zurück
Köln
Marktforscher erklärt: So können Warenhäuser sich für die Zukunft rüsten
Boulderhalle statt Versorgungszentrum: Marktforscher Boris Hedde erklärt, wie Warenhäuser und Einkaufszentren sich neu erfinden müssen, um überleben zu können.
Fußgänger in Innenstadt.jpeg       -  Nur zum Einkaufen kommen immer weniger Menschen in die Innenstädte.
Foto: Thomas Banneyer, dpa | Nur zum Einkaufen kommen immer weniger Menschen in die Innenstädte.
Matthias Zimmermann
 |  aktualisiert: 19.05.2024 02:39 Uhr

Herr Hedde, viele sagen, das Warenhaus hat keine Zukunft mehr. Galeria schließt nun zwar erneut zahlreiche Filialen, hat aber einen Investor gefunden. Kann das gut gehen?

Boris Hedde: Das Warenhaus in seiner jetzigen Form ist nicht mehr zeitgemäß. Das größte Warenhaus der Welt findet sich online, da kann man jeden Tag rund um die Uhr einkaufen. Ein Warenhaus in der alten Form, mit vielen Produkten auf großer Fläche, kann das niemals in gleicher Form anbieten. Wir müssen also dieses Format einer großen Fläche neu verstehen. Die Kundinnen und Kunden suchen nicht mehr Waren, sie suchen Erlebnisse. Das heißt, die Versorgung, auf die das Warenhaus abzielte, ist nicht mehr das Kernkriterium einer Innenstadt.

Wie können so große Flächen neu genutzt werden?

Hedde: Es geht erst einmal darum, diese großen Boxen, die wir in den Innenstädten haben, mit neuen Mehrwerten aufzuladen. Die Menschen kommen in die Innenstädte, aber die Kundenfrequenzen im Handel sind rückläufig. Das heißt, die Besucherinnen und Besucher kommen verstärkt aus anderen Motiven. Sie verbinden das Einkaufen mit Kaffeetrinken oder Essengehen, mit Behördengängen, Arztbesuchen und vielem mehr. Diese anderen Motive gilt es auch in der einzelnen Immobilie anzubieten. Es geht darum, mit jedem einzelnen Besuch Mehrwert zu schaffen für die Besucherinnen und Besucher, aber auch für die Innenstadt als Ganzes und die einzelnen Händler oder Händlerinnen.

Wie kann man sich das konkret vorstellen? 

Hedde: Es gibt ein schönes Beispiel aus Köln. In der Stadt haben wir mit der Hohen Straße eine der meistfrequentierten Einkaufsstraßen Europas. Wir werden hier demnächst in einer solchen Großimmobilie eine Boulderhalle haben. Im Handel und in der Immobilienwirtschaft hieß die Währung in der Vergangenheit Umsatz pro Fläche. Das funktioniert nicht mehr. Eine Boulderhalle alleine wird sich nicht tragen können, wenn sie die Mieten von früher zahlt. Wir stehen vor der Aufgabe, Mischkonzepte passgenau für die örtlichen Zielgruppen oder den örtlichen Standort zu finden, die dann aber auch der Immobilienwirtschaft ermöglichen, sich zu refinanzieren.

An der Höhe der Mieten hat sich jüngst entschieden, welche Filialen von Galeria schließen müssen. Das dürfte auch für jede Nachnutzung entscheidend sein, umso mehr, da viele Häuser wohl erst saniert und umgebaut werden müssen ...

Hedde: Das ist die große Herausforderung, vor der wir stehen. Wir brauchen eine Erneuerung im Umfeld rückläufiger Umsätze, das ist aus Sicht der Immobilienwirtschaft denkbar ungünstig. Hinzu kommen jetzt noch die gestiegenen Finanzierungskosten, die ja schuld waren an den Pleiten in der Branche im vergangenen Jahr. Dennoch gibt es Immobilienentwickler, die jetzt in diese Richtung denken, die in der Mitte ihrer großen Flächen sogenannte Playgrounds oder Agoras einrichten, wo sich Menschen treffen können. Das soll für Frequenz innerhalb der Immobilie sorgen, die dann vielleicht abstrahlt auf die weiteren Mieter, egal ob sie jetzt aus dem Kultur- und Freizeitbereich kommen, dem Handel oder ob es um Büroflächen geht.

Glauben Sie, dass diese Transformation ohne staatliche Förderung auskommt? 

Hedde: Ich bin ich skeptisch, ob das in der letzten Konsequenz funktioniert. Man bekommt fast körperliche Schmerzen, wenn man darüber nachdenkt, dass in der Vergangenheit mit dem Signa-Konzern ein einzelnes Unternehmen mit 650 Millionen Euro unterstützt wurde. Wir hatten ein tolles Projekt zum Thema zukunftsfähige Innenstädte, das von der Bundesregierung mit 250 Millionen Euro gefördert wurde – in Summe für alle Städte in Deutschland. Da sieht man die Diskrepanz, in der wir uns gerade befinden, und auch die Herausforderungen, vor denen eine staatliche Förderung steht. Die Frustration in der Politik über die Erfahrungen der letzten Jahre ist sicherlich noch groß. Das Investieren in die Immobilienwirtschaft war ja ein Versenken von Steuergeldern. Ich denke aber, dass der Umbau ohne staatliche Förderung nicht funktioniert, gerade wenn wir neue Anforderungen an Nachhaltigkeit und die Vermeidung von CO₂-Emissionen auch noch erfüllen wollen.

Das eine ist das Geld, das andere sind gesetzliche Hürden. Ist die Bereitschaft der Politik größer, hier Kompromisse zu machen? 

Hedde: Die Frage ist, welche Hürden man betrachtet. Ich glaube, bis wir die Sonntagsöffnung gelöst haben, wird es noch dauern. Aber es gibt einige Städte, auch in Bayern, die bereit sind, Neues auszuprobieren. Da ist man dann zum Beispiel in Bezug auf Lärm in der Innenstadt temporär etwas toleranter, wenn Initiativen vor Ort etwas ausprobieren wollen. Wenn man sieht, dass eine Idee tragen könnte und einen Mehrwert für die Stadt bietet, kümmert man sich um die Genehmigung. Das ist ein wenig wie in der Start-up-Welt: Man versucht, erst mal etwas Kleineres, und wenn man merkt, da ist eine Marktfähigkeit, dann wagt man die große Investition. Ich glaube, diesen Gedanken auf die Städte zu übertragen, ist der richtige Weg.

Neben den Warenhäusern gibt es in vielen Städten auch große Einkaufszentren. Stehen die vor ähnlichen Problemen?

Hedde: Es gibt kaum Einkaufszentren, die nicht mit Leerstand kämpfen.Noch mehr leere Kaufhäuser – wie (oft) gelingt es, den Leerstand zu vermeiden?Galeria-Insolvenz Der Druck ist einfach da. Viele Handelsangebote auf kurzem Weg in einer Immobilie anzubieten, das war die Strategie. Jetzt sehen wir, dass Handel allein nicht mehr der Treiber ist. Dann wurde versucht, mit Gastronomie Impulse zu setzen. Aber die Möglichkeiten sind auch beschränkt, weil die Wünsche der Besucherinnen und Besucher nach Orten zum Verweilen oder um Leute zu treffen, nicht unbedingt zum Konzept Einkaufszentrum passen. Zudem gibt es bei den Immobilien zum Teil einen großen Investitionsstau, etwa in Bezug auf das, was heute beim Thema Licht erwartet wird. Hinzu kommen auch hier neue Anforderungen an Nachhaltigkeit und Emissionsreduktion. Also die Situation ist sehr ähnlich wie bei den Warenhäusern.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Einkaufszentren
Innenstädte
Kundenfrequenz
Leerstände
Mieten
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen