Seit einigen Jahren ist viel von der neuen Macht der Arbeitnehmer zu lesen. Weil die geburtenstarken Jahrgänge – die sogenannten Babyboomer – in Rente gehen, wird das Arbeitskräfteangebot kleiner. Dem Gesetz von Angebot und Nachfrage zufolge stärkt das die Beschäftigten, sie müssten höhere Löhne und bessere Bedingungen durchsetzen könnten. Das Wort Arbeitslosigkeit hätte seinen Schrecken verloren.
Der Blick auf die deutsche Arbeitswelt zeigt aber, dass die Wirklichkeit von dieser Theorie abweicht. Zu beobachten ist eine Entwicklung, die Arbeitnehmer schwächt: Die Tarifbindung schwindet, in weniger Unternehmen gibt es einen Betriebsrat. Das gewerkschaftsnahe Wirtschaft- und Sozialwissenschaftliche Instituts (WSI) hat pünktlich zum 1. Mai ausgerechnet, was das bedeutet.
Beschäftige im Tarifvertrag verdienen besser
Beschäftigte, für die ein Tarifvertrag greift, verdienen demnach im Schnitt 10 Prozent mehr als Arbeitnehmer, für die keine Tarifbindung gilt. Hochgerechnet auf ein Jahr ergibt das einen Unterschied von einem Monatsgehalt. Im Mittel zahlen Betriebe mit Tarifbindung laut WSI 4230 Euro brutto pro Monat, ohne sind es nur 3460 Euro brutto. Doch nicht nur bei der Bezahlung macht sich eine Tarifbindung bemerkbar. Pro Woche arbeiten Beschäftigte mit einem Tarifwerk 53 Minuten weniger als das Personal in Firmen ohne.
Doch in den Genuss der Vorteile eines Tarifvertrages kommen immer weniger Mitarbeiter. Galt im Jahr 2000 noch für zwei Drittel der Beschäftigten ein Tarifvertrag, sind es heute nur noch 49 Prozent. Nach den Daten des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, IAB der Bundesagentur für Arbeit ist auch die Mitbestimmung in den Unternehmen schwächer geworden. Hatten vor zwei Jahrzehnten noch 12 Prozent der Firmen einen Betriebsrat, sind es derzeit nur noch 8 Prozent.
Die Linken-Abgeordnete Susanne Ferschl hält diese Entwicklung für bedenklich und gibt der Bundesregierung eine Teilschuld daran. „Das ist auch nicht verwunderlich, denn die Bundesregierung unternimmt weder etwas zur Stärkung der Tarifbindung noch zum besseren Schutz von Betriebsräten vor Union Busting“, sagte Ferschl unserer Redaktion. Union Busting ist ein Begriff aus den USA, der die gezielte Bekämpfung und Behinderung gewerkschaftlicher Arbeit bezeichnet.
Arbeitsminister Hubertus Heil plant neues Gesetz
Die Abgeordnete und frühere Betriebsrätin verlangt von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), mehr Tarifverträge für allgemein verbindlich zu erklären. Bezahlung und Arbeitszeit würden dann nicht nur für einige Unternehmen eines Wirtschaftszweiges gelten, sondern für alle Firmen des Sektors. „Wenn Minister Heil dann auch noch endlich sein Versprechen umsetzen würde, die Behinderung von Betriebsräten als Offizialdelikt einzustufen, wären die ersten Schritte in die richtige Richtung getan.“
Der Arbeitsminister will mithilfe eines Tariftreuegesetzes die Bindung stärken. Öffentliche Aufträge des Bundes sollen nur noch an Unternehmen gehen dürfen, die einen Tarifvertrag haben. Bis zum Sommer haben sich die Sozialdemokraten Zeit gegeben, um das Gesetz zu beschließen. „Ich bin fest entschlossen, dass wir das miteinander hinbekommen, zumal das auch im Koalitionsvertrag klar vereinbart ist“, hatte Heil jüngst erklärt.