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Augsburg
Die Software-Könige aus Augsburg: "Wir wollen der Wachstumsmotor sein"
Xentral bietet Warenwirtschaftssysteme für Firmen. Wie der Ex-Hauptschüler Benedikt Sauter ein Multi-Millionen-Unternehmen aufgebaut hat und welche Rolle die "Höhle der Löwen" dabei spielt.
Michael Kerler
 |  aktualisiert: 17.06.2024 02:39 Uhr

Zahlreiche junge Unternehmen sind zuletzt mit Lebensmittelprodukten bekannt geworden, sie verkaufen Bio-Fruchtmus für Kinder, die beliebten Quetschies, neue Nährstoffdrinks oder Porridge, ein Haferfrühstück, das aus Schottland stammt, andere setzen auf Kleidung oder Schuhe. Ihren Erfolg haben die Start-ups einer pfiffigen Idee und dem Mut der Gründerinnen und Gründer zu verdanken. Zu einem großen Teil aber auch einem Unternehmen aus Augsburg, das seinen Teil dazu beiträgt, dass sich kleine und mittelständische Unternehmen professionell aufstellen können: Xentral hat eine Software – ein Warenwirtschaftssystem – entwickelt, das die Abläufe zum Beispiel im Lager ordnet und automatisiert. Dass Xentral in eine Marktlücke gestoßen ist, beweist das Wachstum: Gegründet von dem Ehepaar Claudia und Benedikt Sauter im Jahr 2008 hat Xentral inzwischen rund 200 Beschäftigte und über 2000 Kunden, rund vier mal so viel wie noch vor zwei Jahren. In München, Berlin und Amsterdam sind Büros entstanden. Xentral ist eines der bekanntesten Beispiele, dass in Deutschland erfolgreiche Software entstehen kann. Vom "SAP für kleine Unternehmen" hat das Handelsblatt bereits gesprochen, eine Anspielung auf den Dax-Konzern. 

Benedikt Sauter, 41, beginnt mit einem Hauptschulabschluss, arbeitet sich über den Bildungsweg hoch, studiert Informatik an der Hochschule Augsburg und gründet 2007/08 mit seiner Frau Claudia ein Unternehmen, das sich mit dem Vertrieb von Mikrokontrollplatinen beschäftigt, kleine Bauelemente für die Steuerung von Geräten. Um die Lagerhaltung besser zu managen, entwickeln sie ein eigenes Programm, ein Warenwirtschaftssystem, auch ERP genannt (Enterprise Resource Planning). Es muss Probleme wie diese lösen: Wie bringe ich meine Ware zum Kunden? Wie bekomme ich mein Geld vom Kunden? Wie bestelle ich neue Ware nach? Wie bezahle ich meine Lieferanten? Alles muss in eine Buchhaltung überführt werden. Und am Ende kommt Vater Staat und wünscht eine Steuererklärung.

Firmen aus "Die Höhle der Löwen" finden bei Xentral Lösungen, Frank Thelen steigt ein

Durch Empfehlungen stößt das Programm auf immer mehr Interesse. Im Jahr 2015 ist der Umsatz mit der Software größer als mit den Platinen selbst, die Konzentration liegt ab da auf dem Programm.

Im August 2017 folgt ein entscheidender Schritt: Das umtriebige Umfeld der TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“ kommt mit Xentral in Kontakt. In der Sendung stellen Gründer ihre Ideen vor und buhlen um das Kapital von Investoren. Die Lebensmittel-Start-ups 3Bears, Pumperlgsund, Fit Taste und Luicella’s Ice Cream gehen auf Xentral zu. Als Teilnehmer sind sie auf der Suche nach einem Programm, um ihre rasant steigenden Bestellungen abzuwickeln. Der Juror und Investor Frank Thelen wird dabei auf das Augsburger Software-Unternehmen aufmerksam. Er fördert Claudia und Benedikt Sauter mit Rat und Tat, später mit Kapital. Einige andere ausgewählte Investoren folgen. „Wir haben die Investoren hineingenommen, damit wir atmen und wachsen können“, sagt Sauter. „Wir wollten kein Familienunternehmen aufbauen, sondern ein Software-Unternehmen.“ Rund 100 Millionen Euro stellen die Investoren bereit, der Einstieg könnte sich gelohnt haben: Berichten zufolge wird Xentral inzwischen mit mehreren hundert Millionen Euro bewertet, die Mehrheit am Unternehmen halten immer noch die Gründer.

Benedikt Sauter: "Etwas zu finden, das Wert schafft, macht sehr zufrieden"

Der Schreibtisch von Benedikt Sauter ist aufgeräumt, fast leer. Mehr als einen Computer scheint er für seine Arbeit nicht zu brauchen. Mit dem Gründer ist man schnell auf „Du und Du“, er trägt lockere Kleidung. „Die Chance, etwas gefunden zu haben, das Wert für unsere Kunden schafft, macht uns sehr zufrieden“, sagt er. 

Noch immer hat Xentral seinen Sitz in den Altbau-Räumen einige Steinwürfe vom Stadttheater entfernt. Hier hat vor einigen Jahren lediglich eine Handvoll Programmierer an den ersten Software-Versionen geschrieben. Inzwischen ist das Team aber stark gewachsen: „Früher hatten wir zehn Entwickler, heute sind es rund 100, die in acht Entwicklerteams arbeiten.“ Viele arbeiten von zu Hause aus. 

Neuer Co-Chef: Domenico Cipolla will Wachstum steuern

Um das Wachstum zu ordnen, hat sich das Gründer-Paar mit Domenico Cipolla, 44, im Jahr 2023 einen Co-Chef an Bord geholt. Cipolla kommt von Thelens Investmentgesellschaft Freigeist und hat davor als Geschäftsführer unter anderem den Möbel-Onlineshop Home24 mit aufgebaut, der dann von rund 20 auf 1300 Mitarbeiter angewachsen sei. „Ich habe mitbekommen, wie Unternehmen wachsen und welche Herausforderungen sich dabei stellen. Anfangs kennt jeder jeden mit Vornamen, aber ab einer bestimmten Größe geht das plötzlich nicht mehr“, sagt er. „Ich will Unternehmen helfen, die nächsten zwei, drei, vier Schritte zu gehen.“

Die Familie von Cipolla stammt aus Italien, aufgewachsen ist er in der Stadt Schleswig. Die Eltern hatten dort die Eisdiele „Venezia“, in der er bis zur Volljährigkeit mitgearbeitet hat. „In einem Familienbetrieb aufzuwachsen und zu wissen, was 50 Mark mehr oder weniger ausmachen, war prägend in meiner Jugend“, erinnert er sich. Domenico Cipolla übernimmt bei Xentral die Themen Finanzen, Personal, Vertrieb und Kundenbetreuung. Benedikt Sauter will sich stärker auf das Produkt konzentrieren, Claudia Sauter, 41, baut eine Akademie auf, in der Kunden in der Software geschult werden.

Xentral hat sein Programm für Firmen zwischen fünf und 100 Beschäftigte entwickelt. Die Augsburger legen Wert darauf, dass es einfach zu handhaben ist, die Einrichtung soll innerhalb weniger Tage erfolgen können. Los geht es bereits ab 199 Euro. Damit kann das Unternehmen gegenüber den „Platzhirschen“ wie Oracle oder Microsoft Navision punkten. Inzwischen kommt auch künstliche Intelligenz zum Einsatz. Die Idee ist es, dass das Xentral-Warenwirtschaftssystem alle Dinge automatisiert, die nicht zum Kerngeschäft zählen. „Wenn wir einen guten Job machen, entlasten wir Firmen enorm und sind ein Wachstumsmotor“, sagt Cipolla. 

Schwierige Wirtschaftslage als Chance

Fachkräfte zu finden ist auch für Xentral eine Daueraufgabe. Bisher aber hat es immer funktioniert, motivierte Kolleginnen und Kollegen zu finden. „Zu einem jungen Unternehmen kommt man nicht nur wegen des Gehalts, sondern weil man Lust hat, zu gestalten, sich einzubringen und auch einmal einen Fehler machen zu können“, sagt Benedikt Sauter. Es helfe, dass Xentral kein Wegwerf-Produkt wie Einwegzigaretten verkauft, sondern ein Programm, das Mehrwert schafft. Schwaben ist ein guter Ort für junge Software-Unternehmen geworden: „Die Nähe zur Augsburger Universität und zur Hochschule hat uns gutgetan“, sagt Sauter. Rund 30 Prozent der Mitarbeiter kommen aus der Region.

Xentral hat davon profitiert, dass die Digitalisierung in der Corona-Krise einen Schub erlebt hat. Jetzt, in der Wirtschaftsflaute, zögern Kunden bei Investitionen stärker. Das hat auch Xentral erfahren müssen. Trotzdem sieht Sauter die schwierigere Wirtschaftslage als Chance: „Wenn man es als Unternehmen schafft, die Griffe anzubringen, wenn es wirtschaftlich am schwersten ist, dann ist das eine gute Startposition“, sagt er. Gerade bei alteingesessenen bayerischen Mittelständlern beobachtet er immer noch Skepsis gegenüber digitalen Methoden. „Die ganze Welt wird digitaler. Wenn man erfolgreicher werden will, muss man digitalisieren und Schnittstellen zu Banken und Lieferanten haben“, sagt er. Der Generationenwechsel in vielen Familienunternehmen helfe hier.

Noch großes Wachstumspotential im deutschsprachigen Raum

Denkt man an die zahlreichen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die es im deutschsprachigen Raum gibt, ist der Markt für Xentral noch groß. „Für mich geht’s jetzt erst los“, sagt Benedikt Sauter.

 
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