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Interview
Verivox-Chef: "Der Preisrückgang bei Strom und Gas ist drastisch"
Viele Tarife sind unter die staatlichen Preisbremsen gefallen. Kunden in der Region könnten bis zu 950 Euro im Jahr sparen, erklärt Verivox-Chef Puschmann.
Flammen an einem Gasherd in Würzburg (Archiv)
Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa | Flammen an einem Gasherd in Würzburg (Archiv)
Michael Kerler
 |  aktualisiert: 11.03.2024 12:33 Uhr

Viele Tarife sind unter die staatlichen Preisbremsen gefallen. Kunden in der Region könnten bis zu 950 Euro im Jahr sparen, erklärt Verivox-Chef Puschmann.

Herr Puschmann, Strom- und Gaspreise erreichten vergangenes Jahr für die Verbraucher Höchststände. Wie sieht die Lage inzwischen aus?  

Daniel Puschmann: Die Lage hat sich deutlich entspannt. Das sieht man bereits im Großhandel. Eine Megawattstunde Strom kostet auf dem Spotmarkt aktuell rund 130 Euro. Das ist viel günstiger als im September im letzten Jahr, da lagen die Preise bei rund 500 Euro. Bei Gas ist der Preisrückgang ebenfalls drastisch, aktuell liegen wir hier bei 39 Euro pro Megawattstunde, vergangenes Jahr waren es teilweise 350 Euro. Der milde Winter, aber auch die großen Anstrengungen in der Industrie und in den Privathaushalten, Energie zu sparen, machen sich hier bemerkbar. 

Was bedeuten die Preisrückgänge für den Verbraucher?  

Puschmann: Die Verbraucherinnen und Verbraucher finden inzwischen deutlich günstigere Tarife, die unter den gesetzlichen Preisbremsen liegen. Bei Strom liegt der Deckel bei 40 Cent pro Kilowattstunde für 80 Prozent des prognostizierten Verbrauchs eines Haushalts. Gute Stromtarife sind aktuell im Schnitt schon für 32 Cent bei einer Reihe von Anbietern zu haben. Das ist fast 20 Prozent unter dem staatlichen Preisdeckel. 

Wie sieht es bei Gas aus?  

Puschmann: Bei Gas liegt der Deckel bei 12 Cent pro Kilowattstunde, es sind aber bereits Tarife für 10,3 Cent zu bekommen, also rund 15 Prozent günstiger. Damit spart jeder Haushalt für sich Geld, aber auch der Staatshaushalt wird entlastet, weil er nicht für die Preisbremse aufkommen muss.

Sinken bald auch die bestehenden Tarife, beispielsweise in der GrundversorgungDie Lechwerke wollen die Preise für Strom und Gas senkenEnergie?  

Puschmann: Der größte Teil der Grundversorgungstarife in Deutschland liegt noch oberhalb der Preisdeckel. Bei den Stromtarifen liegen 82 Prozent der Grundversorgungstarifeüber dem Preisdeckel, bei den Gastarifen sogar 92 Prozent. Der Grundversorgungstarif in Augsburg bei den Stadtwerken gehört mit 52,5 Cent bei Strom und 21,9 Cent bei Gas sogar zu den teuersten in ganz Deutschland. Ein durchschnittlicher Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden Gas könnte bei einem Wechsel trotz Preisbremse zusätzlich 953 Euro sparen. 

Gibt es denn noch viele Menschen mit Grundversorgungstarifen? 

Puschmann: Ja, rund 25 Prozent der Haushalte nutzen Grundversorgungstarife. 

Warum tun sich Grundversorger so schwer, die Preissenkung am Markt weiterzureichen?  

Puschmann: Die jeweilige Beschaffungsstrategie der Versorger führt dazu, dass diese sich schwertun, sinkende Preise am Markt jetzt weiterzugeben. Viele Grundversorger kaufen sehr langfristig ein und haben dies auch getan, als die Preise sehr hoch waren. Diese Verträge mit hohen Preisen sind jetzt immer noch in den Büchern. 

Können Sie nach den Vertragskündigungen zum Beispiel von Stromio oder Gas.de vor eineinhalb Jahren nicht verstehen, dass manche Kunden zögern, den Anbieter zu wechseln? 

Puschmann: Fälschlicherweise gibt es häufig die Assoziation, dass günstige Anbieter nicht seriös sein können. Dieser Eindruck führt in die Irre. Zum einen haben auch Stadtwerke oder Ökostromanbieter günstige Neukundentarife. Zum anderen sind alle Anbieter von der Aufsichtsbehörde geprüft und zugelassen. Agiert ein Anbieter unseriös, ist es Aufgabe der Bundesnetzagentur, gegen schwarze Schafe vorzugehen. Ihre Befugnisse sind im vergangenen Jahr dafür extra gestärkt worden. 

Sind Preisbremsen der Regierung noch zeitgemäß? 

Puschmann: Die Preisbremsen waren vergangenes Jahr richtig. Sie haben den Markt stabilisiert, weil sie Privathaushalte entlastet und so viele Ängste genommen haben. Heute ist die Situation an den Energiemärkten aber eine andere, deshalb sollte die Politik das Instrument entsprechend anpassen. Wir haben drei Forderungen: Erstens gehört die Begrenzung der Wechselboni aufgehoben, wenn Tarife unterhalb des Preisdeckels liegen. Hier besteht keine Missbrauchsgefahr mehr, dass der Staat dafür aufkommen müsste. Zweitens müssen die Preisbremsen angesichts der stark gefallen Großhandelspreise zum Ende des Jahres wie geplant auslaufen. Und drittens sollte der Staat die Preisbremse für Neukundentarife oberhalb des Deckels abschaffen, wenn die positive Entwicklung bis zum Sommer anhält. Es kann doch nicht sein, dass der Staat neue Tarife bezuschusst, wenn es längst günstigere Angebote gibt! Der Staat muss aus Eigeninteresse den Wechsel in günstige Tarife stärken. Bleiben alle in den höheren Tarifen der Grundversorgung, kostet das den Staat 3,3 Milliarden Euro. 

An Vergleichsplattformen hatte die Bundesnetzagentur in einer Studie kritisiert, dass Anbieter, die Ihnen Provisionen zahlen, besser gerankt sein könnten. Wie stehen Sie dazu?  

Puschmann: Wir ranken strikt nach dem Preis, nicht nach der Provision. Aber ja, dass wir Provisionen für eine erfolgreiche Vermittlung nehmen, ist kein Geheimnis. Wir sind hier sehr transparent und sagen das auch deutlich. 

Eine Kritik lautet auch, dass Wechselboni einen Tarif im ersten Jahr sehr günstig erscheinen lassen, im zweiten Jahr wird er dann aber schnell teurer.  

Puschmann: Dieses Problem lässt sich leicht vermeiden: In unserer Übersicht kann man wählen, ob der Tarifvergleich mit oder ohne Boni angezeigt werden soll. 

Decken Sie den gesamten Markt ab?  

Puschmann: Mit rund 29.000 Tarifen für Strom und Gas haben wir eine sehr gute Marktabdeckung. Die Grundversorgungstarife haben wir ebenfalls aufgenommen. Einzelne Anbieter wollen sich der Transparenz nicht stellen und arbeiten nicht mit uns zusammen, das bedauern wir sehr. Manchmal gibt es umgekehrt Vorwürfe, warum wir Tarife von vermeintlich schwarzen Schafen am Markt nicht ausblenden? Wir agieren aber bewusst als neutrale Plattform, die zunächst alle von der Bundesnetzagentur zugelassenen Anbieter aufnimmt. Würden wir das Listing beeinflussen, machten wir uns angreifbar. Selbstverständlich behalten wir uns aber das Recht vor, Anbieter nicht mehr zu listen, wenn wir zum Beispiel gehäufte Kundenbeschwerden feststellen.

Die Bundesverbraucherministerkonferenz hatte unlängst beschlossen, dass die Bundesnetzagentur ein unabhängiges Energievergleichsportal aufbauen soll. Erwächst Ihnen bald starke Konkurrenz?  

Puschmann: Aus meiner Sicht ist das unsinnig. Die Bafin hat derzeit zum Beispiel auch den Auftrag, einen Girokontenvergleich zu bauen. So ein Vergleich ist technisch nicht trivial, die Kompetenz dafür sehe ich nicht bei staatlichen Stellen. Auslöser des Ganzen war, dass ein anderes bekanntes Portal bei seinem zertifizierten Girokontenvergleich einige kleine Banken nicht gelistet hatte. Nach einer Klage gibt es seit 2021 gar keinen Girokontenvergleich mehr. Und ob das Portal der Bafin eines Tages alle Anbieter abdecken wird, daran habe ich starke Zweifel, da eine einheitliche Datengrundlage noch immer fehlt. Wenn der Verbraucherschutz oder die Politik eingreifen will, dann zum Beispiel mit der Vorgabe an die Anbieter, die Daten zur Verfügung zu stellen. Den Rest sollte man dem Markt überlassen. 

Wechseln wir vom Energiemarkt auf den Finanzmarkt: Kommen die steigenden Zinsen bald auch bei den Sparerinnen und Sparern anAktien, Fonds, Immobilien – diese Geldanlage lohnt sich jetztFinanzen, zum Beispiel beim Tagesgeldkonto?  

Puschmann: Es gibt inzwischen einige Banken, die Neukunden über 2 Prozent Zinsen zahlen. Dem stehen immer noch 262 Sparkassen und Genossenschaftsbanken gegenüber, die keine Zinsen zahlen. Es ist Bewegung am Markt. Um dies zu nutzen, muss man Angebote vergleichen und auch wechseln. Ohne wirtschaftlichen Druck passiert meist auch nichts. 

Zur Person:Daniel Puschmann, 49, ist seit zweieinhalb Jahren Chef des Verbraucherportals Verivox mit rund 500 Beschäftigten. Er stammt aus Duisburg, studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre und wohnt heute in Mering im Kreis Aichach-Friedberg.

 
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