Fünf Tage danach findet das Viertel nur langsam zurück zur Normalität: Zwei Tote, 22 Verletzte und drei eingestürzte Wohnhäuser – das ist nach bisherigem Ermittlungsstand die schreckliche Bilanz einer Gasexplosion, die am letzten Donnerstag das New Yorker East Village erschütterte. Noch immer sind Teile der Ausgehmeile St. Marks Place abgesperrt, viele Anwohner ringen weiter um Fassung. „Der Schock sitzt tief“, sagt eine Nachbarin.
Auf den ersten Blick ist die Katastrophe ein lokales Ereignis, doch bei näherer Betrachtung zeigt sie die Abgründe der desolaten US-Infrastruktur insgesamt auf. Straßen, Brücken, Dämme, Flug- und Seehäfen – vieles von dem, wo sich das öffentliche Leben der Vereinigten Staaten abspielt, ist in marodem Zustand. Experten warnen schon lange vor den Risiken, dennoch bleibt eine entschlossene Reaktion seit Jahren aus.
Die Gründe sind vor allem politisch. Als Ursache der Explosion in Manhattan gilt eine defekte Gasleitung. So etwas ist in New York keine Ausnahme. Die Versorgungssysteme sind veraltet und haben dringenden Überholungsbedarf. „Dies ist ein sehr wichtiger Moment, um unsere Situation mit Blick auf unsere Gebäude und Infrastruktur zu prüfen“, sagt Bürgermeister Bill de Blasio. Vor einem Jahr tötete eine Gasexplosion in Harlem acht Menschen. Die Tragödie im East Village scheint zwar durch Gasleitungen im Gebäude ausgelöst worden zu sein, für die der Eigentümer zuständig war. Doch auch für die Stadt und ihre Behörden sollte der Unfall ein Weckruf sein, meint Experte Adam Forman vom Center for an Urban Future. Einer Studie der Denkfabrik zufolge wurde mehr als die Hälfte der öffentlichen Gasleitungen in New York vor 1960 verlegt. „Es sind diese Leitungen, durch die – entweder durch Korrosion oder mangelhafte Installation – die meisten gefährlichen Gaslecks entstehen“, warnt Forman. Zwar sei es den beiden großen Versorgern ConEdison und National Grid gelungen, die Lecks seit 2003 um 30 Prozent zu reduzieren. Doch die Lage bleibe kritisch. Und Gasleitungen sind nicht das einzige Problem. In New York haben laut Forman 184 Brücken – von denen etliche als mangelhaft gelten und einsturzgefährdet sein könnten – und über 1600 Kilometer an Wasserleitungen mehr als 100 Jahre auf dem Buckel. Auch große Teile des U-Bahn-Systems seien veraltet. Die Kosten, um die Infrastruktur in Ordnung zu bringen, werden in Formans Untersuchung auf 47,3 Milliarden Dollar taxiert. Aber nicht nur die Ostküstenmetropole kämpft mit Verfall, ganz Amerika ist betroffen. Meldungen über einstürzende Brücken oder Unfälle durch riesige Schlaglöcher gibt es in den USA immer wieder. Die weltgrößte Volkswirtschaft findet sich im Infrastruktur-Ranking des World Economic Forum auf Platz 16 – hinter Ländern wie Portugal und Spanien, die in den letzten Jahren massiv sparen mussten. „Warum kümmern wir uns erst darum, wenn es zu Tragödien kommt?“, fragt Analyst Robert Puentes von der Brookings Institution.
Das Problem sei vor allem die Instandhaltung, meint der Experte. „Wir machen einen super Job, wenn es darum geht, neue Sachen zu bauen.“ Nachdem die Objekte dann von Politikern eingeweiht würden, kümmere sich aber häufig keiner mehr drum. Die Bestandspflege koste viel Geld, aber niemand in Washington wolle sich mit Steuererhöhungen bei den Wählern unbeliebt machen. Am deutlichsten wird das Dilemma im sogenannten Highway Trust Fund, der für den Großteil der Reparaturen an Straßen, Brücken und am restlichen Verkehrs- und Schienennetz aufkommt. Der Topf wird über die Benzinsteuer finanziert, deren Anhebung die Politik seit 1993 scheut. Dem Fonds droht deshalb schon seit Jahren das Geld auszugehen.