"Como te llamas?" 36 Jahre nach dem Abitur, 34 Jahre nach dem letzten Besuch im Uni-Seminar heißt es wieder, die Schulbank drücken. Spanisch lernen in Sevilla. Anfängerkurs. Erste Klasse sozusagen. Mit im Klassenzimmer: Akemi aus Japan, Kurt aus der Schweiz, Peter aus Kanada, Tuula und Jussi aus Finnland und Rasso aus Berlin. "Me llamo Michael". Ich heiße Michael. Ein bisschen hakt es noch bei der Aussprache. Im fünften Anlauf dann ist die erste Lektion gelernt. "Muy bien." Sehr gut, lobt Juanma, der Lehrer.
Juanma hat es nicht leicht mit uns älteren Herrschaften. Wenn Finnen Spanisch sprechen, klingt es eben doch ein wenig anders, als wenn Japaner das gleiche tun. Schlimmer noch: So mit 55 oder 60 lernt es sich halt nicht mehr ganz so einfach. Eine neue Sprache in den Kopf hineinbringen? Es soll ja Sprachtalente geben. In unserer Klasse sitzen aber keine Überflieger. In der Pause reden wir lieber Englisch. Oder Deutsch. Auch wenn es böse Blicke von den Kollegen aus der dritten Klasse setzt. Die haben nämlich gleich zu Unterrichtsbeginn vereinbart, sich auf dem Schulgelände nur noch in Spanisch zu unterhalten. Diese Streber.
Gefühle wie zu Teenager-Zeiten
Nach der Pause wagt sich Juanmo an das spanische Alphabet. "G" heißt Che, da muss es im Rachen kratzen, und "H" heißt "atsche", alles andere ist machbar. So können wir am Ende des ersten Schultags schon mal unsere Namen auf Spanisch buchstabieren. Dann erklingt der Gong. Tasche packen, nichts wie raus aus der Schule. Ein Gefühl, wie damals zu Teenagerzeiten. Ein kurzer Stopp in der Novembersonne auf der Plaza Nueva. Dann aber geht's nach Hause. 14.30 Uhr ist Mittagessen bei Maria Luisa.
Die 79-Jährige ist Herbergsmutter. Das ganze Jahr über vermietet sie in ihrer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus am Rande der Altstadt Zimmer an Sprachschüler aus aller Welt. Die meisten sind deutlich jünger als der ältere Herr aus Deutschland. Und sie sprechen besser Spanisch. Maria Luisa kann nur Spanisch. "Me llamo Michael." Die alte Dame nickt mir voller Anerkennung zu. Am Mittagstisch in der Küche stehen sieben Teller. Carmen und Marisa, die beiden Töchter sind schon da. Ebenso Irene, die Enkelin. Später stoßen noch Enkel Fernando und ein weiterer Sohn hinzu.
"Ungeschminktes Bild vom Alltag"
Es gibt Gemüsesuppe, frittierten Fisch mit Spinat-Croquetas und zum Nachtisch Obstsalat. "Typisch andalusisch", sagt Maria Luisa. Im Fernsehen läuft eine Gameshow. Der Versuch, der familiären Konversation zu folgen, scheitert. Gut, dass Marisa ein bisschen Englisch spricht. Um die wichtigsten Fragen zu klären, reicht das. Sprachschüler haben einen eigenen Wohnungsschlüssel, ein kleines Zimmer mit Bett und Schreibtisch. Zum Familienbad führt der Weg durch die Küche. Bisschen unbequem, aber authentisch. Ein "ungeschminktes Bild vom Alltag in Andalusien", verspricht der Veranstalter. Knapp 40 Prozent der Ü50-Sprachschüler nutzten die Möglichkeit, in einer einheimischen Familie zu übernachten. Alternativ kann man auch die Unterbringung in Appartements oder Wohngemeinschaften buchen. Oder der Sprachschüler sucht sich eigenständig ein Hotel. Dann würde er aber auch die wunderbare Paella verpassen, die Maria Luisa drei Tage später, als kulinarischen Höhepunkt der Woche, serviert.
Achtmal im Jahr bietet das Sprach- und Kulturzentrum Clic im Herzen der andalusischen Metropole den Unterricht für Menschen über 50 an, in Deutschland vermittelt der Sprachreisen-Veranstalter TravelWorks die speziell auf das ältere Publikum zugeschnittenen Kurse. Möglichst nicht mehr als zwölf Leute sind in einer Klasse, sagt Eva White, die stellvertretende Schulleiterin. Die Teilnehmer aus aller Welt sind zwischen 55 und 75 Jahre alt - "und manchmal ist auch ein 85-Jähriger dabei". Viele sind wie Peter aus Kanada oder Kurt aus der Schweiz gerade aus dem Arbeitsleben ausgeschieden. Sie wollen verborgene Sprachkenntnisse auffrischen oder neue gewinnen, um künftig bewusster zu reisen. Ein Klassenkamerad plant, ein Ferienhaus in Andalusien zu kaufen. "Etwas Spanisch kann da nicht schaden." Unsereins wäre schon glücklich, die Speisekarte in der Tapas-Bar besser zu verstehen.
Kulturprogramm mit Kathedrale und Flamenco
Nach dem Mittagessen bei Maria Luisa ist Kultur angesagt. Ein Markenzeichen des Ü50-Programms ist, dass es neben dem Sprachkurs ein Rahmenprogramm mit Stadtspaziergängen, Besichtigungen sowie Museums- und Konzertbesuchen bietet. Den Auftakt macht ein Rundgang durch die Innenstadt. Sevilla ist auch gegen Jahresende ein Traum. Da locken imposante Bauten wie die Kathedrale mit dem Grab von Seefahrerlegende Kolumbus und dem Glockenturm Giralda, der in maurischer Zeit ein Minarett war und den die Christen nach der Rückeroberung Sevillas gotisch-barock aufstockten, oder der Königspalast Alcazar. Da sind großzügige Parks, die protzige Plaza Espana, aber eben auch unzählige kleine Plätze, wo sich in Cafés und Bars unter Zitronen- oder Orangenbäumen auch in dieser Jahreszeit herrlich entspannt rasten lässt.
Kultureller Höhepunkt unserer Sprachkurswoche ist der nächtliche Besuch im Flamenco-Club "Pena Torres Macarena" fern des touristischen Zentrums am Stadtrand. Stark, was die Künstler an Leidenschaft, Körperbeherrschung, Musikalität und Gefühl auf die Bühne bringen, allen voran Maria Canea, die Tänzerin. Tags drauf ist der Flamenco, das andalusische Kulturgut schlechthin, natürlich Thema im Unterricht. "Bailador" heißt Tänzer, erklärt Lehrer Juanma, "bailadora" die Tänzerin, "cantador" der Sänger und "guitarrista" der Gitarrist. Und während unsereins nochmal heimlich unter der Bank am Handy die Fotos der Tänzerin sichtet, lernen wir, die wichtigste Person auf der Flamenco-Bühne ist die Sängerin. Juanma: "Flamenco ist der spanische Soul."
Was sind "rinones al Jerez"?
Schön aber auch, dass wir an den anderen Abenden Freizeit haben - Urlaub ohne Unterricht und spanischer Ersatzfamilie. Sevilla ist ein Dorado für die Freunde entspannten Nachtlebens. In den quirligen Vierteln wie Tiriana, Santa Cruz rund um die Altstadt mischen sich Einheimische und Touristen bei "vino tinto" und "cerveza ". Zum Beispiel in der Bar "Barbiana", wo sie an den Wänden andalusischen Stierkampflegenden huldigen. Der Kellner hinter der Theke ist angenehm schlecht gelaunt, als wir radebrechend versuchen herauszufinden, was sich hinter Tapas-Angeboten wie "vueltas de atun", "rinones al Jerez" oder "alcachofas fritas" auf der ausgehängten Tafel verbirgt. "Jamon iberico", den klassischen spanischen Schinken bestellen, kann schließlich jeder Touri.
Notfalls muss das Online-Wörterbuch helfen. Gottseidank. "Rinones al Jerez", Nieren in Sherry, braucht es wirklich nicht. Schließlich helfen der Zeigefinger und ein energisches "esto" in Richtung eines Schüsselchens mit Tintenfisch am Nachbartisch. "Das da." Spanisch kann so einfach sein. Und als wir nach drei Stunden zahlen möchten, quittiert sogar der mürrische Kellner unser "la cuenta, por favor" mit einem Lächeln. Das Sprachkurs-"certificado" nach einer Woche Sevilla haben wir uns verdient.