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HETTSTADT
Das Haus wie Leberkäse eingepackt
Metzgermeister Gerhard Seidenspinner aus Hettstadt (Lkr. Würzburg) kennt das vom Partyservice her: Packt er Leberkäs und Rollbraten in eine Box aus dickem Styropor, bleiben die Fleischprodukte heiß. Nach dem gleichen Prinzip ließ er Wohn- und Geschäftshaus einpacken.
Niedriger Energieverbrauch, hoher Wohnwert und obendrein Klimaschutz: Metzgermeister Gerd Seidenspinner aus Hettstadt (Lkr. Würzburg) und seine Frau Rita haben ihr Wohn- und Geschäftshaus eingepackt wie den Leberkäse in der Wärmebox.
Foto: FOTO theresa Müller | Niedriger Energieverbrauch, hoher Wohnwert und obendrein Klimaschutz: Metzgermeister Gerd Seidenspinner aus Hettstadt (Lkr.
Von unserem Redaktionsmitglied tilman toepfer
 |  aktualisiert: 30.09.2016 03:50 Uhr

2006 hatte Seidenspinner die frühere Gaststätte neben seiner Metzgerei zur Wohnung für sich und seine Frau Rita umbauen lassen. Nachdem er dort neue, dichte Fenster hatte einbauen lassen, bildeten sich in den Wohnräumen „dunkle Ecken“. Die Ursache: Die Fassade war von Rissen durchzogen und unzureichend gedämmt, an den kalten Außenwänden kondensierte Feuchtigkeit. Schimmelbildung war die Folge.

Auch im Verkaufsraum stimmte das Klima nicht. Herrschte draußen kaltes Wetter, rann reichlich Schwitzwasser vom überdimensionierten, einscheibigen Schaufenster. Schien die Sonne kräftig, musste die Klimaanlage den Raum auf für Kunden wie Personal erträgliche Temperaturen herunterkühlen.

Seidenspinner wandte sich an einen Fachmann und Mitbürger. Architekt Gert Lusin kennt das Problem vieler Gebäude, die in einer Zeit gebaut wurden, als der Liter Heizöl keine zehn Pfennige kostete. Deshalb empfahl Lusin: überall Fenster mit Isolierglas und auf die Außenhülle des Gebäudes eine dicke Dämmschicht. Metzgermeister Seidenspinner war einverstanden.

Es folgte ein Kraftakt. 64 000 Euro kostete die energetische Sanierung des Gebäudes, die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) räumte ein zinsgünstiges Darlehen ein. Binnen weniger Tage musste der Verkaufsraum umgebaut sein, damit Seidenspinner wieder Fleisch und Wurst verkaufen konnte. Das überdimensionierte Schaufenster wich einer kleineren, aber gut isolierten Fensterfläche, die obendrein komplett beschattet werden kann.

Heute sagt Gerd Seidenspinner im Brustton der Überzeugung: „Es hat sich gelohnt. Ich fühle mich wohler.“ Im Sommer bleibt die Klimaanlage ausgeschaltet, Frischluft strömt durch Fliegenschutzgitter und offene Fenster. Jetzt im Winter läuft die Heizung selten. Das gedämmte Gebäude – Metzgerei und vier Wohnungen – verbraucht 3000 Liter weniger Heizöl im Jahr. Die „dunklen Ecken“ sind verschwunden, von Schimmel keine Spur mehr.

Durch Wärmedämmung und moderne Gebäudetechnik können nach Expertenschätzungen bis zu 80 Prozent des Energieverbrauchs eingespart werden. In jedem Fall zahlt es sich für einen Laien aus, einen qualifizierten Energieberater und qualifizierte Handwerker hinzuzuziehen, sagt Gottfried Baumgartner. Der Leiter des Kompetenzzentrums für Energietechnik der Handwerkskammer für Unterfranken (HWK) in Würzburg plädiert fürs „ganzheitliche Konzept“.

Einzelmaßnahmen können weitgehend wirkungslos verpuffen, wenn das Konzept nicht durchdacht ist, warnt der Experte. Bei der HWK bekommt man eine Liste qualifizierter Energieberater.

Im Blickpunkt

Enormer Sanierungsbedarf

Rund 175 000 Neubauten pro Jahr stehen in Deutschland 18 Millionen bestehende Gebäude gegenüber, der Sanierungsbedarf ist enorm: 30 Millionen Quadratmeter Fassadenfläche werden jährlich zum Wärmeschutz verkleidet. Gebäude verbrauchen 40 Prozent der Energie in der EU, und ganze 87 Prozent des gesamten Energiebedarfs in deutschen Haushalten sind allein für Heizung und Warmwasser nötig. Von den Einsparpotenzialen wird nur ein Drittel genutzt. Bisher entscheiden sich nur rund 35 Prozent der Hausbesitzer dafür, nicht nur den Putz zu erneuern, sondern auch ein Wärmedämm-Verbundsystem anbringen zu lassen. Für den Putz zahlen sie Tausende Euro und sehen nicht, dass eine Sanierung inklusive Dämmung nur wenig teurer ist.

 
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