der EVG-Vorsitzende Alexander Kirchner ist deshalb noch nicht zufrieden. Er kritisiert, dass erst rund ein Drittel des vereinbarten zusätzlichen Personals eingestellt wurde.
Bedarf sieht er beispielsweise weiter bei Lokführern, Zugbegleitern, Ingenieuren oder in den Werkstätten. Der Gewerkschaftschef räumt aber ein, dass es nicht so einfach sei, qualifiziertes Personal für solch komplexe Aufgaben wie in einem Stellwerk zu finden. Denn das war das Problem im vergangenen Jahr – die Bahn fand so schnell keinen Ersatz für die fehlenden Leute.
Aus Kirchners Sicht hilft es nicht, nur neues Personal einzustellen. Mitarbeiter müssten gut ausgebildet und dauerhaft an das Unternehmen gebunden werden. Die Bahn sei sensibler beim Thema ausreichendes Personal als früher, sagt Kirchner. Aber er will nicht ausschließen, dass sich Mainz nicht „irgendwann irgendwo“ wiederholen kann.
Der EVG-Chef nimmt sich auch den Umgang der Bahn mit der damaligen Krise vor. „Das Fatale war, dass man in der öffentlichen Darstellung versucht hat, von den eigenen Fehlern abzulenken und die Verantwortung den Mitarbeitern in die Schuhe zu schieben“, sagt Kirchner am Freitag in Mainz.
Nach Ansicht des Fahrgastverbandes Pro Bahn scheint die Deutsche Bahn aus dem Chaos gelernt zu haben. Er habe keine konkreten Befürchtungen, dass sich ein derart eklatantes Versagen wiederholen werde, sagt Pro-Bahn-Sprecher Gerd Aschoff.
Dass eine Landeshauptstadt über mehrere Wochen vom Bahnverkehr „abgeknipst wird“, ist für ihn allerdings auch ein Jahr später noch unbegreiflich. Im Bewusstsein der Menschen habe sich die unmögliche Situation damals eingegraben. Das große öffentliche Interesse an dem unrühmlichen Jubiläum spreche für sich.