Im Wort Landwirtschaft steckt auch Wirtschaft. Hubert Aiwanger, so scheint es, sieht das genauso. Wo Bauern demonstrierten, war der bayerische Wirtschaftsminister nicht weit. Ob im Kreis Donau-Ries, in Cham in der Oberpfalz oder vor dem Brandenburger Tor, der Freie-Wähler-Chef schritt Seit an Seit neben den Landwirten - im Kampf gegen die Einführung einer Mineralölsteuer auf Agrar-Diesel. Doch Landwirtschaftsministerin ist Michaela Kaniber (CSU) - und nicht Aiwanger. Von CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek erntete Aiwanger kürzlich deutliche Kritik. Eine Demoteilnahme sei kein politisches Konzept, sagte Holetschek. "Wir leben gerade viel von der Substanz der Erfolge der Vergangenheit, das ist keine gute Bilanz für einen Wirtschaftsminister." Holetschek ist mit dieser Kritik nicht allein. Auch bayerische Wirtschaftsvertreter - nicht alle, aber viele - vermissen einen bayerischen Wirtschaftsminister. Gerade in der Krise.
Die mittelständischen Unternehmen zum Beispiel wünschen sich mehr Aufmerksamkeit: "In der Mittelstandspolitik ist Minister Aiwanger aus unserer Sicht deutlich zu passiv", sagt Achim von Michel, Sprecher des Verbandes Der Mittelstand - BVMW: "Er beschäftigt sich mit Landwirten und Forstwirten, zu den Nöten vieler anderer Branchen im bayerischen Mittelstand hat man allerdings seit Monaten nichts mehr von ihm gehört."
Der Mittelstand kritisiert: Aiwanger ist "deutlich zu passiv"
Der Verband stand zuletzt mit Blick auf die Rückzahlungen von Coronahilfen mit dem bayerischen Wirtschaftsministerium in Kontakt. „Durch die erneuten Verlängerungen von Fristen hätte man zum Beispiel Härten für die Betroffenen dämpfen können“, sagt von Michel. Das Wirtschaftsministerium habe sich aber am Schluss „keinen Meter mehr bewegt“, so der Politikbeauftragte des Verbandes. „Es scheint fast, als hätte Hubert Aiwanger an dem Thema die Lust verloren.“
Dies kommt der CSU gerade recht, sie stößt in die Lücke vor und hat kürzlich das Strategiepapier „Bündnis für den Mittelstand" verabschiedet. "Ein Signal nach dem Motto ,Wir retten den Mittelstand‘ hätte ich mir auch von Hubert Aiwanger erhofft", sagt von Michel. "Stattdessen übernimmt die CSU die Wirtschaftskompetenz im Land."
Bernhard Stiedl, DGB: Mehr tun, um den Einbruch der Industrie zu beheben
Tatsächlich fällt Bayerns Exportwirtschaft zurück. Das hat kürzlich eine Studie des Münchner Ifo-Instituts gezeigt. Bereits seit 2019 beziehe der Freistaat mehr Waren aus dem Ausland, als er exportiert. Gerade mit Blick auf die Industrie erwarten sich Arbeitnehmer-Vertreter vom bayerischen Wirtschaftsminister deshalb mehr Initiative. Bayerns DGB-Chef Bernhard Stiedl kritisiert: „Ich würde mir wünschen, dass sich der bayerische Wirtschaftsminister mehr um die bayerische Wirtschaft kümmert. Man hört und liest von Herrn Aiwanger viel, vor allem in den sozialen Medien - aber wenig zu wirtschaftlichen Themen.“ Die Industrie im Freistaat, sagt Stiedl, breche gerade ein. Dabei sei Bayern das Land mit der größten Industriedichte, mit mehr Industriearbeitsplätzen als Baden-Württemberg und knapp hinter Nordrhein-Westfalen. Von Initiativen des bayerischen Wirtschaftsministers, um diesen Industrie-Einbruch zu beheben, bekomme er wenig mit. Ganz anders verhalte es sich mit Söders Staatskanzlei „Wenn es um Industrie, um Unternehmen und Gewerkschaftsbelange geht, hat der Ministerpräsident immer eine offene Tür und ein offenes Ohr für uns.“
Stehen Industrie, Handel und Dienstleistungen zu weit unten in Aiwangers Tagesordnung? Das legen Einschätzungen aus Schwaben nahe: "Ich hoffe, dass es stärker gelingt, den Fokus auf Industrie und Handel zu legen", sagt Reinhold Braun, neuer Präsident der IHK Schwaben. Im Bürokratieabbau könne man in Bayern vieles besser machen. "Der Koalitionsvertrag der Staatsregierung sieht zwar richtige und wichtige Impulse für die Stärkung des Wirtschaftsstandortes vor, doch messen lassen muss sich das verantwortliche Wirtschaftsministerium daran, wie schnell es die ambitionierten Ziele unter anderem in der Energiepolitik konkretisieren und umsetzen kann."
Energiewirtschaft: Landespolitik traf energiepolitische Entscheidungen "aus dem Bauch heraus"
Fachleute sehen gerade in der Energiepolitik Versäumnisse. Doch machen sie dafür nicht nur Aiwanger verantwortlich, sondern sehen Fehler auch in der Landespolitik, die stark von der CSU geprägt worden ist.
"Die Politik, insbesondere die bayerische, hat vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten viele energiepolitische Entscheidungen quasi aus dem Bauch heraus, also aus der aktuellen gefühlten Stimmungslage ihrer Wähler getroffen und auch wieder revidiert", sagt Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft. "Das ist für einen Wirtschaftszweig, der für seine Investitionen auf langfristig stabile Rahmenbedingungen angewiesen ist, tödlich."
Um die Versorgungssicherheit zu erhöhen, hat Aiwanger kürzlich eine dritte große Stromtrasse nach Schwaben ins Spiel gebracht. Fischer sieht die Interventionen aus der Politik längst kritisch: "Entscheidungen, ob Stromleitungen erforderlich sind oder nicht, sollten von den Netzbetreibern in Zusammenarbeit mit der Bundesnetzagentur auf fachlicher Grundlage getroffen werden - und so wird es hoffentlich auch kommen", sagt er. "Über den Bau der beiden Gleichstromtrassen SüdLink und SüdOstLink reden wir seit mehr als 10 Jahren und fertig werden sollen die Leitungen im Jahr 2027 beziehungsweise 2028. Bei dem Tempo sind wir dann nicht im Jahr 2040 klimaneutral, da braucht es schon noch einen anständigen Bayernturbo."
Handwerk: Zusammenarbeit mit Aiwanger ist "sehr gut"
Mittelstand und Industrie unzufrieden, die Energiewirtschaft generell skeptisch. Das ist die eine Seite. Sehr viel Gutes über den Minister hört man dagegen aus dem schwäbischen Handwerk.
"Unser Verhältnis zu Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger und seinem Stab ist sehr gut", sagt Hans-Peter Rauch, Präsident der Handwerkskammer für Schwaben. "Dass der Wirtschaftsminister zu uns Handwerkern kommt, haben wir so in den letzten Jahren nicht erlebt. Er fragt nach, hört zu und nimmt Anregungen mit." Politisch scheint der Chef der Freien Wähler "schon berechnend" zu agieren. "Er merkt, dass er auf seine polternde Art gut das Volk erreichen kann", sagt Rauch. "Inhaltlich haben wir im vergangenen Jahr aber so viel für das Handwerk erreicht wie selten zuvor - auch zusammen mit der Staatsregierung unter Führung des Ministerpräsidenten." Es gebe zum Beispiel den Tag des Handwerks an weiterführenden Schulen und mit dem Meisterbonus eine fast kostenlose Meisterausbildung.