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BRÜSSEL
Deutschland macht der EU Angst
Supernation: Der EU ist Deutschlands Exportstärke schon seit Langem ein Dorn im Auge.
Foto: thinkstock | Supernation: Der EU ist Deutschlands Exportstärke schon seit Langem ein Dorn im Auge.
Evangelischer Pressedienst
 |  aktualisiert: 26.04.2023 21:17 Uhr

Der Konjunktur-Motor brummt, Deutschlands ökonomische Stärke in der EU gilt als unbestritten. Trotzdem wächst der Druck auf die Bundesrepublik. „Es geht nicht darum, die deutsche Wirtschaft zu drosseln. Aber es geht sehr wohl darum, andere Länder an dem Wachstum teilhaben zu lassen“, sagte gestern ein hohes Mitglied des Finanzministerrates, der in Brüssel tagte. Kommissionskreise bestätigten, dass man „den Fall Deutschland derzeit besonders genau prüft“, nachdem die Zahlen des Jahres 2013 vorliegen.

Demnach ist der Leistungsbilanz-Überschuss weiter gewachsen und hat den höchsten Stand seit 2007 erreicht: Zwar ging der Export um 0,2 Prozent zum Vorjahr zurück, gleichzeitig sanken aber auch die Importe um 1,2 Prozent, so dass unterm Strich ein Plus von deutlich über sechs Prozent steht.

Die Finanzminister schlugen denn auch – gegen den Willen Berlins – deutliche Töne an: „Diese erhöhten Leistungsbilanzüberschüsse sind zusammen mit den Leistungsbilanzdefiziten anderer Mitgliedstaaten Schuld daran, dass der Euro-Raum von Ausgewogenheit weit entfernt ist“, heißt es im Schlussdokument. Die Kommission wurde aufgefordert, die „Ungleichgewichte“ zwischen den Mitgliedstaaten zu untersuchen und darauf zu drängen, dass diese korrigiert werden. Sinn dieser neuen Maßnahme: Man will verhindern, dass einige Mitgliedstaaten ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Auswirkungen bei ihren Nachbarn wachsen, sie sollen ihre Stärke zugunsten der ganzen Währungsunion einbringen. Dass Brüssel nicht nur ökonomisch schwache, sondern auch besonders starke Mitgliedstaaten unter die Lupe nimmt, ist Bestandteil der so genannten verstärkten Haushaltsüberwachung. Dabei geht es um die Frage, ob möglicherweise der Export die Einfuhr um mehr als sechs Prozent übersteigt. In Deutschland ist dies seit 2007 ununterbrochen der Fall. Nicht nur die US-Regierung, der Internationale Währungsfonds und etliche Nachbarstaaten beschweren sich schon seit Längerem über die negativen Folgen der Exportstärke der Bundesrepublik. Denn je mehr deutsche Produkte ausgeführt werden, umso geringer seien die Chancen der schwächeren Marktwirtschaften im Süden. „Wir leiden darunter, dass Deutschland den Markt beherrscht“, sagte gestern der Finanzminister eines EU-Mitgliedslandes im Süden. „Und wir leiden auch darunter, dass die Bundesrepublik so wenig einführt und konsumiert. Innerhalb einer Währungsunion darf es solche krassen Unterschiede nicht geben.“

Das sieht die Kommission genauso. Zwar hielt man sich im ersten Bericht zu den makroökonomischen Ungleichgewichten in der Euro-Zone noch mit konkreten Empfehlungen zurück. Intern aber heißt es, dass die Bundesregierung mehr tun müsse, um die Binnennachfrage anzukurbeln.

Soll heißen: Löhne rauf, Steuern und Abgaben runter. Dass bei Kraftstoff und Energie der Anteil der Abgaben teilweise deutlich über 50 Prozent liege, gilt in Brüssel als massives Hindernis für ein besseres Konsum-Klima.

Anders als erhofft, billigten die Finanzminister der 28 EU-Mitgliedstaaten die ersten Analysen der Kommission, bestärkten die Barroso-Mannschaft sogar noch in ihrem Kampf gegen „übermäßige Ungleichgewichte“. Für die Bundesrepublik heißt das: Sollte die Kommission tatsächlich in wenigen Wochen ein förmliches Verfahren eröffnen und dieses mit einer Rüge enden, könnte Deutschland seine übermäßige Stärke teuer zu stehen kommen. Ein Bußgeld dürfte bis zu 2,5 Milliarden Euro pro Jahr betragen.

Finanzsteuer startet als Aktiensteuer

Die europäische Finanzsteuer wird voraussichtlich als eine Abgabe auf den Aktienhandel starten. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sprach sich am Dienstag in Brüssel dafür aus, Derivate - das sind spekulative Finanzprodukte - mit einzubeziehen. „Wir wissen, dass eine schrittweise Einführung auch nicht das Optimum ist, aber es ist besser als gar nichts.“ Bei den deutsch-französischen Regierungsberatungen am Mittwoch in Paris wird das Thema eine wichtige Rolle spielen.

Schäubles französischer Amtskollege Pierre Moscovici sagte, bis zu den Europawahlen Ende Mai solle ein Vorschlag auf dem Tisch liegen. Die Ressortchefs der elf Mitgliedsstaaten, die die Abgabe einführen wollen, berieten über das Projekt. „Es ist noch Arbeit nötig, um einen Kompromiss zu erreichen“, so Moscovici. Schäuble äußerte sich nicht zum Zeitplan.

Es handelt sich um eine Abgabe auf Wertpapiergeschäfte zum Eindämmen von Spekulationen. Banken, Versicherungen oder Investmentfonds müssten nach bisherigen Plänen die Abgabe auf jede Transaktion zahlen. Die Steuer könnte laut EU-Kommission bei vollständiger Umsetzung etwa 34 Milliarden Euro pro Jahr in die Kassen der elf Staaten bringen, davon allein 12 Milliarden in Deutschland.

Die Kommission hatte vorgeschlagen, Geschäfte mit Aktien und Anleihen mit 0,1 Prozent und solche mit spekulativen Finanzprodukten (etwa Derivate) mit 0,01 Prozent zu besteuern. Es wollen auch Österreich, Belgien, Griechenland, Estland, Italien, Spanien, Portugal, Slowakei und Slowenien mitziehen.

Schäuble sagte, „dass wir vermutlich beginnen werden mit einer Besteuerung des Aktienhandels“. Das mache aber „nur Sinn, wenn man auch Derivate so weit einbezieht, dass man nicht mit irgendeiner Regulierung die Umgehungsmöglichkeiten schon kreiert hat(...)“. Österreich habe in der Elfer-Gruppe die Gesprächsführung übernommen.

Im Tauziehen mit dem Europaparlament über strittige Punkte beim Verfahren zur Abwicklung von Pleitebanken kommen die EU-Staaten in kleinen Schritten voran. „Ich habe schon den Eindruck, dass große Bereitschaft da ist, noch vor den Europawahlen (im Mai) zu einem Kompromiss zu kommen“, sagte Österreichs Ressortchef Michael Spindelegger. Auch Amtskollegen zeigten sich zuversichtlich. „Wir werden eine Lösung finden“, sagte Schäuble.

Die EU-Kassenhüter hatten sich im Dezember auf einen Rahmen für das Schließen oder Sanieren maroder Banken geeinigt. Ein gemeinsamer Topf soll dafür über zehn Jahre hinweg mit Bankengeldern aufgebaut werden und am Ende 55 Milliarden Euro umfassen. Damit soll verhindert werden, dass bei Bankenschieflagen wieder Steuerzahlergelder in Anspruch genommen werden.

Es zeichnen sich nun die ersten Kompromisslinien ab. Laut Spindelegger muss das Europaparlament hinnehmen, dass der gemeinsame Fonds für die Bankenabwicklung auf einem zwischenstaatlichen Vertrag beruht. Dieser Punkt sorgt auch innerhalb der Volksvertretung für Meinungsverschiedenheiten. Der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold und die liberale Parlamentarierin Sylvie Goulard kritisierten Parlamentschef Martin Schulz (SPD). Dieser hatte in einem Interview der Tageszeitung „Die Welt“ signalisiert, unter bestimmten Bedingungen die zwischenstaatliche Lösung hinzunehmen. „Martin Schulz stellt demokratische Rechte des Europaparlaments zur Disposition“, so die beiden Abgeordneten. Sie warfen Schulz vor, sich „in die Verhandlungstaktik einzumischen“.

Auf der anderen Seite zeigen sich die Minister beweglich. So könnten die sehr komplizierten Entscheidungswege vereinfacht werden, sagte Moscovici. Es sei auch denkbar, dass der Bankenfonds auch selbst Kredite aufnehmen könne. Nach Angaben von Diplomaten könnte eine solche Variante ins Spiel kommen, falls die Fondsgelder nicht ausreichten. Zudem wird darüber nachgedacht, den Fonds früher als bisher geplant als eine gemeinsame europäische Einrichtung zu führen. Die Europäische Zentralbank hatte darauf gedrungen, den Fonds schon innerhalb von fünf Jahren vollständig aufzubauen.

Die Chefin der neuen Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB, Daniele Nouy, informierte die Ressortchefs über den Aufbau der neuen Behörde. Die Aufsicht soll Anfang November starten und rund 130 große Geldhäuser der Eurozone direkt überwachen. Damit soll nach Jahre der Krise das Vertrauen in Europas Finanzbranche gestärkt werden. • dpa-Notizblock •• Redaktionelle Hinweise - Fragen und Antworten zu konkreten Schritten beim Aufbau der Bankenunion bis 1700 - ca. 45 Zl •• Internet - [Tagesordnung EU-Finanzministertreffen, Montag/Dienstag](dpaq.de/ymFfL) - [Mitteilung Giegold/Goulard](dpaq.de/QYD3X) •• Orte - [EU-Ministerrat](Rue de la loi 175, 1048 Brüssel) * * * * Die folgenden Informationen sind nicht zur Veröffentlichung bestimmt •• dpa-Kontakte - Autoren: Kristina Wienand, , +32 2 234 6467 (Brüssel), Christian Böhmer, - Redaktion: Friederike Marx (Frankfurt/Main), +49 69 271634117, dpa wik/cb xx z2 mar

 
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