Wirtschaft ist zur Hälfte Psychologie. Deshalb beißen sich Kanzlerin Angela Merkel und ihr Wirtschaftsminister Peter Altmaier (beide CDU) auf die Zunge. Nur nicht viel davon sprechen, dass der zehn Jahre währende Aufschwung austrudelt. Denn eine intensive Debatte, so ihre Befürchtung, würde die derzeitige Flaute erst recht zu einem Abschwung verschärfen - als selbsterfüllende Prophezeiung. „Wir werden situationsgerecht reagieren.“ Das ist alles, was Merkel bislang dazu gesagt hat. Ein großes Konjunkturpaket zum Anschieben der Wirtschaft hat weder sie noch Altmaier im Sinn.
Auch Finanzminister Olaf Scholz will sein Pulver trocken halten, um im schweren Ernstfall mit 50 Milliarden Euro antworten zu können. Davon sehen die Spitzen des Kabinetts das Land aber noch weit entfernt. Dennoch nähren die stetig fallenden Konjunkturbarometer die Zweifel, ob Abwarten klug ist. Die Koalition hat zwar soeben die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für 90 Prozent der Steuerzahler beschlossen, aber die Steuererleichterung greift erst übernächstes Jahr.
IWF wundert sich über Deutschland
Auf der internationalen Bühne ist man verwundert über die Zurückhaltung der Bundesregierung. Aus Sicht des Internationalen Währungsfonds sitzt Deutschland auf Koffern voll Geld und müsste diese nur öffnen, um die Nachfrage zu beleben. An den Finanzmärkten könne sich der Bund Geld leihen und müsse wegen der Minus-Zinsen sogar weniger an die Gläubiger zurückzahlen. Die Mittel könnten in den Ausbau von Glasfasernetzen für ultra-schnelles Internet, neue Straßen und Schienen, Stromleitungen oder in eine üppige Förderung der Elektro-Mobilität gesteckt werden.
Die Kanzlerin und der Wirtschaftsminister halten nichts davon. Ein ausgeglichener Haushalt ist der letzte Rest traditioneller CDU-Werte, die unter Merkels Ägide übrig geblieben sind. Konservative können mit Geld umgehen, lautet das dahinter liegende Versprechen. Altmaier setzt darauf, den Unternehmen hierzulande das Leben leichter zu machen. Vorschläge dazu hat er in seiner Mittelstandsstrategie ausarbeiten lassen, die er gerade bei einer Unternehmensreise präsentiert. Der Saarländer will die Bürokratie stutzen, die tägliche Höchstarbeitszeit ausweiten, den Zugang für ausländische Fachkräfte erleichtern. Er würde auch gerne die Steuern senken für die Unternehmen, trifft aber auf einen Koalitionspartner, der die Steuern für Unternehmer erhöhen will.
Technische Rezession droht
Paradoxerweise könnte es dem Minister helfen, wenn die Wirtschaft auch im dritten Quartal schrumpft, worauf die Konjunkturindikatoren hindeuten. Deutschland würde dann in eine sogenannte technische Rezession rutschen. So nennen es Ökonomen, wenn die Wirtschaftsleistung zwei Quartale nacheinander fällt. Dann erhöhte sich der Druck auf die Regierung, gegenzusteuern. Bei Arbeitszeit und Bürokratie wehrt die SPD bisher die Wünsche der Union ab.
Im Unternehmerlager sind die Forderungen uneinheitlich. Der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW), Mario Ohoven, forderte am Freitag ein großes Wachstumspaket. Der Bundesverband der Industrie spricht sich dafür aus, für Investitionen in die Zukunft des Landes die Schwarze Null fahren zu lassen.
Mittelstand wünscht sich Steuersenkungen
Einzelne Unternehmer, die der Wirtschaftsminister bei seiner Mittelstandstour trifft, äußern sich hingegen skeptisch. „Konjunkturpakete lösen ja oft nur Strohfeuer aus“, sagt Roland Bent, Geschäftsführer Technik von Phoenix Contact aus Ostwestfalen. Das Unternehmen stellt mit 15 000 Mitarbeitern elektrische Verbindungstechnik her, also Stecker, Klemmen, Kabelführung. Phoenix ist eine dieser in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannten Firmen, die aus Deutschland die ganze Welt beliefern. Bent wünscht sich, dass die Politik die Möglichkeit für Kurzarbeit weit auslegt und Cluster fördert, die Unternehmen und Hochschulen zusammenbringt. Für wirkungsvoller als über Kredite finanzierte Ausgabenprogramme hält Bent Steuersenkungen. „Es wäre schon hilfreich, würde uns der Staat fiskalisch entgegenkommen“, verpackt er seine Forderung an die Bundesregierung in diplomatische Worte. Der Chef des Türen- und Fensterbauers Schüco sieht das genauso. „Steuererleichterungen wirken sofort, weil sie Kräfte freisetzen“, meint Andreas Engelhardt.
Den Herzenswunsch der beiden Unternehmer wird ihnen der Wirtschaftsminister nicht erfüllen können, auch wenn er ihn in sein eigenes Konzept für den Mittelstand geschrieben hat. Die SPD ist nicht bereit, die Steuern für die Wirtschaft zu senken. Um die Stimmung zu verbessern, will Altmaier Schritt für Schritt kleine Verbesserungen erreichen. Sollte Großbritannien die EU mit einem Knall verlassen und Donald Trump den Handelskrieg eskalieren, könnte das zu wenig sein. Aber dann dürfte sich auch die politische Debatte drehen und die Regierung nimmt eventuell doch jene Milliarden in die Hand, über die sie bislang schweigt.