Der Traum von einem europäischen „Champion im Schienenverkehr“ ist ausgeträumt: Am Mittwoch untersagte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager den Zusammenschluss der beiden Konzerne Siemens und Alstom. Die beiden wollten ihre Bahnsparten miteinander verschmelzen und vor allem im Milliardengeschäft mit Hochgeschwindigkeitszügen zum chinesischen Weltmarktführer CRRC aufschließen. „Ohne ausreichende Abhilfemaßnahmen hätte der Zusammenschluss zu höheren Preisen für Signalanlagen, die die Sicherheit der Fahrgäste gewährleisten, und für die nächste Generation von Hochgeschwindigkeitszügen geführt“, sagte Vestager. Mit diesen Befürchtungen stehen die EU-Wettbewerbshüter nicht alleine. Es habe zahlreiche Einwände von Wettbewerbern gegeben, bekräftige Vestager.
Aber vor allem hatten die nationalen Kartellämter – darunter sowohl das deutsche wie auch das französische – die Bahn-Ehe abgelehnt. Siemens und Alstom schlugen frühzeitige Warnungen der Kommission in den Wind. Die hatte schon vor Wochen verlangt, dass beide Konzerne andere Unternehmensteile in eine selbstständige Gesellschaft einbringen sollten, um den Wettbewerb nicht völlig zum Erliegen zu bringen. Ohne Zugeständnisse wäre nämlich „in der Sparte Signalanlagen und Eisenbahn-Signaltechnik“ ein weiteres Monopol entstanden. Schließlich, so die Kommission, hätten Siemens und Alstom zum Beispiel bei dem automatischen Zugsicherungssystem ETCS faktisch den Markt bestimmt. Davon wäre im Übrigen auch der gesamte Bereich der Signalanlagen für den Betrieb von U-Bahnen betroffen gewesen. Bei den Hochgeschwindigkeitszügen hätten das deutsche und das französische Unternehmen die Nase vorn gehabt.
Kritik aus der Politik
Damit nicht genug. Zwar hatten Siemens und Alstom eingelenkt und vorgeschlagen, die Signaltechnik auszulagern. Betroffen gewesen wären vier Prozent des geplanten neuen Unternehmens mit einem Jahresumsatz von 600 Millionen Euro. Allerdings arbeitet man offensichtlich nicht sauber: „Der Käufer dieser Unternehmensteile wäre weiter abhängig gewesen“, heißt es in einer Mitteilung der Kommission. Und auch bei den Zügen unter 250 km/h wie dem Pendolino, den Alstom bereit war abzugeben, wäre es zu keiner wirklichen Neuausrichtung gekommen. „Die geplante Lizenz unterlag zahlreichen restriktiven Bedingungen und Ausnahmeregelungen, die dem Käufer weder die Möglichkeit noch einen Anreiz gegeben hätte, überhaupt einen Hochgeschwindigkeitszug zu entwickeln.“
Zukunft von Europas Bahnindustrie ungewiss
Als „Rückschlag für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie“ verurteilte Daniel Caspary, Chef der CDU-Abgeordneten im EU-Parlament, die Entscheidung. Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der europäischen Grünen, nannte die Ablehnung ein „böses Eigentor“, weil man sich die Frage stellen müsse, ob Europas Bahnindustrie in Zukunft noch in der Champions League der Konzerne eine Rolle spielen werde. Die Kommission sieht das anders. Sie habe die Pläne auch im Licht „des europäischen Wettbewerbsumfeldes“ geprüft. Das Ergebnis: Bei Signalanlagen spielen chinesische Hersteller in Europa keine Rolle, sie haben „bislang noch nicht einmal versucht, an einer Ausschreibung teilzunehmen“. Und auch bei den Hochgeschwindigkeitszügen sei es „höchst unwahrscheinlich“, dass China „in absehbarer Zeit Wettbewerbsdruck auf die beteiligten Unternehmen ausüben“ könne.