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München
Bayerns IG-Metall-Chef Ott: "Wer AfD wählt, schadet sich selbst"
Horst Ott ist überzeugt, dass die AfD für Beschäftigte keine Alternative darstellt. Er erklärt, warum laut Umfragen 18 Prozent der Gewerkschafter in Bayern trotzdem die Partei gewählt haben.
Stefan Stahl
 |  aktualisiert: 24.05.2024 02:54 Uhr

Herr Ott, die bayerische IG Metall und die Metallarbeitgeber-Verbände im Freistaat haben sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen „rechtsradikale Hetze“ gestemmt und klar gegenüber der AfD positioniert. Wie kam der Schulterschluss zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern an?

Horst Ott: Wir haben als IG Metall sehr viel positiven Zuspruch bekommen. Nur vereinzelt gab es kritische Reaktionen, nach denen sich die IG Metall bei dem Thema doch besser raushalte. Demnach sollten wir keine gemeinsame Sache mit dem Arbeitgeberverband machen. Für mich steht aber fest: Wenn Arbeitnehmer AfD wählen, ist das so, als ob sie sich ins rechte Knie schießen, weil ihnen das linke wehtut. Die AfD ist weder eine Alternative noch für Deutschland. Ein Arbeitnehmer sollte aus eigenem Interesse nicht AfD wählen. Wer AfD wählt, schadet sich selbst. 

Woran machen Sie das fest? 

Ott: Wenn die AfD – rein theoretisch – an die Macht käme, würden viele Arbeitnehmer-Rechte beschnitten. Und in der gemeinsamen Erklärung mit den Metall-Arbeitgebern machen wir deutlich, dass die AfD eine offenkundig rechtsradikale Partei ist, die nur Parolen und keinerlei praktikable politische Lösungen anbietet. Und klar ist auch: Das nationalistische, undemokratische Denken und die Propaganda der AfD gegen die EU und den Euro, ihr partiell anti-amerikanisches und vor allem pro-russisches Denken stellen den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes massiv infrage.

Ist die AfD also eine Bedrohung für den Wirtschaftsstandort Deutschland? 

Ott: Die AfD stellt ein Wohlstands- und Sicherheitsrisiko für unser Land dar. Deswegen rufen wir die Kolleginnen und Kollegen, ja alle Bürger auf, am 9. Juni bei den Europawahlen ein deutliches Zeichen gegen die AfD und alle anderen radikalen Kräfte zu setzen. 

Was ist los in Deutschland? Warum finden radikale Parteien wie die AfD so viel Zuspruch, auch wenn die AfD zuletzt in Wahlumfragen und vor Gericht in Münster Rückschläge erlitten hat? 

Ott: Wir erleben eine große Verunsicherung und eine große Angst in Teilen der Bevölkerung. Wahlanalysen zeigen: 18 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder in Bayern haben zuletzt AfD gewählt. Das passt überhaupt nicht zur IG Metall. Wir positionieren uns als IG Metall eindeutig gegen die AfD. Und wir verzeichnen in Bayern Mitgliederzuwächse. 

Wie passt das also alles zusammen? Früher haben IG-Metallerinnen und IG-Metaller in hohem Maße SPD und in Bayern auch häufig CSU gewählt, also Parteien, die Arbeitnehmer-Themen aufgreifen.  

Ott: Hier spielen sicher Verlustängste von Beschäftigten eine große Rolle, nicht so sehr, was die Gegenwart, sondern vor allem was die Zukunft betrifft. 

Wovor haben Beschäftigte in Zeiten von Vollbeschäftigung und hohen Löhnen in der Metall- und Elektroindustrie derart viel Angst? 

Ott: Beschäftigte haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Sie haben in Anbetracht der hohen Geschwindigkeit, wie sich ihre Arbeitsplätze etwa durch die E-Mobilität und die Digitalisierung verändern, Angst vor der Zukunft. Viele Menschen kommen nicht mehr mit. Sie fühlen sich abgehängt. So ist ein grundsätzliches Unwohlsein entstanden. Und dann gehen wir die Transformation der Wirtschaft zum Teil auch noch unklug an. 

Was meinen Sie damit? 

Ott: Es ist richtig, auf Elektroautos umzustellen. Nur diese Umstellung führt zu Unsicherheit, weil gerade Menschen auf dem Land auf das Auto angewiesen sind, aber es dort noch keine ausreichende Infrastruktur für die E-Mobilität gibt. Ich lebe auf dem Land in einem 80-Einwohner-Ort in der Oberpfalz. Wenn meine zwei Kinder am Nachmittag Schule hatten, kamen sie mit dem öffentlichen Nahverkehr nicht mehr nach Hause. So sind Eltern und Kinder auf dem Land auch bislang noch auf das Auto angewiesen. Die Politik muss schleunigst die Infrastruktur ausbauen, damit E-Autos ein praktikabler Ersatz werden. 

Was haben diese Defizite der Infrastruktur für Folgen? 

Ott: Das alles verunsichert Menschen. Beim Heizen verhält es sich ähnlich. In meinem 80-Einwohner-Dorf gibt es keine Möglichkeit, ans Fernwärmenetz angeschlossen zu werden. Aber genau das raten Regierungspolitiker als Alternative zur Öl- oder Gasheizung. Wenn man Menschen zum Umstieg auf klimafreundlicheres Autofahren und Heizen motivieren will, muss man ihnen klare Alternativen aufzeigen, die für sie nicht teurer sind. Sonst entsteht Angst. Und für weitere Verunsicherung sorgt der Krieg in der Ukraine. 

Muss man dann aber bei allen nachvollziehbaren Ängsten gleich AfD wählen? 

Ott: Nein. All das rechtfertigt ein solches Wahlverhalten nicht, es erklärt es aber. Das Wahlverhalten ist also nicht rational, zumindest aber emotional erklärbar. So kommt bei vielen Menschen die Alternative ins Spiel, die keine ist. 

Beeindruckt es Gewerkschaftsmitglieder nicht, dass die IG Metall offen gegen die Wahl der AfD aufruft? 

Ott: Unter Beschäftigten ist das Ansehen der IG Metall nach wie vor sehr hoch. Sie gestehen uns laut Umfragen zu, dass wir Probleme in den Betrieben lösen. Doch wir sind keine parteipolitische Gruppierung, sondern eine Gewerkschaft. Ein bestimmter Teil ist leider offen für die AfD. 

Warum gibt die IG Metall keine klare Wahlempfehlung etwa für die SPD ab? 

Ott: Eine solche Wahlempfehlung wie wir sie in den 80er-Jahren gemacht haben, ist heute nicht mehr zeitgemäß. Die IG Metall ist parteipolitisch unabhängig, aber politisch nicht neutral. Wenn es den Interessen der Beschäftigten dient, setze ich mich mit Politikern der SPD, der CSU, der Grünen und der Freien Wähler zusammen, jedoch nicht mit Politikern der AfD. 

Wird die AfD eines Tages zur neuen Heimat der Arbeiterschaft? 

Ott: Das glaube ich nicht, disqualifiziert sich diese Partei doch immer wieder selbst. Die AfD ist zwar leider keine Modeerscheinung, die wieder verschwindet, sie wird aber auch nicht salonfähig. 

So mancher Arbeiter wählt in Bayern auch die Freien Wähler. Wie beurteilen Sie die Arbeit von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger? 

Ott: Sein Standard-Spruch lautet ja: „Die Ampel ist schuld.“ Statt Schuldzuweisungen bräuchten wir aber Lösungen. Doch die bringt Herr Aiwanger oft nicht. Inhaltlich liefert er zu wenig als Wirtschaftsminister ab, wenn man jetzt mal von seinem Engagement für Schneekanonen absieht. Wenn das Essen in der Kantine nicht schmeckt, ist für Herrn Aiwanger wahrscheinlich auch die Ampel schuld. Das wäre unter dem einstigen CSU-Wirtschaftsminister Otto Wiesheu auf einem anderen Niveau abgelaufen. 

Schätzen Sie Otto Wiesheu? 

Ott: Herrn Wiesheu habe ich im Zuge der Auseinandersetzung um das Stahlwerk Maxhütte in der Oberpfalz schätzen gelernt. Ich bin gebürtiger Augsburger und habe beim Panzergetriebehersteller Renk nach der Ausbildung vier Jahre als Reparaturschlosser gearbeitet. Doch schon 1992 bin ich zur IG Metall nach Amberg in die Oberpfalz gegangen. Dort wurde ich über mehrere Stationen erster Bevollmächtigter, ehe ich vor gut einem Jahr die Aufgabe als IG-Metall-Bezirksleiter in Bayern übernommen habe. Übrigens: Auch die frühere CSU-Wirtschaftsministerin Ilse Aigner schätze ich sehr. Ohne sie hätten wir als IG Metall die Auseinandersetzung beim Oberpfälzer Autozulieferer Grammer nicht gewonnen. 

Dieses Lob für zwei frühere bayerische CSU-Wirtschaftsminister verteilt der Sozialdemokrat Ott. 

Ott: Frau Aigner hat sich unaufgeregt, verlässlich, aber mit klaren Positionen für die Arbeitsplätze der Beschäftigten und das Unternehmen eingesetzt. Frau Aigner ist eine integre Politikerin. Wie gesagt: Ohne sie hätten wir als Arbeitnehmer-Vertreter die feindliche Übernahme von Grammer durch die bosnische Investoren-Familie Hastor nicht abwehren können. 

Wie fällt insgesamt das Verhältnis der bayerischen IG Metall zur Staatsregierung aus? 

Ott: Wenn wir etwas von der Staatsregierung brauchen, haben wir einen Zugang. Natürlich denkt sich Herr Söder nicht: Wenn die IG Metall uns anruft, setze ich die Anregungen um. Der Ministerpräsident behandelt uns wie alle anderen Interessengruppen: Wenn es ihm nutzt, unterstützt er die IG Metall. Und wenn es ihm nicht hilft, dann lässt er auch uns ins Leere laufen. 

Das klingt nach einem eher neutralen Verhältnis Söders zur IG Metall. 

Ott: Ich habe keine Abneigung Söders gegen die IG Metall festgestellt. Das Verhältnis ist in Ordnung. Doch ich würde mir wünschen, dass sich die Staatsregierung in einigen Punkten klarer positioniert. So sollte der Ministerpräsident etwa seinen Widerstand gegen ein Weiterbildungsgesetz endlich aufgeben. Nur noch in Bayern und Sachsen existiert deutschlandweit ein solches Gesetz nicht. Vor Wahlen gibt es in Bayern immer Signale der Staatsregierung, man würde über die Einführung eines solchen Gesetzes nachdenken, doch nach der Wahl sind entsprechende Überlegungen schnell wieder vergessen. 

Warum ist ein Weiterbildungsgesetz so wichtig? 

Ott: Wir brauchen auch in Bayern dringend einen Rechtsanspruch, dass Beschäftigte sich bei fortlaufender Bezahlung weiterqualifizieren können. Nur so steigt unter den Beschäftigten die Akzeptanz, etwa bei der Transformation der Wirtschaft hin zur E-Mobilität und Digitalisierung mitzuziehen. 

Warum weigert sich die Staatsregierung dennoch, ein solches Gesetz einzuführen? 

Ott: Hier wird vor allem ein finanzielles Argument ins Feld geführt, müssten die Unternehmen doch die Beschäftigten für die Weiterbildung freistellen und weiter bezahlen. Und es wird auch seitens der Staatsregierung angeführt, dass Firmen ohnehin zu wenige Arbeitskräfte fänden und sie es sich daher nicht leisten könnten, sie auch noch während der Arbeitszeit weiterzubilden. Das ist jedoch viel zu kurzfristig gedacht. Und dann gibt es noch unqualifizierte Argumente. 

Wer trägt die denn vor? 

Ott: Ich habe Herrn Aiwanger bei einer Betriebsversammlung getroffen. Dort hat er erklärt, er halte ein Weiterbildungsgesetz für zu bürokratisch und er wolle nicht, dass Beschäftigte zwangsweise in Qualifizierungsmaßnahmen geschickt würden. Entweder Herr Aiwanger weiß es nicht besser, oder er arbeitet bewusst mit falschen Informationen. 

Wie kommen Sie darauf? 

Ott: Nach der Einführung eines Weiterbildungsgesetzes gäbe es keinen Zwang für die Beschäftigten, an Schulungen teilzunehmen. Sie hätten nur, wenn sie das freiwillig wollen, das Recht auf Weiterbildung. Die Arbeitgeber könnten es ihnen also nicht verwehren. Aus meiner Sicht blockiert Aiwanger ein solches Weiterbildungsgesetz. 

Blockiert auch Söder das Weiterbildungsgesetz? 

Ott: Zumindest unterstützt Söder nicht die Einführung eines Weiterbildungsgesetzes. Damit steckt die Sache fest. Das Thema muss man politisch weitertreiben. Vielleicht stoßen wir hier einmal ein Volksbegehren an. Wir bleiben als IG Metall dran. Für Bayern als Hightech-Standort kommt es einem enormen Image-Verlust gleich, dass wir immer noch kein Weiterbildungsgesetz haben. 

Zur Person: Horst Ott, 58, ist seit April 2023 Bezirksleiter der IG Metall Bayern. Seinen gewerkschaftlichen Werdegang startete der gelernte Maschinenschlosser 1982 als Jugend- und Auszubildendenvertreter bei der Renk AG in Augsburg. 1989 wechselte Ott hauptberuflich zur IG Metall. Nach einem Volontariat bei der IG Metall Augsburg und dem Studium an der Akademie der Arbeit in Frankfurt am Main arbeitete er zunächst als Gewerkschaftssekretär in Amberg. 2008 wurde der Gewerkschafter zum 2. Bevollmächtigten und 2012 zum 1. Bevollmächtigten der IG Metall Amberg gewählt. Ott ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er ist Mitglied der SPD und des Bund Naturschutz. In seiner Freizeit engagiert sich Ott als Gruppenführer der Rettungshundestaffel im THW/Bayern, Sulzbach-Rosenberg. 

 
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