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Berlin
Der beste Sicherheitsgurt ist die Ampel
In welchem Müsli sind weniger Dickmacher? Welcher Joghurt hat mehr Zucker? Kunden sollen das leichter auf der Packung sehen können - am besten auf einen Blick.
Auf einer Packung Joghurt ist der Nutri-Score zu sehen. Die Verbraucherorganisation Foodwatch fordert eine rasche Entscheidung für ein neues farbliches Nährwert-Logo für Fertigprodukte. 
Foto: Christophe Gateau, dpa | Auf einer Packung Joghurt ist der Nutri-Score zu sehen. Die Verbraucherorganisation Foodwatch fordert eine rasche Entscheidung für ein neues farbliches Nährwert-Logo für Fertigprodukte. 
Stefan Lange (51) ist neuer Leiter des Hauptstadtbüros unserer Zeitung. Zuvor arbeitete er als Teamleiter Politik im Berliner Büro von Dow Jones Newswires und dem Wall Street Journal. Lange ist seit 2001 in Berlin und hat dort unter anderem bei verschiedenen Nachrichtenagenturen gearbeitet. Davor war der gebürtige Friese zwölf Jahre lang als Volontär und Redakteur bei einer Tageszeitung in Jever beschäftigt.
Stefan Lange
 |  aktualisiert: 03.06.2019 02:11 Uhr

Die Ampel funktioniert bei den Deutschen nicht nur im Straßenverkehr, sie erfüllt auch bei Lebensmitteln ihren Zweck: Von den weltweit üblichsten Arten zur Kennzeichnung vernünftiger und weniger vernünftiger Lebensmittel ist der sogenannte Nutri-Score einer Studie zufolge das von den Bundesbürgern akzeptierteste Modell. Der Score mit seinen fünf Abstufungen von Grün bis Rot, ergänzt um die Buchstaben A bis E, sei die verständlichste Nährwertkennzeichnung, heißt es in einer neuen Untersuchung der Universität Paris-Nord, die von der Lobbyorganisation Foodwatch vorgestellt wurde. Foodwatch verlieh dabei seiner Forderung an die Bundesregierung Nachdruck, die Nutri-Score-Ampel auch in Deutschland einzuführen.

Aus Paris war die Studienautorin Chantal Julia gekommen um zu erklären, dass der Nutri-Score den „höchsten messbaren Einfluss auf die Verbraucher“ hat. Eine nicht ganz so weite Anreise hatte der Ernährungsexperte Joachim Spranger von der Charité Berlin, der sich wie Julia als Ampel-Fan zeigte und dafür einige Gründe ins Feld führte.

Kampf für eine bessere Ernährung

Spranger verwies auf die „beängstigende Zunahme an ernährungsbedingten Erkrankungen“ in Deutschland. Diabetes und Übergewicht etwa sind auf dem Vormarsch und „von daher ist es wichtig, dass man in irgendeiner Form eingreift“, betonte der Direktor der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin. Der Kampf für eine bessere Ernährung könne individuell mit dem betroffenen Patienten ausgefochten werden oder allgemein über eine Ansprache der Bevölkerung. Spranger nutzte das Bild vom Sicherheitsgurt im Auto, von dem alle Bürgerinnen und Bürger inzwischen wüssten, dass er Leben retten könne.

Sprangers bildhafter Vergleich war auch deshalb zielführend, weil sich seinerzeit bei der Einführung des Sicherheitsgurtes eine Empörung erhob, die mit der Situation bei der Lebensmittelampel einigermaßen vergleichbar ist. Denn der Nutri-Score, so einfach er auch aussieht, ist schwer umstritten.

Der Grund dafür: Die Lebensmittelbranche ist ein milliardenschweres Geschäft. Über die großen Konzerne wie Nestlé oder Coca Cola hinaus tummeln sich zahlreiche Mit-Esser auf diesem Gebiet, jeder will ein Stück vom hart umkämpften Kuchen abhaben. Foodwatch etwa sah sich bei seiner eigenen Pressekonferenz mit Gegenargumenten konfrontiert, die laut Selbstauskunft von einer Vertreterin des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) vorgetragen wurden, eine Organisation, die sich seit wenigen Tagen „Lebensmittelverband Deutschland“ nennt und die gegen die Ampel ist. Die darauf folgende verbale Auseinandersetzung war einerseits wegen ihrer Absurdität unterhaltsam, zeigte gleichzeitig aber auch, mit welchen Mitteln Ampel-Gegner und Ampel-Befürworter gegeneinander kämpfen.

Kritiker kritisieren Berechnung

Den Boden für eine Ampel könnte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner bereiten, doch die CDU-Politikerin hat sich bei dem Thema ein Stopp-Schild verordnet, wie Foodwatch kritisiert. Große Konzerne würden den Nutri-Score bereits verwenden, erklärte die Foodwatch-Expertin Luise Molling. Klöckner jedoch lasse das kalt, für sie sei kein Modell optimal, die CDU-Politikerin müsse sich noch umschauen. „Sie vergeudet damit Zeit und ignoriert die wissenschaftliche Faktenlage“, sagte Molling und rief die Bundesregierung erneut dazu auf, Nutri-Score in Deutschland auf freiwilliger Ebene einzuführen.

Kritiker monieren unter anderem die Berechnung des Nutri-Scores. Ein Algorithmus ermittelt die positiven und schlechten Eigenschaften eines Lebensmittels und stellt dann die Ampel – sie wird deutlich sichtbar auf der Vorderseite des Produkts und zusätzlich zur Nährwerttabelle aufgedruckt - entweder auf Grün, Gelb oder Rot oder auf einen Wert dazwischen. Diese Berechnung sei undurchsichtig, meckern die Ampel-Gegner. Befürworter wie Charité-Professor Spranger hingegen argumentieren, die Ampel helfe „eindeutig, um zu erkennen, was gesund ist und was nicht gesund ist“.

Wobei die Ampel offenbar nicht nur den Verbrauchern hilft. In Frankreich, wo die Ampel längst eingeführt ist, dient sie auch den Herstellern als Orientierungshilfe. Wer ständig ein leuchtendes Rot auf seine Verpackungen drucken muss, so hat es Chantal Julia beobachtet, der bemüht sich schnell um eine andere, gesündere Zusammensetzung seines Produkts.

 
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