Das Hotel Adlon ist ein besonderer Ort in Berlin. Kommen dort Familienunternehmer aus ganz Deutschland zusammen, wird das erste Haus am Platze noch spezieller. Die Etikette völlig unberlinerisch. Herren in Anzügen mit Krawatte und Einstecktuch, Damen im Kostüm, Doktortitel auf dem Namensschild, von Teppichen gedämpfte Schritte. Der Zungenschlag verrät, dass sich viele Firmenchefs aus dem Süden der Republik aufgemacht haben. „So viel Wirtschaftskraft ist hier selten“, ruft ein Unternehmer und erntet dafür viele Lacher.
Der kleine Scherz täuscht darüber hinweg, wie schlecht die Stimmung in den Chefetagen ist. Das Ansehen der Bundesregierung liegt nahe dem Nullpunkt. „Der Vorarbeiter Scholz sitzt im Büro und schmunzelt die Probleme weg“, sagt der Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, Ulrich Stoll, in seiner bitteren Eröffnungsrede am Freitagmorgen.
Im eigenen Verbands-Ranking erreicht Deutschland nur noch Rang 18 unter 21 Industriestaaten. Mehr als die Hälfte von 500 befragten Unternehmen in Familienhand hat in einer Umfrage angegeben, die Investitionen auf das Ausland zu fokussieren. „Wir legen zu, aber nicht am Standort Deutschland“, meint Stoll. Wenn es so weitergehe, ende es für die deutsche Wirtschaft wie das Märchen von Hans im Glück: aus dem Goldklumpen ist ein Stein geworden.
„Ihr Job ist wahrlich nicht vergnügungssteuerpflichtig“
Die Familienunternehmer haben den Wirtschaftsminister eingeladen, um zu erfahren, ob die Koalition sie aus dem Sumpf ziehen wird. „Ihr Job ist wahrlich nicht vergnügungssteuerpflichtig“, begrüßt Ulrich Stoll seinen Gast Robert Habeck. In seinen einleitenden Worten erklärt Habeck noch einmal, warum die Konjunktur an Blutarmut leidet. Im von goldenen Kronleuchtern erhellten Saal hören ihm 400 Leute zu. Putin habe mit der Kappung der Gaszufuhr die Industrie in Deutschland zerstören und aus der daraus resultierenden Wirtschaftskrise den Zusammenhalt der Gesellschaft auflösen wollen.
„Die letzten zwei Jahre waren schlimm“, sagt Habeck. Doch weil Dankbarkeit in der Politik keine Kategorie ist, fordern die Familienunternehmen von Habeck, was er ihnen nicht geben kann, weil es dafür keine Zustimmung von den Koalitionspartnern SPD und FDP gibt. Die Senkung der Unternehmenssteuern wäre mit den Liberalen zu machen, allerdings nicht, wenn dafür Schulden aufgenommen werden müssten – Stichwort Schuldenbremse. Die FDP würde bei den Sozialausgaben kürzen, was wiederum mit der SPD und auch nicht mit Habecks Grünen zu machen wäre. Doch der Moderator auf dem Podium will den Wirtschaftsminister nicht so einfach davonkommen lassen und bohrt nach, was er und die Koalition denn für die Unternehmen zu tun gedenke.
Habeck will das Lieferkettengesetz für zwei Jahre pausieren
Der Vizekanzler kommt zunächst nicht zum Punkt, windet sich und legt den Bossen dann doch ein Geschenk auf den Tisch. Er will das in der Wirtschaft ungeliebte Lieferkettengesetz für zwei Jahre stummschalten, bis Mitte 2026 die europäischen Regeln greifen. Unternehmen müssen ihre Lieferanten weltweit überprüfen, ob sie Umwelt- und Sozialstandards einhalten. „Wir können das pausieren. Das halte ich für absolut vertretbar“, verkündet der Minister. Er verspricht, dass das die Ampelkoalition schon in den nächsten Wochen beschließen werde. „Ich kann zusagen, dass es beim Lieferkettengesetz eine richtige Schneise geben wird.“ Überraschter Applaus der Unternehmer.
Genauso überrascht von Habecks Vorschlag sind die Sozialdemokraten, denen das Gesetz wichtig ist. Aus der SPD-Fraktion erschallt wenige Stunden später ein Veto. Beifall hingegen kommt von FDP-Chef Christian Lindner. Ihm sei Bemerkenswertes berichtet worden, sagt der Bundesfinanzminister, der nach dem Mittagessen (Ziegenkäsesalat, Fisch an Püree) der Unternehmer das Mikrofon im Adlon übernimmt. „Ich will klar unterstützen, was mein Kollege Robert Habeck gesagt hat.“
Der Wirtschaftsminister streckt dem Finanzminister damit die Hand aus
Die Freien Demokraten kämpfen schon lange gegen das Lieferkettengesetz. Habeck streckt also Lindner die Hand aus, obwohl die FDP den Grünen das Leben regelmäßig schwer macht. Nun wird es an Kanzler Scholz sein, ob er seiner SPD die Gesetzespause aufzwingen kann. Oder eben nicht.
Der Wirtschaftsminister hatte den Familienunternehmern bei seinem Auftritt am Morgen einen Blick durch das Schlüsselloch erlaubt, wie Politik gemacht wird. Tags zuvor musste er sich im Fernsehen bei Maybrit Illner schwerer Angriffe von CDU-Chef Friedrich Merz („Sie wissen nicht ein noch aus“) erwehren. Wenn die Kameras an sind, kämpfen die Politiker entlang der Linien ihrer Partei. Im Anschluss, so erzählt es der Grüne, habe er mit Merz noch eine Stunde persönlich über Auswege aus der Wirtschaftsflaute geredet. Danach hätte man sagen können: "Geht doch alles."