„Die Zahlen stimmen hinten und vorne nicht“, urteilt der Repräsentant eines großen deutschen Konzerns aus einer Schlüsselbranche in China über die offiziellen Wachstumsdaten von 7,8 Prozent im vergangenen Jahr. „Es war weniger, und wir erwarten ein weiteres schwieriges Jahr.“ Als Beleg dienen ihm Indikatoren wie der Energieverbrauch oder die enttäuschende Geschäftsentwicklung des eigenen Unternehmens und der Konkurrenz, die auf langsameres Wachstum der Realwirtschaft schließen lassen.
Ähnlich schätzt auch ein hoher Manager eines großen Autoproduzenten, dass das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft in Wirklichkeit „niedriger“ ist als offiziell angegeben. Zweifel daran, ob statistische Daten aus China fundiert sind oder doch nach Interessenlage gesteuert werden, kommen immer wieder hoch. So lösen auch die Zahlen über Chinas „Wirtschaftswunder“ Skepsis bei internationalen Ökonomen und Analysten aus. Als Beleg dient ihnen, dass die Summe der für 2012 gemeldeten Daten der 31 Provinzen mit 57,6 Billionen Yuan deutlich über die vom Statistikamt in Peking errechnete Gesamtzahl für das Land mit 51,9 Billionen hinausgeht – um satte 5,7 Billionen Yuan, umgerechnet 700 Milliarden Euro. Experten witzeln, ob es in China noch irgendwo eine boomende 32. Provinz gebe, die Peking vielleicht übersehen habe. Gerade wenn das Wachstum wie 2012 auf den niedrigsten Stand seit 13 Jahren fällt und ein Führungswechsel wie jetzt ansteht, wird gerne geschönt, wie den Statistikern wohl bewusst sein dürfte. Aber auch die Faktoren, mit denen gerechnet wird, sind Ökonomen zufolge unzuverlässig oder veraltet. So errechnet Ökonom Stephen Green von der Standard Chartered Bank, dass die chinesische Wirtschaft im vergangenen Jahr sogar nur um 5,5 Prozent gewachsen sein könnte. Er argumentiert, dass die höhere Inflation im unterbewerteten und unzureichend erfassten Dienstleistungssektor das reale Wachstum stark gebremst habe. Auch der Rückgang der Importe deutet auf Probleme der Binnenwirtschaft hin.
Wie zu Zeiten sozialistischer Planwirtschaft stützen sich offizielle Statistiken heute noch vor allem auf Investitionen und Industrieproduktion. Was ein Haushalt ausgibt, wie viel Geld ihm bleibt, wie die Mieten steigen und die Gesundheitskosten explodieren, wird erst gar nicht erfasst. Der künftige Regierungschef Li Keqiang, der am Freitag auf der Jahrestagung des Volkskongresses ins Amt kommt, hatte schon in seiner Zeit als Parteichef der Provinz Liaoning eingeräumt, dass Chinas Wachstumszahlen „von Menschenhand geschaffen“ und nicht verlässlich seien. Er schaue sich lieber den Energieverbrauch, das Frachtaufkommen oder die Kreditvergabe an, sagte Li Keqiang 2007 in einem Gespräch mit dem US-Botschafter, wie Wikileaks zufolge aus US-Dokumenten hervorgeht.
Für das neue Jahr gibt die Regierung wie im Vorjahr 7,5 Prozent Wachstum als Ziel vor. Viele Analysten nehmen die offiziellen Zahlen als Bezugsgröße und erwarten, dass diese Vorgabe übertroffen werden dürfte. Die Regierung setzt - wegen des Rückgangs der Nachfrage nach chinesischen Exportgütern – weiter auf massive staatliche Investitionen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Schon seit dem vierten Quartal 2012 sprießen erste Keime einer konjunkturellen Erholung. Doch machten die Zweifel an den amtlichen Wachstumszahlen deutlich, „dass der Boden, aus dem sie erwachsen, schlechter war als offiziell berechnet“, heißt es bei Standard Chartered.