Schöne Bescherung. Für die Deutsche Bank kommt es kurz vor Weihnachten knüppeldick: Am Mittwoch Steuerermittlungen gegen Vorstandschef Jürgen Fitschen samt Razzia in der Konzernzentrale, am Donnerstag eine Gewinnwarnung – und am Freitag auch noch die Verurteilung zu Schadenersatz im Kirch-Prozess. Das Oberlandesgericht München verdonnerte Deutschlands größte Bank dazu, den Kirch-Erben den Schaden durch die Insolvenz des Film- und Fernsehkonzerns 2002 zu ersetzen, den der damalige Bankchef Rolf Breuer mit seinem legendären Fernsehinterview angerichtet haben soll.
Breuer hatte damals gesagt: Nach allem, was man lesen und hören könne, halte er es für fraglich, dass die Banken dem mit 6,5 Milliarden Euro verschuldeten Kirch noch frische Kredite gäben. Für Richter Guido Kotschys Senat war das eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung mit dem Ziel, Kirch unter Druck zu setzen und einen lukrativen Sanierungsauftrag zu bekommen.
Wie hoch der Schaden aber ist, ließ das Gericht offen. Irgendwo zwischen 120 Millionen und 1,5 Milliarden Euro, hatte es geschätzt. Aber das sollen nächstes Jahr zwei Gutachter klären. Auf jeden Fall werde es mehr als die 775 Millionen, die Kotschy zu Beginn des Prozesses als Vergleich vorgeschlagen hatte, sagte Kirch-Anwalt Peter Gauweiler: „Dazu haben wir heute zu viel zugesprochen bekommen“. Das Urteil sei ein riesiger Erfolg. Umso länger waren die Gesichter bei der Deutschen Bank. „Sicher ein Rückschlag“, sagte Anwalt Peter Heckel und griff das Gericht scharf an: Es habe sich relativ früh festgelegt, zum Teil schon vor der Beweisaufnahme. „Wenn man das objektiv sieht, kann man das nur sehr schwer nachvollziehen“, sagte Heckel. Wie schlimm das Urteil für die Bank werden kann, lässt sich an einem letzten Antrag ihrer Anwälte ablesen: Wenn die von den Klägern geforderten zwei Milliarden Euro sofort vollstreckt würden, könnte das die Zahlungsverkehrsdienstleistungen für die Bankkunden massiv beeinträchtigen, warnten sie. Und dem mitverklagten Breuer drohe die Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz. Richter Kotschy ließ zwar keine Revision zu – aber dagegen wird die Bank Beschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) einlegen. „Das ist noch nicht das Ende vom Lied“, betonte Anwalt Heckel. Außerdem könnten die Gutachter feststellen, dass die Insolvenzverwalter Kirchs Erbe zu Marktpreisen verkauft hätten – also gar kein Schaden entstanden sei. Für den 64-jährigen Kotschy wäre ein rechtskräftiger, abschließender Vergleich ein großer Erfolg zum Abschluss seiner Karriere gewesen. Seit zehn Jahren tobt der Kampf Kirch gegen Deutsche Bank in Gerichtssälen und auf Hauptversammlungen, mehr als 50 Prozesse hat Kirch gegen die Bank angestrengt. Aber Kotschys Prozess war in jeder Hinsicht ungewöhnlich. Der ehemalige Strafrichter hörte sich nicht nur beide Seiten an und fällte dann sein Urteil, sondern er bohrte selbst nach. Mit Blick auf frühere Gerichtsurteile bis hin zum Bundesgerichtshof (BGH) sagte er, sein Senat habe neue Ansätze zur Aufklärung genutzt: „Wir haben mehr Erkenntnisse, mehr Beweisaufnahme.“ Der bereits todkranke Leo Kirch, Verlegerin Friede Springer, der damals noch an der Spitze der Deutschen Bank stehende Josef Ackermann und Ex-Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff zählten zur Schar der prominenten Zeugen, die Kotschy aufmarschieren ließ. Nur Altkanzler Gerhard Schröder ließ mitteilen, er werde von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen.
Und der mitbeklagte Breuer musste bei fast jedem Termin persönlich erscheinen. Der 75-jährige schien fast auf der Anklagebank zu sitzen. Seine Erklärungen zu dem Interview seien nicht glaubhaft, hatte Kotschy ihm vorgehalten – und der keilte am vorletzten Prozesstag zurück, ungeheuerliche und ehrenrührige Unterstellungen seien das. Der Urteilsverkündung blieb er fern.
In der Steueraffäre hat Konzernchef Jürgen Fitschen unterdessen Fehler eingeräumt, sieht sich selbst aber zu Unrecht von Staatsanwälten verfolgt. Von Rücktritt will der Manager nach der Razzia nichts wissen – im Gegenteil: Fitschen will für Aufklärung sorgen und den angekündigten Kulturwandel bei der Deutschen Bank forcieren.