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Karlstadt
Bidirektionales Laden: Wann zapft die Wallbox auch Strom aus dem E-Auto?
Fahrzeugakkus sind bei gleicher Kapazität viel günstiger als stationäre Akkus. Rentner aus Main-Spessart wollen E-Autos deshalb als Pufferspeicher nutzen. Warum das in Deutschland nicht geht.
Bisher sind in Deutschland nur Wallboxen auf dem Markt, die vom Netz oder Haus zum Auto laden können, nicht umgekehrt. Autos aber könnten als mobile Stromspeicher das Stromnetz stützen.
Foto: Thomas Obermeier | Bisher sind in Deutschland nur Wallboxen auf dem Markt, die vom Netz oder Haus zum Auto laden können, nicht umgekehrt. Autos aber könnten als mobile Stromspeicher das Stromnetz stützen.
Karl-Heinz Haase
Karlheinz Haase
 |  aktualisiert: 01.12.2021 02:27 Uhr

Fünf Rentnern aus dem Karlstadter Ortsteil Gambach (Lkr. Main-Spessart) lässt es keine Ruhe, dass  Wandladestationen den Strom nur in eine Richtung fließen lassen: vom Stromnetz zum Auto. Sie überlegen, sich Elektroautos anzuschaffen, und sagen: "Aber wenn, dann wollen wir den Batteriespeicher der Autos auch in die andere Richtung nutzen." Dann würde also Strom auch mal vom Auto ins Haus oder ins Stromnetz zurückfließen.

Einzige technischen Voraussetzung dafür: Das Fahrzeug und die Wallbox müssen bidirektional laden können. Dass diese  Technik in Deutschland noch nicht auf dem Markt eingeführt ist, empört Dietmar Baus, Elektrotechniker im Ruhestand, Michael Haas und ihre Gleichgesinnten: "Wir diskutieren das immer wieder und verstehen nicht, warum das nicht möglich ist."  

Das Ziel: Strom der Photovoltaikanlage für späteren Bedarf speichern

Der Hintergrund: Die Gambacher haben Photovoltaikanlagen auf ihren Hausdächern. Kommt mehr Strom vom Dach, als im Haus benötigt wird, verkaufen sie ihn ins öffentliche Netz. Denn sie haben keine eigenen Batteriespeicher, um den Strom für den späteren Eigenbedarf "aufzuheben". Ein solcher ortsfester Speicher mit einer Kapazität von zehn Kilowattstunden würde zwischen 8000 und 10 000 Euro kosten, sagt Baus. Der Akku eines Elektroautos zum etwa gleichen Preis habe eine durchschnittlich fünfmal so hohe Speicherkapazität. Was sei also naheliegender, als den Akku des Autos zu nutzen, statt sich einen ortsfesten Speicher anzuschaffen?

Bernd Mehler, Michael Haas und Dietmar Baus aus dem Karlstadter Stadtteil Gambach würden gerne E-Autos als mobile Speicher für den Strom aus ihren Photovoltaikanlagen nutzen. 
Foto: Thomas Obermeier | Bernd Mehler, Michael Haas und Dietmar Baus aus dem Karlstadter Stadtteil Gambach würden gerne E-Autos als mobile Speicher für den Strom aus ihren Photovoltaikanlagen nutzen. 

Die Idee: Durch Auto-Akkus könnte Strombedarf zu Spitzenzeiten ausgeglichen werden

Die Akkus der E-Autos hätte nicht nur für sie selbst Vorteile, sagen die Gambacher. Sie könnten auch als Puffer für das öffentliche Stromnetz dienen. Wird dort zeitweise gerade viel benötigt, könnte Strom aus den vielen einzelnen Autobatterien eingespeist werden. 

"Ich könnte meinem Auto zum Beispiel erlauben, dass es sich bei Bedarf zu 20 Prozent entladen lässt", sagt Dietmar Baus."Das würde das Problem der Spitzenlast im Stromnetz entschärfen." Die Stromspitze im Niederspannungsnetz ist nicht mehr wie früher am späten Vormittag, als die Elektroherde eingeschaltet wurden. Heute liefern zu dem Zeitpunkt Photovoltaikanlagen den meisten Strom, doch der höchste Strombedarf hat sich in die Abendstunden verlagert. 

Bidirektionales Laden: Wann zapft die Wallbox auch Strom aus dem E-Auto?

Der Fahrzeug-Markt: Was die Autobauer sagen  

Der Sprecher der Daimler AG lobt das Modell der "Schwarm-Speicherung", das sich einer Vielzahl von Fahrzeugbatterien bedienen könnte. Mit dem Modell EQS werde in Japan auch bidirektionales Laden möglich sein. Der Volkswagensprecher lobt, die Technik würde Kosten und CO2 sparen. Der neue VW ID.5 sei "grundsätzlich auch für bidirektionales Laden befähigt", doch sei Voraussetzung "eine entsprechende Wallbox". Bei Renault heißt es: "Gegenwärtig vermarkten wir das bidirektionale Laden nicht." Aber man teste in anderen Ländern Prototypen. Opel winkt ab. Nissan berichtet von zwei Modellen, die "bereits seit 2013" bidirektional laden können. Auch Modelle von Mitsubishi und Kia sind dazu in der Lage.

Warum es in Deutschland noch keine bidirektionalen Wallboxen gibt

In England und manchen anderen Ländern gibt es bidirektionale Wallboxen, in Deutschland nicht. Auch Stefan Schinagl, Sprecher der Energieversorgung Lohr, Karlstadt und Umgebung, hält die Technik für sinnvoll, sagt aber: "Es ist aufgrund der Regularien in Deutschland noch nicht erlaubt." Er nennt ein Beispiel: "Da könnte jemand kostenlos von seinem Arbeitgeber tagsüber Strom für sein Auto beziehen, fährt dann nach Hause, speist ihn ins Netz ein und bekommt dafür die von der EEG-Umlage subventionierte Einspeisevergütung – weil der Stromzähler denkt, die Energie komme vom Dach."

"Blockade" durch Energieversorger? Was ein Energiekonzern sagt

Der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell aus Hammelburg (Lkr. Bad Kissingen), einer der Urheber des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gilt, kritisiert, die konventionellen großen Energieversorger würden das bidirektionale Laden blockieren. Der Energiekonzern E.ON weist diesen Vorwurf "mit Nachdruck zurück".  Auf Nachfrage heißt es: "Wir führen bereits seit mehreren Jahren zahlreiche Projekte durch, um entsprechende Lösungen künftig auch einer breiten Zielgruppe anbieten zu können." Es gebe derzeit aber noch keine technische Norm für das bidirektionale Laden mit dem CCS-Anschluss, der in Europa hauptsächlich bei E-Autos verwendet wird.

Wie der Strommarkt aussieht

Der Geschäftsführer der Stadtwerke Haßfurt, Norbert Zösch, kritisiert ähnlich wie Fell: "Diese Technik ist nicht gewollt bei uns, weil dann der komplette Strommarkt ein ganz anderer wird." Dezentralität sei für die Großversorger uninteressant, denn: "Wenn jemand zu Hause Strom selbst erzeugt, fallen keine Abgaben an." Durch das Auto könnten Verbraucher sogar Geld verdienen: "Wer weiß, dass er das Auto am nächsten Tag nicht braucht, könnte 50 Prozent Entladung erlauben", sagt Zösch.

Was das Wirtschaftsministerium sagt

Auch der Staat habe dezentralen Lösungen und das bidirektionale Laden bisher nicht forciert, fügt Zösch hinzu. Vielmehr habe mit der Mineralölsteuer immer gut Geld eingenommen. Beim Bundeswirtschaftsministerium räumt eine Sprecherin ein: "Die diesbezüglichen Standardisierungsprozesse sind noch nicht abgeschlossen." Rund um das Thema gebe es "noch Forschungs-, Entwicklungs- und Standardisierungsbedarf – zum Beispiel mit Blick auf Hard- und Software, regulatorische Fragen, die Sicherheit der Datenübertragung sowie die Standardisierung von Schnittstellen".

Stand und Ausblick - und was der Nachteil des Rückspeisens ist

Seit Herbst 2020 wird die Anschaffung einer Wandladestation von der KfW-Bank zwar mit 900 Euro pro Anschlusspunkt gefördert – der Fördertopf ist allerdings momentan leer. Und nachdem die in Deutschland erhältlichen Wallboxen nur in eine Richtung arbeiten, befürchten die Gambacher, dass sie in wenigen Jahren wieder ausgetauscht werden müssen – wenn bidirektionales Laden doch noch auf dem Markt eingeführt würde. Auch Autos, die nicht bidirektional laden, könnten dann weniger wert sein. Eine Umrüstung, heißt es bei Daimler, "mit einem erheblichen Aufwand theoretisch möglich". Es sei allerdings für die bestehenden Fahrzeuge "nicht vorgesehen" und auch "nicht realistisch".

Bleibt noch ein Nachteil, den das Rückspeisen hätte: Es verkürzt die Lebensdauer der Batterie durch die vielen Lade- und Entladezyklen. Die fünf Gambacher halten dennoch an ihrem Ziel fest. "Wir werden uns erst dann ein E-Auto kaufen, wenn man das Fahrzeug als Pufferspeicher verwenden kann", sagt Dietmar Baus.

Was eine Wallbox ist

Als Wandladestation/Wallbox wird eine Ladestation für Elektroautos bezeichnet, die für die Befestigung an einer Wand oder Säule vorgesehen ist. Grundsätzlich können nahezu alle Elektrofahrzeuge auch ohne Wandladestation per Wechselstrom geladen werden. Doch beim Laden über eine Haushaltssteckdose kann es zur Überlastung kommen - und dann zu einer Überhitzung von Kabel, Stecker oder Steckdose. Wallboxen sind mit Schutzeinrichtungen versehen und können bis zu zehnmal schneller laden als die Haushaltssteckdose. Damit fällt die Ladedauer kürzer aus.
Quelle: ADAC
 
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