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Würzburg/Schweinfurt
Arbeiten mit Behinderung: So schwierig ist die Jobsuche
Julia Aulbach hat trotz mehrfacher Behinderung einen Job gefunden. Dass das unüblich ist, liegt nicht nur daran, dass viele Arbeitgeber Vorurteile haben.
Thomas Aurich, Mitarbeiter der Bentheim Werkstatt, ist voll des Lobes für Julia Aulbach.
Foto: Rebecca Wolfer | Thomas Aurich, Mitarbeiter der Bentheim Werkstatt, ist voll des Lobes für Julia Aulbach.
Rebecca Wolfer
Rebecca Wolfer
 |  aktualisiert: 27.04.2023 08:15 Uhr

"Ich wollte schon immer mit Menschen und in der Pflege arbeiten", sagt Julia Aulbach. Dieses Ziel hat die 39-Jährige, die eine geistige Behinderung hat, auf einem Auge blind und auf einem Ohr fast taub ist, heute erreicht: Sie arbeitet im Würzburger Augustinerkloster und hilft dort in der Küche, der Pflege und der Wäscherei.

Der Weg dorthin war nicht einfach. In der Bentheim Werkstatt in Würzburg, die Menschen mit Sehbehinderung betreut und unter anderem Arbeitsplätze in der Holz- und Metallverarbeitung anbietet, wollte sie 2015 nicht mehr arbeiten. Also hat sie mehrere Praktika absolviert, unter anderem in Großküchen und Seniorenheimen. Doch viele Mitarbeiter wussten nicht, wie sie mit ihrer Schwerbehinderung umgehen sollen, erzählt Aulbach: "In einem Betrieb hat zum Beispiel niemand mit mir geredet und ich habe nie eine Aufgabe bekommen."

Aulbach ist eine von rund 7,8 Millionen Schwerbehinderten, die in Deutschland leben. "Leider ist es immer noch so, dass schwerbehinderte Menschen häufiger und länger arbeitslos sind als Menschen ohne Behinderung", sagt Jürgen Dusel. Er ist der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung und stammt aus Würzburg.

Jürgen Dusel ist der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. Im Februar 2019 war er in Würzburg, um sich über die inklusive Dienstleistungsfirma 'win' zu informieren. 
Foto: Patty Varasano | Jürgen Dusel ist der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. Im Februar 2019 war er in Würzburg, um sich über die inklusive Dienstleistungsfirma "win" zu informieren. 

Vorurteile und viel Bürokratie

Die Gründe dafür, dass Arbeitgeber selten Menschen mit Behinderungen einstellen, sind unterschiedlich: Laut Dusel ist manchen Unternehmen der bürokratische Aufwand zu groß oder dauert zu lange. Außerdem hätten viele Arbeitgeber Vorurteile – zum Beispiel, dass behinderte Menschen nicht leistungsfähig genug oder häufiger krank seien. "Meine Erfahrung sagt aber: Das ist falsch", so Dusel.

Im "Inklusionsbarometer Arbeit" der Aktion Mensch haben zum Beispiel 81 Prozent der befragten Personalverantwortlichen angegeben, dass sie keine Leistungsunterschiede zwischen den Beschäftigten mit Behinderung und denen ohne erkennen können.

Julia Aulbach hat trotz mehrfacher Behinderung einen Arbeitsplatz gefunden – und ist damit die absolute Ausnahme: "Weniger als ein Prozent der Werkstattgänger schafft es, sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu etablieren", erklärt Thomas Aurich. In der Bentheim Werkstatt ist er für die Inklusion und Teilhabe der Menschen mit Behinderungen zuständig und hat Aulbach bei der Jobsuche geholfen. Ungefähr einmal pro Woche besucht er sie noch bei ihrer Arbeit.

Auch schwerbehinderten Menschen kann gekündigt werden

Seiner Meinung nach stellen zu wenig Betriebe Menschen mit Sehbehinderungen ein, aus Angst, dass Unfälle passieren könnten. "Aber nicht jeder mit einer Sehbehinderung ist komplett blind", betont Aurich. Wenn die Betriebe die Aufgaben mit den Arbeitnehmern mit Behinderung einüben und darauf achten würden, dass der Arbeitsplatz richtig gestaltet ist, könne auch ein Mensch mit mehrfacher Behinderung produktiv arbeiten. "Julia ist zum Beispiel immer motiviert und erledigt ihre Aufgaben sehr gut", sagt er.

Außerdem würden viele Arbeitgeber glauben, dass Menschen mit Behinderungen nicht gekündigt werden kann: "Es gibt zwar einen Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen, der besagt allerdings nur, dass der Arbeitgeber bei der Kündigung die Zustimmung vom Integrationsamt braucht", erklärt Jürgen Dusel.

Diese Zustimmung erfolge in den meisten Fällen. Das Amt reagiere aber dann, wenn die Behinderung der Grund für die Kündigung ist. Dann würde sich das Amt noch einmal mit dem Arbeitgeber in Verbindung setzen, eventuell den Arbeitsplatz anders ausstatten oder zusätzliche Fördermittel bereitstellen. "In sehr vielen Fällen werden die Arbeitsplätze dadurch gerettet", sagt Dusel.

Ausgleichsabgabe, um Inklusion zu fördern

Um Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt zu fördern, gibt es die Fünf-Prozent-Quote: Unternehmen, die mehr als 20 Arbeitsplätze haben, müssen fünf Prozent ihrer Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Für jeden nicht besetzten Platz muss eine Ausgleichsabgabe gezahlt werden, die je nach Betriebsgröße zwischen 125 und 320 Euro pro Platz beträgt.

Pro Jahr kommen so laut Dusel rund 500 Millionen Euro zusammen. Das Geld fließe zum größten Teil an die Betriebe, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen und Arbeitsplätze zum Beispiel mit Rampen oder Lesegeräten ausstatten möchten.

"Im öffentlichen Dienst erreichen wir die Quote in den meisten Fällen, aber in privaten Betrieben in der Regel nicht", sagt Dusel. Ein Viertel aller Firmen in Deutschland mit über 20 Mitarbeitern beschäftigt der Bundesagentur für Arbeit zufolge sogar keinen einzigen Menschen mit Behinderung – das sind knapp 41 000. Für Dusel ist das inakzeptabel. Er fordert, dass für diese Betriebe die Ausgleichsabgabe mindestens verdoppelt werden müsste, um Anreize dafür zu schaffen, Menschen mit Behinderungen einzustellen.

Im Würzburger Augustinerkloster hat Julia Aulbach einen sogenannten "ausgelagerten Werkstattarbeitsplatz". Das bedeutet, dass die Bentheim Werkstatt zum Beispiel noch ihre Rentenbeiträge übernimmt und sie weiterhin begleitet. Aulbach freut sich über das, was sie erreicht hat: "Meine Eltern hätten nicht gedacht, dass ich einmal alleine wohnen kann und arbeiten gehe", sagt sie stolz.

Die Situation in Unterfranken
- Ein Beispiel dafür, dass die Fünf-Prozent-Quote im öffentlichen Dienst meistens erfüllt wird, ist Schweinfurt. Momentan können laut Stadtverwaltung keine genauen Angaben gemacht werden, wie viele der 1394 Beschäftigten schwerbehindert sind. 2018 lag die Quote aber bei 7,04 Prozent.
- Beim Automobilzulieferer Preh in Bad Neustadt sind 1900 Mitarbeiter beschäftigt, davon sind 83 schwerbehindert. "Damit liegen wir leider seit langem wieder unter der Fünf-Prozent-Quote", sagt Pressesprecher Stefan Weigl. Grund dafür sei, dass die Firma am Standort Bad Neustadt in den vergangenen drei Jahren rund 300 neue Mitarbeiter eingestellt und nicht genügend qualifizierte Bewerber mit Schwerbehinderung gehabt habe.
- Bei Procter&Gamble in Marktheidenfeld sind etwas über sechs Prozent der Mitarbeiter schwerbehindert. Die Vielfalt innerhalb des Teams helfe dabei, Verbraucher besser zu verstehen, sagt Björn Sievers von der Unternehmenskommunikation.
- Das Modeunternehmen s.Oliver in Rottendorf (Lkr. Würzburg) teilt mit, dass es grundsätzlich keine Zahlen zur genaueren Zusammensetzung der Belegschaft veröffentliche. Es stelle Schwerbehinderte bei passender Qualifikation ein und denke nicht in Quoten. Vielmehr werde versucht, für Bewerber und Unternehmen die passende Lösung zu finden.
- Beim Sonnenschutzhersteller Warema in Marktheidenfeld sind rund 2600 Mitarbeiter beschäftigt, davon sind 5,05 Prozent schwerbehindert oder gleichgestellt. "Die Quote bietet einen Anhaltspunkt, sie ist jedoch nicht alleine ausschlaggebend für uns", erklärt Vesna Find, die Vertrauensperson der Schwerbehinderten bei Warema. In der Firma werde es als selbstverständlich angesehen, auch kranken und behinderten Menschen einen Arbeitsplatz zu geben.
- Am Standort Lohr sind bei Bosch Rexroth rund 340 von 5600 Mitarbeitern schwerbehindert oder gleichgestellt, also 6,07 Prozent. "Unabhängig von der Quote ist Bosch Rexroth die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung ein wichtiges Anliegen, um diesen eine berufliche Perspektive zu geben und sie teilhaben zu lassen", sagt Nicole von Killisch-Horn, Mitarbeiterin der Unternehmenskommunikation. Die Integration sei für beide Seiten eine Bereicherung.
 
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