Arohara“, schallt es aus dem zahnlosen Mund einer Greisin mit sonnengegerbter Haut über den Platz vor dem Tempel. Andere Frauen in bunten Saris stimmen ein. Trommeln, Flöten und hundertfaches „Arohara“ erfüllen den Platz, von dem nun Männer mit nacktem Oberkörper einen goldenen Wagen an armdicken Seilen auf die staubigen Straßen von Jaffna ziehen. Auf dem Wagen thront Murugan. Oder zumindest eine Statue des Hindu-Kriegsgottes, den die Tamilen Sri Lankas verehren. Das „Arohara“ der Frauen soll das angestrengte Stöhnen der ziehenden Büßer übertönen und bedeutet in etwa „Erlöse uns von unserem Leid“. Ein Kriegsgott, der um ein Ende des Leidens angefleht wird – die Szene passt gut in den Norden Sri Lankas, wo über ein Vierteljahrhundert lang der Bürgerkrieg tobte.
Seit sieben Jahren herrscht nun Frieden in dem Inselstaat im Indischen Ozean. Doch die Spuren der Kämpfe zwischen den tamilischen Separatisten – den berüchtigten Tamil Tigers – und den singhalesischen Regierungstruppen sind in der Region noch sichtbar. Die Checkpoints auf den Straßen zwischen der Hauptstadt Colombo und den nördlichen Provinzen sind zwar verschwunden.
Doch in Jaffna sind die Häuser neben den von Tuk-Tuks verstopften Straßen noch heute von Einschusslöchern zersiebt, viele Wände sind von Explosionen rußschwarz gefärbt. Selbst die Polizeistation, ein mehrstöckiges Gebäude im Zentrum der zweitgrößten Stadt des Landes, ist in einem erbärmlichen Zustand.
Dennoch lohnt ein Besuch im Norden der Insel: Wer Sri Lanka von einer ursprünglich-traditionellen Seite, authentisch und fernab der klassischen Badedestinationen kennenlernen will, der ist hier richtig. Als Europäer fällt man im Nallur Kandaswamy Kovil, dem Tempel von Jaffna und einem der wichtigsten Hinduheiligtümer des Landes, unter den ausnahmslos einheimischen Besuchern auf. Betritt man das knallbunte Innere des Tempels – barfuß und als Mann oben ohne, so ist es vorgeschrieben – mit den Gemälden zahlloser Gottheiten, vor denen ganze Familien sitzen und beten, fühlt man sich wie auf einer Expedition in eine neue Welt.
Mit dem Boot auf die Schlangeninsel
Täglich findet hier eine Prozession statt. Dass die Gottheit aber wie an diesem Tag den Tempel verlässt und einmal um die heilige Stätte gezogen wird, passiert nur einmal im Jahr. Und zwar dann, wenn Thai-Pongal gefeiert wird, das tamilische Erntedankfest. Das Schauspiel, das Hunderte Gläubige verfolgen, wirkt exotisch und doch irgendwie vertraut: Parallelen an die katholische Tradition, bei der der Heilige einmal im Jahr seine Heimstatt verlässt und nach einer Prozession wieder zurückkehrt, sind unübersehbar.
Kriegsgott Murugan wird indes nicht nur von den hinduistischen Tamilen angebetet. Auch die mehrheitlich buddhistischen Singhalesen verehren ihn unter dem Namen Skanda als Schutzgottheit des Landes. Einer der bedeutendsten buddhistischen Pilgerorte Sri Lankas liegt wenige Kilometer nördlich von Jaffna auf Nagadipa – der Schlangeninsel.
Der Weg zu der Tempelanlage führt zunächst per Bus über einen Damm, vorbei an Flamingos und Buntstörchen, auf die Insel Punkudutivu. Nach dem Durchqueren einiger Dörfer mit winkenden Menschen, freilaufenden Kühen – rund eine Million soll es in Sri Lanka davon geben – und herausgeputzten oder morschen Tempeln wird mit einem Boot nach Nagadipa übergesetzt.
Der Kahn wirkt marode, es riecht penetrant nach Diesel, und die Schwimmwesten sind nicht mehr die neuesten. Gut, dass die Überfahrt ruhig ist. Schon bald taucht der Nagadipa Purana Viharaya Tempel auf. Der Legende nach soll Buddha den Ort einst selbst besucht haben: Indem er den Himmel verdunkelte, soll er einen Krieg zwischen zwei Königen um einen wertvollen Thron verhindert haben. Doch auch hier erzählt man sich noch Kriegsgeschichten.
Der buddhistische Mönch Ariyakiththi kam 1991 mitten im Krieg auf die Insel. Von ihm strahlt so viel Ruhe aus, dass man glauben könnte, er habe den Plastikstuhl, auf dem er sitzt, seitdem nicht mehr verlassen. „Im Norden Sri Lankas gibt es 14 buddhistische Tempel“, erzählt der 42-Jährige. „13 davon wurden von den Tamil Tigers zerstört. Nur dieser hier nicht.“ Der Marine sei es gelungen, den Angriff auf die Anlage abzuwehren.
Wenige Meter entfernt beten Hindus im Naga Pooshani Ambal Kovil. Auch dieser imposante Tempel könnte einmal von Touristen bevölkert werden. Viele Sri-Lanka-Urlauber kommen laut Jörn Krausser immer wieder in das Land. „Die letzten Jahre war Sri Lanka ein geteiltes Land und kann nun endlich wieder in Gänze bereist werden. Das ist eine wunderschöne Nachricht, die gerade wir Deutschen besser als jede andere Nationalität bestens nachvollziehen können“, meint der Bereichsleiter Fernreisen beim Touristikunternehmen Dertour.
Kreuzende Elefanten
Er erwartet für Sri Lanka mit zunehmender Erschließung der Infrastruktur des Nordens „eine stetig wachsende Nachfrage nach Reisen nach Jaffna und Umgebung“ sowie nach Reisen an die aus gleichen Gründen „bisher nicht bereisbaren Strände des Ostens“.
Die Infrastruktur ist gerade im Norden tatsächlich ein Problem. Die Straßen sind holprig, der Verkehr chaotisch. Erst im Oktober 2014 hat der Bahnhof in Jaffna wieder geöffnet, seit Januar 2015 ist die Strecke ins rund 200 Kilometer südlich gelegene Anuradhapura wieder befahrbar. Fünf Stunden dauert die Fahrt. Doch obwohl es auf der Strecke immer wieder Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt – wegen kreuzender Elefanten –, vergeht die Zeit wie im Flug.
Denn zu sehen gibt es immer etwas. Draußen huschen Reisfelder, Kokosplantagen, Tempel und wellblechgedeckte Hütten vorbei, vor denen die Bewohner ihre Wäsche zum Trocknen aufgehängt haben.
Im Innern der ruckelnden Bahn, deren Einstiegstüren auch bei voller Fahrt offen stehen und wo sich an der Decke Ventilatoren als Klimaanlagen versuchen, kommt man auf Englisch leicht mit Einheimischen ins Gespräch. Meist sind es Tamilen, die die Geschichte erzählen, wie ihre Familien während des Krieges aus der Region geflohen und nie zurückgekehrt sind. Ihre verlassenen Häuser und brachliegenden Reisfelder, droht die Regierung nun zu enteignen, erzählen sie.
Heiliger Baum zwischen Affenbanden
In Anuradhapura wartet ein weiterer Höhepunkt der Tour durch den Norden. Über Jahrhunderte war die alte Königsstadt vom Dschungel verschlungen und wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts von der Vegetation befreit. Noch heute sind die Tempelanlagen und die zahlreichen Stupas – kuppelförmige buddhistische Bauwerke – teils grün überwuchert.
Horden von schwarzgesichtigen Affen bevölkern das parkähnliche Areal. In dessen Mitte steht der heiligste Baum Sri Lankas: der Bodhi-Baum, der aus einem Zweig des Baumes in Indien entstanden sein soll, unter dem Siddharta Gautama erleuchtet und damit zum Buddha wurde.
Nach der Pflanzung vor rund 2200 Jahren soll es in Anuradhapura wundersamerweise sieben Tage lang geregnet haben. Heute wird jede Anstrengung unternommen, damit der Baum weiterlebt – anders als sein Ahn in Indien, der um das Jahr 600 von einem Hindu-König abgeholzt wurde.
Im heutigen Sri Lanka leben Buddhisten (70 Prozent der Bevölkerung) und Hindus (knapp 13 Prozent) ein respektvolles Miteinander. Der Riss, der noch immer durch das Land geht, lässt sich eher zwischen Tamilen und Singhalesen, zwischen Nord und Süd ausmachen. Bleibt zu hoffen, dass das Land auf seinem friedlichen Weg bleibt. Denn komplett aufgearbeitet ist der Bürgerkrieg vor allem im Norden noch nicht. „Arohara.“
Hinweis der Redaktion: Unsere Autoren nutzen gelegentlich die Unterstützung von Fremdenverkehrsämtern und Tourismusunternehmen.
Tipps zum Trip
Fotografieren: Die Bewohner lassen sich gerne ablichten, man sollte allerdings vorher fragen. Manche wollen ein bisschen Geld dafür. Für solche Fälle empfiehlt es sich, immer ein paar Rupien in der Tasche zu haben. In Hindu-Tempeln ist das Fotografieren streng verboten. Essen: Die sri-lankische Küche gilt als eine der schärfsten der Welt. Unbedingt versuchen sollte man das landestypische „Rice-and-Curry“. Rundreise: Veranstalter wie Dertour bieten mehrtägige Themenrundreisen an, teilweise im Mietwagen mit eigenem Chauffeur. Im Anschluss bietet sich ein Badeaufenthalt an. Preisbeispiel: Dertour etwa bietet die Privatreise „Impressionen des Nordens“, ab/bis Colombo im Pkw mit deutschsprachigem Chauffeur, inklusive fünf Nächte im Doppelzimmer mit Halbpension ab 739 Euro pro Person an. Sieben Nächte im Fünf-Sterne-Strandhotel „Jetwing Beach“ in Negombo kosten im Doppelzimmer mit Frühstück ab 343 Euro pro Person. Flüge mit Emirates können zum Preis von 668 Euro pro Person dazu gebucht werden.