Wie Skelette ragen die Ruinen der zerbombten Häuser in die Luft. Was in Mariupol geschah, zählt zu einer der brutalsten Schlachten, die die russische Armee in ihrem Krieg gegen die Ukraine ausgefochten hat. Tausende Menschen fielen ihr im Frühsommer 2022 zum Opfer, die Zerstörung ist gewaltig. Wochenlang wurde die Stadt am Meer belagert, ehe Wladimir Putins Truppen sie erobern konnten. Die Soldaten verübten schwerste Kriegsverbrechen, wie Dokumente der Organisation "Human Rights Watch" zeigen. Nun soll das völkerrechtswidrig annektierte Mariupol auferstehen – zum Vorzeigeprojekt des Kremls werden. Und ausgerechnet deutsche Firmen unterstützen den russischen Präsidenten dabei.
Wie das ARD-Magazin "Monitor" aufgedeckt hat, werden beim Aufbau der Stadt Produkte unter anderem der Firmen WKB Systems (Nordrhein-Westfalen) und Knauf (Bayern) eingesetzt. Der Gipshersteller mit Sitz im unterfränkischen Iphofen (Landkreis Kitzingen) will sich auf Anfrage nicht zu den TV-Berichten äußern. Sprecherin Sandra Kühberger verweist vielmehr auf eine Antwort ihres Unternehmens vor zwei Wochen, in der es auch um das Russland-Geschäft von Knauf gegangen war. Damals hatte sie betont, dass das Unternehmen "unmittelbar nach Kriegsbeginn" Neuinvestitionen in Russland gestoppt habe. "Wir verurteilen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und unterstützen und befolgen sämtliche Sanktionen der EU" sowie anderer westlicher Staaten gegen Russland. Zur politischen Brisanz der Geschäftsbeziehungen sagt Kühberger nichts.
Knauf hält an seinem Geschäft mit Russland fest
Das ARD-Magazin "Monitor" stützt sich auf Bildmaterial und Geschäftsberichte, die zeigen, dass Knauf-Produkte "auf mehreren Baustellen in Mariupol zum Einsatz kommen". Das unterfränkische Familienunternehmen profitiere auf diese Weise "zumindest indirekt von Aufträgen der russischen Regierung". Der ARD-Bericht beruft sich zudem auf einen Knauf-Händler, der mit einem Wohnhaus-Projekt in Mariupol werbe, "das im Auftrag des russischen Verteidigungsministeriums mit Knauf-Produkten erbaut wurde".
Dass Knauf in Russland trotz des Krieges gut im Geschäft ist, ist nicht neu. Der Weltmarktführer halte an seinen 14 Werken in Russland fest, um die etwa 4000 Beschäftigten dort nicht im Stich zu lassen, lautete stets die Begründung. Doch die Beziehungen zwischen Iphofen und Moskau sind weitaus enger: Nikolaus Knauf, Geschäftsführer der Firma, war bis zum März 2022 Honorarkonsul für Russland. Als Putin im Jahr 2010 zu einem Wirtschaftsgipfel nach Deutschland kam, ließ er sich händeschüttelnd mit Nikolaus Knauf fotografieren.
Rechtlich bewegt sich das Unternehmen offenbar auf der sicheren Seite: Gegen Russland hat die EU wegen des Ukraine-Kriegs eine Fülle von Sanktionen verhängt. Sie schränken in erster Linie den Handel westlicher Unternehmen mit Partnern in dem Land ein. Allerdings beziehen sich die Sanktionen nicht auf Waren, die EU-Firmen in Russland selbst herstellen – so wie Knauf das in seinen 14 Werken dort tut. Der auf Sanktionsrecht spezialisierte Anwalt Viktor Winkler aus Frankfurt bestätigt, dass es "kein direktes Verbot der Baustofflieferung" nach Russland gebe. "Ich sehe gegenwärtig und bisher keinen Verstoß gegen die geltenden Sanktionen durch Knauf", sagt er. "Ich warne daher ausdrücklich vor einer Hexenjagd."
Kiesewetter: "Schlag ins Gesicht der Opfer"
Politisch ist das Engagement von Knauf ausgerechnet in Mariupol dennoch heikel. Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter kritisiert das Verhalten des Gipsgiganten deshalb scharf. "Wenn deutsche Unternehmen weiterhin in Russland bleiben und sogar für den russischen Terrorstaat bei staatlichen Aufträgen mitwirken, werden sie damit direkt oder indirekt Teil der russischen Kriegswirtschaft und stellen sich in den Dienst eines völkerrechtswidrigen Krieges", sagt der CDU-Abgeordnete und Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages unserer Redaktion. "Bei allem Verständnis, dass es in manchen Fällen nicht so einfach ist, sich gänzlich aus Russland zurückzuziehen, verurteile ich das Verhalten von Unternehmen, die aus Prinzip am Russland-Geschäft festhalten und auch weiterhin dort produzieren." Zudem sei es ein Schlag ins Gesicht der Opfer, wenn sich deutsche Unternehmen an der völkerrechtswidrigen Russifizierung besetzter Gebiete wie in Mariupol direkt oder indirekt beteiligen.
Und doch gibt es einen entscheidenden Haken, wie Kiesewetter einräumt: Den Rückzug eines Unternehmens aus Russland könne man rechtlich nicht anordnen. „Aber politisch kann man das Russland-Geschäft durchaus beschränken“, sagt er. Einerseits indem Sanktionen auch zum Beispiel auf so etwas wie Haushaltswaren ausgeweitet würden, sodass bestimmte Dinge wie Baustoffe oder Maschinen nicht mehr für den russischen Markt produziert werden können, weil der Verkauf dann sanktioniert wäre. „Dagegen stellt sich Deutschland aktuell jedoch auch auf EU-Ebene“, bedauert Kiesewetter. „Vor allem aber kann die Einhaltung der Sanktionen und die mögliche Umgehung konsequent überprüft und geahndet werden.“ Ein Unternehmen müsse effektiv ausschließen, dass Produkte direkt oder indirekt in einem militärischen Zusammenhang von Russland genutzt werde - auch wenn die Produkte nicht direkt auf der Sanktionsliste stehen. Tut ein Unternehmen das bewusst oder aus grober Fahrlässigkeit nicht, so kann es auch selbst sanktioniert werden. „Es gibt also durchaus politische Handlungsmöglichkeiten ein solches Engagement zu unterbinden“, sagt der CDU-Abgeordnete. „Es fehlt bislang der politische Wille der Bundesregierung, dies konsequent zu tun.“