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GENF
25 Jahre World Wide Web
Internetgeschichte: Vor einem Vierteljahrhundert verschaffte ein Physiker der Öffentlichkeit Zugang zu einer neuen Technologie. Er ebnete mit der ersten Webseite den Weg für das Netz, wie wir es heute kennen.
Claudio Höll
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:12 Uhr

Als der Physiker Tim Berners-Lee heute vor 25 Jahren, am 6. August 1991, auf eine Frage in einem Diskussionsforum im Internet reagierte, wusste er noch nicht, dass er mit seiner Antwort die Art verändern würde, wie wir heute kommunizieren, arbeiten, lernen und leben. Ein Programmierer hatte in dem Diskussionsforum im sogenannten Usenet nach Forschung zu „Hypertext-Links“ gefragt. Berners-Lee, damals 36 Jahre alt und Wissenschaftler am Physik-Forschungszentrum Cern im Schweizer Kanton Genf, beschrieb in seiner Antwort ein sogenanntes World Wide Web (www), das an dem Institut entwickelt worden sei, und gab eine Adresse an: info.cern.ch/hypertext/WWW/TheProject.html.

Es war der Link zur ersten Webseite der Welt, die ab diesem Moment jeder Computerbenutzer mit Internetzugang besuchen konnte. Die Seite war schon Ende 1990 auf einem Cern-Server online gegangen, ohne Link aber von außen für niemanden erreichbar. Das Projekt www, das heute genutzt wird, um Videos und Musik zu streamen oder Freunden die Fotos des letzten Urlaubs zu zeigen, entwickelte Berners-Lee ursprünglich, um Wissenschaftler miteinander zu vernetzen.

Genauer: „Um Messdaten von Physikern auszutauschen“, wie Phuoc Tran-Gia, Professor für Informatik und Vizepräsident der Universität Würzburg, erklärt. Die Chefs des Erfinders des World Wide Web hätten das Potenzial des Systems noch nicht erkannt, als Berners-Lee ihnen das Projekt vorstellte, erklärt der Professor. Sie genehmigten das Projekt trotzdem, Berners-Lees Vorgesetzter Mike Sandell vermerkte auf dem Antrag in Handschrift: „Vage, aber spannend…“ Der Physiker selbst mag Katzenvideos und Online-Banking noch nicht im Blick gehabt haben, als er das www ins Leben rief, dachte aber schon an eine Ausweitung über die physikalische Forschung hinaus: Man sei „sehr interessiert, das Web auf andere Bereiche auszudehnen“, so der Wissenschaftler in dem Post, in dem er das Netzwerk im Usenet erklärte und zugänglich machte. Tran-Gia merkt dazu an: „Die Anwendung des Internets wie wir es am Anfang konzipiert haben, Austausch für Informationen für Wissenschaftler, ist immer noch intakt.“

Die erste Website erzählte vor allem von sich selbst. Sie stellte das Projekt World Wide Web vor und informierte den Leser über technische Details wie Formate und Protokolle, die das Netzwerk verwendet. Mit dem Tablet, das vor ihm liegt, wenige Millimeter dünn, könnte auch der Würzburger Professor sich die Seite ansehen, die Berners-Lee vor einem Vierteljahrhundert an einem Next-Rechner, einem würfelförmigen Kasten mit Röhrenmonitor, ins Leben rief: 2013 stellte das Cern die Seite wieder her. Unter der ursprünglichen Adresse können Nutzer heute wieder über die Seiten surfen, die auch die Pioniere des World Wide Web zu Gesicht bekamen. Auch eine Simulation eines frühen Browsers zeigt das Cern im Netz: Wie auf dieser Seite im Hintergrund zu sehen, fordern grüne Buchstaben auf schwarzem Grund den Nutzer auf, eine Ziffer einzugeben, um etwa zu einer Zusammenfassung über das Web-Projekt oder den Antworten auf häufig gestellte Fragen zu gelangen.

Als Basis für die neue Technologie diente Berners-Lee das Internet. „Web und Internet wurden schon immer verwechselt“, erklärt Tran-Gia die häufig synonyme Verwendung in der Alltagssprache. Das Internet ist die ältere Technologie und bietet die Infrastruktur, die von Software wie dem Web genutzt wird. Andere Systeme, die das Internet zur Kommunikation nutzen, sind etwa die E-Mail oder Diskussionsforen, wie das, das Berners-Lee nutzte, um Computernutzern den Weg zur ersten Website zu weisen. Beide Systeme gab es schon vor dem www. Neu am Web war die Vernetzung einzelner Dokumente über verschiedene Systeme hinweg, also die Möglichkeit, Links als Verweise auf andere Inhalte zu setzen.

Tran-Gia erinnert sich an die Frühzeit des Webs: „Am Anfang war es für uns eine tolle Spielwiese. Man hatte vorher die Welt von IBM, die Welten anderer Unternehmen – alle möglichen Inselwelten und jede versuchte irgendwie voranzukommen. Und jetzt hatte man auf einmal eine Spielwiese, wo der Wissenschaftler sofort Informationen mit anderen austauschen kann.“

Ein weiterer Faktor, der zum Erfolg des www führte: Das Cern stellte die Software 1993 der Allgemeinheit zur Verfügung. Alle Nutzer durften selbst Webserver betreiben und Seiten ins Netz stellen, ohne sich um Lizenzen oder Gebühren zu kümmern. Tran-Gia erklärt dazu: „Es ist das, was wir heute Freeware nennen würden. Diese Überlegung hat das Internet vorangebracht.“ Das Web stellt für Tran-Gia eine Revolution dar, mit Blick auf das World Wide Web und andere Umbrüche meint er: „Solche Revolutionen folgen Mechanismen. Es gibt einen Hauptstrang und einen disruptiven Strang. Dieser Hauptstrang war früher Telefonie, ISDN und so weiter. Und nebenbei, aber nicht unwichtig, gibt es Freidenker.“ Zu diesen Freidenkern zählt er auch Berners-Lee. Die vielfältigen Anwendungen des Web, die wir heute kennen, habe damals noch niemand absehen können. Einzelne Technologien, die anfangs unterschätzt werden und die später zu dramatischen Umbrüchen führen, sind für den Professor typisch für die Entwicklung des Internets. Zur bekannten Suchmaschine meint er etwa: „Bei Google hat man auch nicht gedacht, dass das Businessmodell wirklich trägt.

“ Und gibt dabei zu bedenken: „Es gab auch eine Vor-Google-Zeit, in der das Internet einigermaßen funktioniert hat. Es gab zum Beispiel im Spiegel Listen von Webpages.“

Entscheidungsträger von neuen Technologien zu überzeugen, bevor sie sich durchgesetzt haben, sei schwierig, schildert Tran-Gia. Er erzählt von einem Politiker in Bayern, der ihn in den 90er Jahren gefragt habe, wozu er das Internet brauche, sein Fax und Telefon würden doch funktionieren. „Heute ist das lustig, aber damals hatte ich Probleme, ihm zu erklären: Wozu braucht er etwas, das erst zum Erfolg geführt werden muss?“ Das Problem besteht für Tran-Gia auch heute noch: „Diejenigen, die hier für das Internet, die Digitalisierung zuständig sind, die sind häufig keine Fachleute. Die müssen nicht unbedingt über das Internet Bescheid wissen, entscheiden aber darüber, wie Sie und ich in fünf oder zehn Jahren im Internet leben werden.“ Der Professor fordert mehr Mitsprache für Fachleute.

Was sich laut Tran-Gia verändert hat, ist die Geschwindigkeit, mit der Innovationen die Art wandeln, mit der das Internet genutzt wird: „Eine neue Anwendung braucht heutzutage nicht ein Jahr, nicht einen Monat, sondern vielleicht eine Woche, um 50 Millionen User zu begeistern. Nehmen Sie nur Pokémon Go.“

Und wie sähe das Internet heute aus, hätte Tim Berners-Lee nicht vor einem Vierteljahrhundert daran gearbeitet, Wissenschaftler zu vernetzen? „Die Welt wäre nicht so bunt und interessant wie heute.“

„Am Anfang war das Web für uns eine tolle Spielwiese.“
Professor Phuoc Tran-Gia Foto: Ivana Biscan
Porträt Bergwaldprojekt       -  _
Foto: Daniel Peter
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