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Frankfurt am Main/Berlin
So steht es um die Macht der Gewerkschaften
Die IG Metall verliert Mitglieder, während Verdi Zulauf hat. In Tarifverhandlungen ist die Zahl zahlender Unterstützer wichtig. Wie das Machtspiel funktioniert.
IG Metall.jpeg       -  Abwärtstrend: Die IG Metall zählte 2022 noch rund 2,147 Millionen Mitglieder.
Foto: Silas Stein, dpa (Archivbild) | Abwärtstrend: Die IG Metall zählte 2022 noch rund 2,147 Millionen Mitglieder.
Stefan Stahl
 |  aktualisiert: 11.03.2024 09:20 Uhr

Für eine Gewerkschaft gibt es mehrere Währungen der Macht. Schneidet eine Arbeitnehmer-Organisation dabei gut ab, ist sie „wirkmächtig“, wie das der frühere IG-Metall-Chef Jörg Hofmann einmal gesagt hat. Die Bedeutung einer Gewerkschaft speist sich zunächst aus zwei sich gegenseitig bedingenden Faktoren: So bestimmt der Organisationsgrad in den Betrieben, eben die Zahl der Mitglieder, die Durchsetzungskraft einer Gewerkschaft gegenüber den Arbeitgebern - und das gerade während Tarifverhandlungen. Die Gleichung ist einfach und funktioniert meist so: Macht führt zu höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen. 

Nicht in allen Wirtschaftszweigen ist indes eine möglichst hohe Zahl an Mitgliedern notwendig, um Arbeitnehmer-Interessen durchzusetzen. Denn wenn Lokführer wie jetzt oder Piloten streiken, wird der Bahn- beziehungsweise Luftverkehr massiv gestört. Tausende Beschäftigte können hier, weil sie Schlüssel-Positionen in Unternehmen einnehmen, derart viel erreichen, wie es in anderen Branchen nur Hunderttausende vermögen. In den meisten Wirtschaftszweigen, allen voran der Metall- und Elektroindustrie, ist eine Beschäftigten-Vertretung dann besonders wirkmächtig, wenn sie möglichst viele Mitglieder hinter ihrem Rücken weiß und mit diesem Druckfaktor hohe Lohnabschlüsse erstreiten kann. 

IG Metall bleibt die mächtigste Arbeitnehmer-Organisation

Deutliche Gehaltssteigerungen wie zuletzt im Öffentlichen Dienst führen dazu, dass eine Gewerkschaft wie Verdi für Beschäftigte attraktiv ist. Das wiederum beschert Arbeitnehmer-Organisationen zusätzliche Mitglieder, mehr Beitragseinnahmen, stabilere Finanzen und damit mehr Macht. Deswegen lohnt ein genauer Blick auf die Kennziffern, dank derer sich der Zustand einer Gewerkschaft messen lässt. Die mächtigste Arbeitnehmer-Gruppe in Deutschland ist nach wie vor die IG Metall, vertritt sie doch exportstarke Branchen wie die Autoindustrie und den Maschinenbau. Die Organisation hatte Ende 2016 noch 2,274 Millionen Mitglieder, ein Spitzenwert in Reihen der DGB-Gewerkschaften. 

In den Folgejahren bröckelte die beeindruckende Kennziffer ab. So zählte die IG Metall 2022 noch rund 2,147 Millionen Mitglieder. Der Abwärtstrend auf hohem Niveau hielt im vergangenen Jahr an. Bei der Jahrespressekonferenz am Donnerstag in Frankfurt meldete die Gewerkschaft zwar „eine weitgehend stabile Mitglieder-Entwicklung“, aber die Zahl zahlender Unterstützer ging dann doch auf 2,136 Millionen zurück. IG-Metall-Chefin Christiane Benner kann als Nachfolgerin von Jörg Hofmann trotzdem eine positive Entwicklung verkünden: Denn 2023 sind exakt 129.348 Frauen und Männer in die Gewerkschaft eingetreten. Damit konnte der gute Wert vom vergangenen Jahr, was die Aufnahme zusätzlicher Mitstreiter betrifft, nochmals übertroffen werden. Lediglich 2018, also vor dem Ausbruch der Pandemie, verzeichnete die Organisation mehr Beitritte. 

Corona-Jahre waren eine harte Zeit für Gewerkschaften wie die IG Metall

Die Corona-Jahre waren auch für Gewerkschaften eine harte Zeit, kamen etwa die Vertreter der IG Metall doch nicht in dem Maße wie vor der Pandemie direkt mit Menschen ins Gespräch. Das ist aber eine entscheidende Voraussetzung dafür, um neue Mitglieder zu werben. Im Zuge der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie gelang der Gewerkschaft eine Aufholjagd. Am Ende verzeichnete sie 2022 über gut 117.000 Neuaufnahmen. Der frühere IG-Metall-Chef Hofmann hoffte vor einem Jahr, dass die IG Metall an die positive Entwicklung anknüpfen kann. Dank „des Zulaufs an neuen Mitgliedern“ sieht Benner die Gewerkschaft „gut aufgestellt“. Das lässt sich auch an den Finanzen der Organisation ablesen: So haben die Beitragseinnahmen 2023 einen Spitzenwert von 620 Millionen Euro erreicht, schließlich lagen sie 2022 noch bei 596 Millionen Euro. 

Die Finanzmacht ist eine weitere zentrale Größe für eine Gewerkschaft, schließlich zeigt sie, wie prall die Streikkasse gefüllt ist. Die Arbeitgeber wissen damit, dass die IG Metall in den nächsten Tarifverhandlungen, die im Herbst beginnen, über ein ausreichendes Geld-Polster verfügt. Das trägt zur Wirkmächtigkeit einer Gewerkschaft bei. Trotz aller Erfolge gerät die IG-Metall-Spitze unter Druck, schließlich droht doch die Basis des Erfolgs der Gewerkschaft, die starke deutsche Industrie, an Macht zu verlieren. 

Hohe Energiepreise fordern ihren Tribut. Die Deindustrialisierung hat nach Einschätzung von Ökonomen begonnen. Weniger Industrie heißt weniger Mitglieder und damit weniger Macht für die IG Metall. Deswegen sagt der aus Augsburg stammende Gewerkschafts-Vize Jürgen Kerner: „Die Lage ist ernst aus unserer Sicht. Wir werden die Deindustrialisierung nicht hinnehmen.“ Er fordert ein umfassendes Konzept für den klimaneutralen Umbau der deutschen Industriegesellschaft. Es soll eine "Transformations-Kommission" ins Leben gerufen werden, die bis September konkret aufzeigt, wie die Klimaziele erreicht und zugleich Industrie und Jobs abgesichert werden können. 

Während die Macht-Bastion der Industrie zu wackeln beginnt, haben Dienstleistungsberufe im Zuge der Coronakrise zum Teil an Bedeutung gewonnen. Frank Werneke, Chef der Dienstleistungs-Gewerkschaft Verdi, wusste das mit seinem Team in einen Zuwachs an Einfluss für die Organisation umzusetzen. Demnach sind im vergangenen Jahr mehr als 193.000 Frauen und Männer in Verdi eingetreten - und das bei knapp unter 153.000 Abgängen. Die Gewerkschaft legte auf rund 1,898 Millionen Mitglieder zu und ist der IG Metall damit auf den Fersen. Verdi gewinnt an Macht. 

Die Dienstleistungs-Gewerkschaft verzeichnet besonders bei Menschen unter 28 Jahren Zuwächse. Eine vergleichbare positive Mitglieder-Entwicklung konnte das Dienstleistungslager im Gewerkschaftsbereich zuletzt Mitte der 80er-Jahre vorweisen. Verschiebt sich die Macht im Arbeitnehmerlager langfristig von der IG Metall hin zu Verdi? Das hängt davon ab, wie es mit der Deindustrialisierung weitergeht. IG-Metall-Vize Kerner bleibt Optimist: „Wir müssen aus der vielen Wut, die es jetzt gibt, Mut machen.“ 

 
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