4800 Kilometer neue Stromleitungen: Der Plan für den Ausbau des deutschen Stromnetzes in den kommenden 20 Jahren steht. Dann soll das Land klimaneutral sein. Heißt: Was an Energie verbraucht wird, wird nicht mehr aus der Verbrennung von Öl, Gas oder Kohle gewonnen. Bedeutet: Der Bedarf an Strom wird immens steigen, zum Beispiel für den Betrieb von Wärmepumpen und Elektroautos. Schwaben wird in diesem Zusammenhang Schauplatz eines Großversuchs, der die Kosten dämpfen soll. Ein Überblick:
Das sagt der Netzentwicklungsplan
Der Plan: Er heißt offiziell Netzentwicklungsplan und wurde vor wenigen Tagen von der Bundesnetzagentur vorgestellt. Weil in Deutschland immer mehr Strom aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Sonne eingespeist wird und nach den Atom- auch die Kohlekraftwerke abgeschaltet werden sollen, müssen sich auch die großen „Stromautobahnen“ ändern, die in Deutschland die überregionale Versorgung sichern. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sieht in dem neuen Plan einen Meilenstein: „Er zeigt erstmals, welches Stromnetz wir brauchen, um die Energiewende zu vollenden.“
Hier sollen die Stromautobahnen verlaufen
Die Leitungen: Rückgrat sind fünf weitere Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungs-Verbindungen (HGÜ). Diese „Stromautobahnen“ verbinden den windreichen Norden mit anderen Teilen der Republik. Bayern sicherte sich auf den letzten Drücker noch einen Anschluss an eine der neuen Trassen. Begründet wurde dies unter anderem mit dem hohen Strombedarf der Industrie in Bayerisch-Schwaben (wir berichteten). Eine HGÜ-Leitung bis nach Schwaben war offenbar nicht nötig. Stattdessen gibt es einen Abzweig ins unterfränkische Trennfeld. Dort soll der Übergang ins Wechselstromnetz stattfinden, an dem dann die Verbraucher hängen. Damit habe sich der Plan einer Leitung nach Schwaben erübrigt, so das Wirtschaftsministerium.
Neue Leitungen in Schwaben: Insgesamt sieht der Plan in Deutschland einen Bedarf für 116 weitere Wechselstromleitungen. In Schwaben ist nur ein kompletter Neubau vorgesehen (siehe Grafik). Eine mehr als 100 Kilometer lange 380-Kilovolt-Leitung soll aus der Nähe von Spalt bei Nürnberg bis in die Nähe von Aalen führen. Auf dem Weg wird sie den Raum Nördlingen überspannen. Wo genau die Leitung verlaufen soll, wird erst im Genehmigungsverfahren festgelegt. Der Netzentwicklungsplan stellt lediglich den Bedarf fest. Im Süden Schwabens gibt es noch zwei Projekte des Übertragungsnetzbetreibers Amprion, für die bereits bestehende Stromtrassen auf 380 Kilovolt ausgebaut werden. Die längere reicht von Vöhringen bis zur österreichischen Landesgrenze, die kürzere von Oberottmarshausen im südlichen Kreis Augsburg bis in die Nähe von Landsberg. Die Leitungsbauprojekte von Amprion in Schwaben seien „vergleichsweise kleine Optimierungen“, so Unternehmenssprecher Niklas Tenberge.
Diese Hochspannungsleitungen sind in Schwaben geplant
Der Großversuch: Spannender ist ein Projekt, das Amprion und der regionale Stromversorger LEW bereits im kommenden Jahr in die Tat umsetzen wollen. An fünf Standorten, vermutlich in der Nähe von Umspannwerken, werden sogenannte Netzbooster errichtet. Das sind Anlagen aus mehreren Batterieeinheiten, die jeweils ungefähr die Größe von Seecontainern haben, wie sie von Lastwagen transportiert werden. Zusammen haben die Speicher eine Kapazität von 250 Megawatt. Sie sollen einspringen, wenn kurzfristig Strom benötigt wird, um das Netz zu stabilisieren. Wenn zum Beispiel in Zeiten sehr hoher Stromerzeugung durch die Windräder im Norden die Stromübertragung in den Süden gedrosselt wird, um Schäden durch Überlastung der Leitungen zu vermeiden, müssen im Süden Kraftwerke hochfahren, um die Lücken zu schließen. Dieser Vorgang wird Redispatch genannt. Ihn könnten die Superbatterien schneller und günstiger erledigen, so die Hoffnung. Die Bundesnetzagentur stand den Boosterplänen von Amprion ursprünglich skeptisch gegenüber, doch die Zeit drängt, sagt Amprion-Sprecher Tenberge: „Wir benötigen kurzfristig etwas, um die Redispatchkosten zu senken.“ Diese haben eine nie gekannte Höhe erreicht. Nach einer Untersuchung der Prognos AG im Auftrag der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft waren es 2022 bundesweit mehr als vier Milliarden Euro.
Das Problem: Beseitigt werden könnten die teuren Engpässe im Übertragungsnetz durch dessen Ausbau. Doch dabei hinkt Deutschland mächtig hinterher. Ende 2023 waren knapp 2000 Kilometer Stromleitungen weniger gebaut als geplant. Nun sattelt der neue Entwicklungsplan weitere 4800 Kilometer drauf. Die Energie-Expertin der Prognos AG, Almut Kirchner, sagt: „Wir sind richtig gut, wenn die Schere zwischen geplant und gebaut nicht noch weiter aufgeht.“
Fehlende Stromleitungen kosten jedes Jahr Milliarden
Die Kritik: Auch aus Sicht der Staatsregierung müsse der Ausbau des Stromnetzes beschleunigt werden, sagt Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) gegenüber unserer Redaktion. Verschiedene Beschleunigungsgesetze des Bundes gingen in die richtige Richtung. Bayern tue auf Landesebene das Seinige dazu und habe mehr Personal abgestellt, „um die Weichen für zügige Genehmigungsverfahren zu stellen“. Martin Stümpfig, Energiespezialist der Grünen im Landtag, blickt dagegen im Zorn zurück auf die Lage in Bayern: „Die schon seit Jahren benannten Mängel beim Ausbau der Stromnetze sind nahezu unverändert. Ohne die Verzögerungen bei den Stromtrassen durch die CSU-Staatsregierung," so Stümpfig, „wäre eine Fertigstellung erreicht oder in absehbarer Nähe.“ Nun dauere es fünf bis sechs Jahre länger. Bestätigt wird das von der aktuellen Prognos-Untersuchung. Danach haben die bereits früher beschlossenen Ausbauvorhaben in Bayern für die überregionale Stromversorgung zwischen fünf und zehn Jahren Verspätung.