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Augsburg/Stuttgart/Affalterbach
Warum ein Mercedes-Top-Manager zu Renk nach Augsburg ging
Emmerich Schiller war für die Geländewagen der G-Klasse, die Tochter AMG und als Leiter der Produktion in Sindelfingen tätig. Jetzt hilft er dem Panzergetriebe-Hersteller.
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Foto: Ulrich Wagner | Luftbild / Luftbilder Augsburg Luftbild Augsburg / Flug am 14.5. 2024Bild: Ulrich WagnerBlick auf die Firma Renk
Stefan Stahl
 |  aktualisiert: 10.06.2024 02:37 Uhr

Emmerich Schiller ist einer der erfahrensten Produktions-Manager aus den Reihen der deutschen Autoindustrie. Der promovierte Wirtschaftsingenieur hat von 1998 an bis auf eineinhalb Jahre beim Befestigungs-Spezialisten Hilti in Kaufering ausschließlich für Mercedes gearbeitet – und das in führenden Funktionen. Mit 57 Jahren fängt das Berufsleben für ihn neu an: Wie einige andere Auto-Spezialisten wechselte er in die Rüstungsindustrie. Der aus dem baden-württembergischen Spaichingen stammende Fertigungs-Experte arbeitet seit Februar dieses Jahres für den Augsburger Panzer- und Marinegetriebe-Hersteller Renk, einem Unternehmen, das erfolgreich an die Börse gegangen ist und sich eines enormen Auftragssegens erfreut

Schiller genießt bei Mercedes einen exzellenten Ruf

Was bringt einen Mercedes-Top-Mann, der für die noble Geländewagen-Sparte, die G-Klasse, zuständig war, dazu, einem mittelständischen Betrieb den Vorzug zu geben, der rund 70 Prozent des Umsatzes im militärischen Bereich erzielt? Schiller genießt schließlich bei Mercedes einen exzellenten Ruf und hätte dort sicher weiter aufsteigen können, zumal er immer wieder bewiesen hat, wie er komplizierte Produktionsprozesse steuern und das Fertigungs-Volumen erhöhen kann. So war der Manager einst auch für die Produktion hochmotorisierter und teurer AMG-Fahrzeuge tätig und leitete die Montage der E- und S-Klasse im Sindelfinger Vorzeigewerk, wo täglich gut 3000 Autos gebaut werden. Renk will nun in seinem Augsburger Werk die Fertigung von Panzergetrieben deutlich erhöhen. Absolute Zahlen nennt das Unternehmen nicht und teilt lediglich gegenüber unserer Redaktion mit: „Wir haben uns vorgenommen, die Ausbringung für Panzergetriebe in Augsburg in diesem Jahr um mindestens 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu steigern.“ Was reizt also einen Mann aus Reihen der Stuttgarter Luxus-Marke am bodenständigen Augsburger Maschinenbau? 

Schiller ist für die weltweite Produktion bei Renk verantwortlich

Schiller, ein schlanker, sportlicher Mann, sitzt in seinem noch kahlen Augsburger Büro und erklärt, weshalb er Mitglied der Renk-Geschäftsführung wurde und dort als COO, eben Chief Operating Officer, für die weltweite Produktion des Unternehmens zuständig ist. Zunächst stellt der Manager klar: „Ich bin Schwabe durch und durch, halte es also mit Bescheidenheit.“ Es sei gerne nach Augsburg gewechselt. Doch bei aller Bescheidenheit, was gab den Ausschlag für ihn? Schiller entgegnet, dass ihn das auch einige seiner engsten Freunde gefragt hätten. Ihn reize es eben, aktiv an der Zeitenwende mitzuarbeiten. „Das klingt jetzt vielleicht pathetisch“, räumt er ein, „es ist aber nicht ganz falsch“. Für ihn geht die bessere Ausstattung der Bundeswehr die gesamte Gesellschaft an. Der Druck sei für die Verteidigungsindustrie groß, immer mehr Rüstungsgüter zu produzieren. „Und dazu kann ich einen Beitrag leisten“, sagt der Manager.

Renk-Mann Schiller, der einst Wehrdienst geleistet hat, einen Panzer-Führerschein besitzt und in einem Marder mit Renk-Getriebe saß, sieht seine berufliche Neuorientierung pragmatisch: Er bringe eben die Fähigkeiten mit, eine Produktion zu skalieren, also die Prozesse in einer Fabrik derart zu organisieren, dass bei Renk mehr Getriebe gebaut werden können. „Dazu“, sagt Schiller, „müssen Prozesse und Abläufe verändert werden und man muss vor allem Beschäftigte und Lieferanten mitnehmen“. Die Skalierungs-Kunst ist in deutschen Rüstungsbetrieben enorm gefragt. Die Steigerung der Stückzahlen gestaltet sich in einer Branche, die notgedrungen über Jahrzehnte auf Sparflamme produziert hat, vielerorts noch kompliziert. 

Schiller verbringt derzeit drei bis vier Stunden je Arbeitstag in der Augsburger Fertigung und horcht in die Beschäftigten hinein. Er versucht zu verstehen, wie die Arbeitsprozesse laufen und an welchen Stellschrauben gedreht werden muss, um die von Kunden dringend benötigten runderneuerten oder neuen Getriebe fertigzustellen. Für die Beschäftigten seien Erklärungen, warum etwas verändert wird und schnelle Erfolge nach ersten Umstellungen wichtig, um sie zu motivieren. „Das ist uns nach kurzer Zeit schon gelungen“, versichert der neue Renkler, wie sich die Beschäftigten nennen. 

Der neue Renkler fühlt sich in der Werkshalle wohl

Bei einem Gang durch den Betrieb rutscht einem Techniker, der ein Panzergetriebe baut, ein kleines Teil aus der Hand und hoppelt weit weg über den Fabrikboden. Schiller hebt den Gegenstand auf und überreicht ihn dem Beschäftigten. Ein Skalierer benötigt den Blick für Kleinigkeiten und das große Ganze. Der neue Renkler fühlt sich am Shop Floor, wie eine Werkshalle im Fachjargon heißt, zu Hause. Er wollte wieder nah an der Produktion arbeiten. Ein reiner Schreibtisch-Job reizt ihn nicht. Der Auto-Mann baut die Produktion bei Renk um. Zunächst hat er das Perlenketten-Prinzip eingeführt: Hierbei entsprechen einzelne Aufträge Perlen, die exakt in dieser Reihenfolge eingeplant und abgearbeitet werden. Alle Beteiligten wissen damit lange im Voraus, welche Getriebe in welcher Reihenfolge produziert werden. So funktionierte das früher bei Renk nicht, musste es angesichts des geringeren Auftrags-Volumens in Vor-Zeitenwende-Zeiten auch nicht. 

Schiller vergleicht Augsburger Renk-Werk mit einem Biergarten

Schiller löst mit seinem Team die Manufaktur-Fertigung ab und führt stärker industrielle Produktionsmethoden ein. Wie funktioniert das? Der Manager lächelt und vergleicht das Augsburger Werk mit einem großen Biergarten. Wolle der Besitzer dort die doppelte Anzahl Gäste bewirten, sei es ein naiver Fehler, einfach nur die Zahl der Kellner oder Köche zu erhöhen. „Besser ist es, die Prozesse zu optimieren, das heißt, eher wie in einer Großküche zu denken.“ Wer so vorgehe, passe Abläufe an, arbeite arbeitsteiliger, plane besser voraus oder automatisiere Prozesse und schaffe etwa effiziente Dampfgarer an. 

Sorgen um den Arbeitsplatz muss sich bei Renk keiner machen

Sorgen um seinen Arbeitsplatz muss sich bei Renk trotz aller Umbauten und Effizienzsteigerungen keiner machen. Im Gegenteil: Das Unternehmen stellt allein in Augsburg in diesem Jahr 15 bis 20 Beschäftigte zusätzlich pro Monat ein. Das erleichtert es Schiller, die „Fabrik grundsätzlich neu zu organisieren“. In Augsburg ist die Zahl der Mitarbeiter auf 1800 nach oben geschnellt, während es vor einem Jahr 1550 Beschäftigte waren. 

Schiller fühlt sich wohl im Kreise der Kolleginnen und Kollegen bei Renk. Der Vater zweier erwachsener Kinder wohnt mit seiner Frau im Großraum Stuttgart, hat sich zusätzlich eine Wohnung in Augsburg genommen, in der er unter der Woche lebt: „Meine Frau kommt so oft es geht hier her, wir mögen die Stadt.“ Ein Mensch wie er hat wohl auch seine eigene Arbeit skaliert, also den Beruf zum Hobby befördert. Schiller, ein umgänglicher, eher leise redender Mensch, wird etwas lauter und widerspricht entschieden: „Jemand, der keine Hobbys hat, ist ein trauriger Mensch.“ Er treibt reichlich Sport und wäre beinahe Sportlehrer geworden. Solche Pädagogen waren nicht gefragt, als er zu studieren begann. Erst als Schiller fertig war, wurden plötzlich Sportlehrer gesucht. Er trauert dieser Entscheidung nicht nach. Industrie ist seine Leidenschaft. 

 
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