Kaum hatte Peter Altmaier sein neues Konzept der Presse vorgestellt, funkte sein schärfster Kritiker ein Signal der Entspannung. „Altmaiers strategischer Aufschlag sitzt“, erklärte Reinhold von Eben-Worlée. Der Hamburger ist Chef des Verbandes der Familienunternehmer und hatte den CDU-Minister vor einigen Monaten öffentlich scharf attackiert. Er betreibe eine „Anti-Mittelstandspolitik“ und habe das „Wirtschaftsministerium beschädigt“, warf er ihm vor. Ein Affront. Derart schroffe Töne gegen einen Minister der Union hat es aus der Wirtschaft selten zuvor gegeben.
Eben-Worlée war nicht der einzige, der seinem Frust über den Vertrauten der Kanzlerin freien Lauf ließ. „Schwächster Minister“ im Kabinett betitelte ihn der Chef des Verbandes Gesamtmetalls, Rainer Dulger. "Im Schauspiel würde man von einer Fehlbesetzung sprechen."
Die Angriffe taten weh, schließlich war Altmaier angetreten, um sich als wahrer Erbe seines legendären Amtsvorgängers Ludwig Erhard zu präsentieren. Statt Vater eines neuen Wirtschaftswunders wurde der 61-Jährige zum Feindbild. Weder konnte er die Energiepreise dämpfen, noch die Steuern trotz voller Kassen senken.
Nach anderthalb Jahren im Amt wagt der Saarländer den Neustart. „Mir ist es wichtig, dass wir das zweite Halbjahr beginnen mit einem Ausrufezeichen für den Mittelstand“, sagt er zum Auftakt seiner Unternehmens-Tour am Donnerstag.
Unternehmerherzen schlagen höher
In seiner Mittelstandsstrategie findet sich viel, was Unternehmerherzen höher schlagen lässt: Komplettabschaffung des Solidaritätszuschlags, Besteuerung des Gewinns mit 25 Prozent statt wie bisher mit über 30, niedrigere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Natürlich weniger Bürokratie. Der Aufwand, der durch den staatlich verordneten Dokumentenwust entsteht, ist ein Dauerärgernis der Unternehmen. Altmaier schlägt vor, dass Steuerunterlagen künftig nur acht statt zehn Jahre aufbewahrt werden müssen. Ein Datenschutzbeauftragter soll erst ab Betrieben mit 50 Mitarbeitern bestellt werden müssen. Die Datenschutzgrundverordnung führt in den Unternehmen zu erheblichem Mehraufwand, weil für die Sicherung der Daten von Kunden und Beschäftigten seit einiger Zeit ausdrückliche Genehmigungen eingeholt werden müssen.
Der Katalog enthält auch zwei direkte Spitzen gegen den Koalitionspartner SPD. Die Neuauflage der Vermögensteuer und die Einführung eines Strafrechts von Unternehmen „lehnen wir ab“, heißt es.
Nachdem der Wirtschaftsminister seine frohe Kunde an die verärgerten Unternehmer gesendet hat, begibt er sich unmittelbar zum Praxistest. Eine gute halbe Stunde von Hannover entfernt liegt das Örtchen Bissendorf. Zwischen herrlich herausgeputzten Bauerngütern unter hohen Bäumen, deren rote Klinker glänzen, Eigenheimen und dem Kindergarten Ohrwürmchen hat der Mikrofon- und Kopfhörerspezialist Sennheiser seinen Stammsitz. Die Firma ist Mittelstand aus dem Bilderbuch. Die Kantine serviert Currywurst, Kräuterbulgur und Mitternachtssuppe mit Mettenden. Wenn Stars wie Herbert Grönemeyer, Pink und Ed Sheeran auf der Bühne stehen, singen sie ihre Lieder in Sennheiser-Mikros.
Praxistest in Bissendorf
Die Eigentümer und Chefs Andreas und Daniel Sennheiser empfangen den Gast aus Berlin. Wie immer gibt Altmaier eine kleine Anekdote zum Besten, um das Eis zu brechen. In seiner ersten Bude in Berlin habe er seinen genervten Nachbarn nur beruhigen können, weil er einen Sennheiser-Kopfhörer mit zehn Meter langer Strippe an seinen lauten Fernseher anstöpselte. Die Sennheisers lächeln und zeigen dem CDU-Politiker die Firma, die ihr Opa nach dem Krieg in einem Bauernhaus gründete.
Von dem Frust in der Wirtschaftswelt lassen sie Altmaier nichts spüren. „Wir haben das Konzept gelesen und da sind viele gute Ansätze drin“, sagt Andreas Sennheiser. „Wir hoffen, dass sie ohne viel Bürokratie auskommen“, schiebt er schnell nach.
Unmittelbar zuvor hat der Minister seinen ersten Kopfhörer zusammengebaut. Das Modell für höchste Ansprüche kostet 2400 Euro. Bei den Niedersachsen wird ein Teil der Produktpalette tatsächlich noch von Arbeitern in blauen Kitteln von Hand montiert. In Deutschland arbeiten 1200 Leute für Sennheiser, weltweit sind es 2800. Die beiden Brüder versichern dem Minister, dass sie stolz auf Europa und Deutschland sind. Aber eines stört sie dann doch am Standort D. Es geht ihnen um Sattheit nach zehn Jahren des Aufschwungs und um mangelnde Anerkennung für das, was sie als Unternehmer leisten. Der jüngste Vorstoß der SPD, die Vermögensteuer wieder einzuführen, empfinden sie offenbar als zutiefst ungerecht. „Es soll Spaß machen, Unternehmer zu sein und erfolgreich zu sein“, sagt Andreas Sennheiser.
Wertschätzung für Unternehmer soll steigen
Bei Peter Altmaier stößt er damit auf offene Ohren. Auch er will die Wertschätzung, die die Gesellschaft Unternehmern und Selbstständigen entgegenbringt, steigern. Diesen weichen Faktor zu verbessern, kann der Minister allein durch seine Reden, Auftritte und Interviews schaffen.
Bei vielen anderen Punkten seines Mittelstandskonzepts ist er auf die Unterstützung der SPD angewiesen, die gerade wieder ihr linkes Herz entdeckt. Finanzminister Olaf Scholz ist der Herr der Kasse. Der Chef des Fenster- und Türenbauers Schüco bringt bei einer Podiumsdiskussion mit dem Minister die unbequeme Wahrheit auf den Punkt. „In dem Konzept stehen viele richtige Dinge drin. Wir erwarten, dass sie umgesetzt werden“, sagt Andreas Engelhardt.
Altmaier muss deshalb auf den „Kollegen Scholz“ setzten, mit dem „ich mich seit der ersten Großen Koalition in einem engen, intensiven und kollegialen Austausch befinde.“ Gute Argumente hätten die Chance, bei Scholz Gehör zu finden. Für den Finanzminister trifft das ohne Frage zu, für seine Partei, die um ihr Überleben kämpft, kann man das nicht unbedingt voraussetzen. Gut möglich, dass die SPD am Ende Altmaiers Neustart wieder ausbremst.