
Zum Start der Wanderung verteilt Diogo Trindade einen Stoffbeutel. "Falls Sie Plastikabfälle sehen, bitte einsammeln", gibt der Wanderführer als Devise aus. Außerdem hat er Pinsel und Farbdosen in gelb, rot, blau und grün dabei. "Helfen Sie mit, verblasste Wegmarkierungen nachzuzeichnen." Naturgenuss gibt es nicht umsonst, lautet die Botschaft. Dafür ist die Kulisse an diesem Dezember-Morgen an der Praia do Amado großartig: schroffe Felsen, feiner Sandstrand, die rauschende Atlantik-Gischt - und über uns blauer Himmel. Eine Szenerie wie aus dem Bilderbuch.
Diogo Trindade ist einer der Verantwortlichen bei "Rota Vicentina", einer vor sechs Jahren gegründeten Non-Profit-Organisation, die sich zum Ziel erklärt hat, naturnahen (Wander-)Tourismus außerhalb der Hauptsaison an der portugiesischen Südwestküste zu fördern. In den Sommermonaten ist es mit über 40 Grad hier viel zu heiß zum Wandern, außerdem sind die Strände überfüllt. Zwischen Oktober und April sieht das anders aus. Heute stürzen sich hier lediglich ein paar vereinzelte, gut in Neopren verpackte Caravan-Touristen mit dem Surfbrett in die Wellen.

Trindade ruft zum Aufbruch. Wir erwandern den gut acht Kilometer langen Rundweg "Amado". Insgesamt betreut Rota Vicentina ein Wegenetz von rund 740 Kilometern. Beliebt sind die beiden Etappen-Wanderwege, der 225 Kilometer lange Fischerpfad, der sich nahe der Küste Richtung Norden schlängelt, und der weitgehend noch unentdeckte 260 Kilometer lange "Historische Weg", der parallel durchs Binnenland, in bis zu zehn Kilometern Abstand zum Atlantik, führt. Beide gehören zum Naturpark "Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina", dem größten zusammenhängenden Naturschutzgebiet in Portugal. Ergänzt werden die Mehrtagesrouten durch zahlreiche Rundwege, optimal für einen Halbtages- oder Tagesausflug.
Größtes zusammenhängendes Naturschutzgebiet in Portugal
Mittlerweile haben wir den ersten Felsen erklommen. Wie gut, dass wir uns von den frischen Temperaturen am frühen Morgen und den Lästereien der Mitwanderer nicht haben beeindrucken lassen und zu den Wanderschuhen kurze Hosen angezogen haben: 17, 18 Grad sind es mittlerweile, dazu strahlender Sonnenschein. So kommt man selbst im Dezember schnell ins Schwitzen. Die Ausblicke werden immer imposanter. Aus hundert Meter Höhe wirkt der Atlantik noch gewaltiger.

Unser Wanderführer deutet auf die an einem Stein angebrachte Markierung, die nur noch rudimentär zu lesen ist. Zeit für Farbe und Pinsel. Wir sollen den roten und den gelben Strich nachzeichnen, der hier den Rundweg markiert. Ehrensache. Doch Diogo Trindade schüttelt den Kopf. "Mehr Druck, damit die Linie deutlich sichtbar ist." Okay, der zweite Versuch passt. Weiter vorne hat derweil eine Wanderfreundin einen alten Schuh entdeckt. Ist auch was für den jetzt doch schon ganz gut mit Plastikflaschen und Verpackungsresten gefüllten Abfallbeutel.
Wo die Schwarzstörche im Winter Station machen
Erstaunlich, wie grün die Landschaft trotz des Winters leuchtet. Klar, im Frühling blüht es bunter. Aber auch jetzt offenbart sich den Besuchern eine vielfältige Flora mit Ginster, Wacholder, Zistrose, wildem Thymian, Grasnelken und blühenden Löwenmäulchen. Nur die Hottentottenfeige (die heißt tatsächlich so), eine aus Südafrika stammende invasive Sukkulente, mögen sie hier an der Küste nicht so gerne. "Die überwuchert alles", hatte uns schon tags zuvor Naturführer Nuno Barros ein paar Kilometer weiter nördlich erklärt. Barros kennt neben der Flora auch die Vogelwelt, die sich hier niederlässt. Mit dem Fernglas sichten wir Schwarzstörche in einer Felswand. "Zugvögel aus Mitteleuropa, die nicht bis nach Afrika fliegen, weil es ihnen hier im Winter schon warm genug ist."

Unser Wanderweg erweist sich weiter als sehr vielfältig. Ab und zu ein Rinnsal mit Süßwasser, was die Pflanzenwelt verändert, in geschützten Lagen eher Buschwerk. Und dann führt der Weg wieder herunter in eine menschenleere Bucht. "Beachten Sie die Meeresströmung", warnt ein Schild. Auf die Idee, im aufgewühlten Meer zu baden, kommt trotz Dezembersonne niemand. "16, 17 Grad hat der Atlantik hier", erläutert Trindade, um hinzuzufügen: "Viel mehr wird es im Sommer auch nicht." Der Rückweg lässt uns noch einmal über die Felsen klettern. Das Bier von der Strandbude haben wir uns nach zweieinhalb Stunden Wanderung verdient.
Nachhaltiges Konzept kommt gerade bei Deutschen gut an
Später dann, Mittagessen draußen auf der Terrasse vor dem Restaurant "Cato". Ein einfaches Lokal, aber mega-lecker. Der Wirt stellt den Suppen-Topf mit einem wunderbaren Kabeljau-Eintopf auf den Tisch. "Selbstbedienung", lautet die Ansage. Dazu gibt es Salat aus dem zugehörigen Garten. Solche kleinen lokalen Betriebe, Herbergen, Kneipen, Kunsthandwerker, Touren-Anbieter zu vernetzen, ist Ziel der Rota Vicentina. Ein nachhaltiges Konzept, das gerade bei Besuchern aus Deutschland mehr und mehr Freunde finde, so Diogo Trindade.

Auch 80 Kilometer weiter östlich bei Barranco do Velho setzen die Portugiesen auf Wanderer, die an umweltschonenden, naturnahem Tourismus interessiert sind. Hier schneidet die Nationalstraße von der Küste Richtung Lissabon die "Via Algarviana", ein 300 Kilometer langer Fernwanderweg, der die Algarve im Landesinneren von der spanischen Grenze bis zum Cabo de Sao Vicente verbindet – Abstecher zum Monte Foia, der mit 902 Meter höchsten Erhebung der Region bei Monchique inklusive. Immer wieder streift diese Route kleine Dörfer, Burgen und Kapellen. Für die meiste Abwechslung sorgt aber auch hier die Natur, Korkeichen- und Eukalyptus-Wälder inklusive.
Korkeichen als Familienprojekt
"Erstmals kann man Kork nach 25 Jahren ernten", erklärt Bruno Rodigues. Die jungfräuliche Rinde tauge aber noch nichts. Neun Jahre muss man warten, bis neuer Kork nachgewachsen ist. "Richtig gut wird das Material erst ab der dritten Ernte", weiß der Naturführer. Er profitiere heute von den Bäumen, die sein Großvater gepflanzt hat. "Korkeichen sind ein sehr nachhaltiges Familienprojekt", sagt er. Und ein einträgliches. Das Naturmaterial wird längst nicht nur zur Herstellung von Flaschenkorken genutzt. Die Rinde der Korkeiche wird als Schuhsohle, als Fußbodenbelag, als Dämmstoff eingesetzt. Portugal ist der weltgrößte Kork-Produzent.

Und dann ist da noch der Westliche Erdbeerbaum. Überall in der Region sind die kernigen, roten Früchte im Dezember gereift. Auch frisch vom Baum durchaus schmackhaft, dienen sie vor allem der Produktion von Aguardente de Medronho, dem hochprozentigen lokalen Obstschnaps. Die Früchte werden nicht angebaut, sondern wild in der Natur geerntet und dann in privaten Destillerien verarbeitet. Am Besten schmeckt so ein Gläschen nach einem Essen auf dem Lande - mit Wildschwein, mit Hirsch, mit Fisch aller Art, mit Migas, dem leckeren Brei aus gerösteten Brotresten. "Saúde", sagen die Portugiesen. Prost.