Es wäre glatt gelogen zu behaupten, dass Zypern in den vergangenen Jahren besonders geschickt Eigenwerbung betrieben habe. Europas drittgrößte Mittelmeerinsel (nach Sizilien und Sardinien) war in aller Munde – aber nicht mehr als das Land, wo die Götter an 320 Sonnentagen im Jahr angeblich höchstpersönlich Urlaub machen und die Tourismusstrategen mit Aufklebern warben, auf denen ein fetter, bärtiger Dionysos-Typ seinen Cocktail aus dem Strohhalm schlürfte. Dann aber kam die Griechenland-Krise und mit ihr indirekt der Absturz des auf Steuervorteile für auswärtige Investoren ausgelegten Bankensystems. Die Republik ging in die Knie, Europa stellte Forderungen. Und als wäre das nicht genug, fiel der Fokus auch wieder auf die ungelöste Problematik zwischen den Türken im Norden und den Zyperngriechen im Süden. Vor allem bei den deutschen Gästen schien das gute Ansehen mit einem Mal passé, Zypern out.
Mit dem Binnenverhältnis der beiden Inselvölker ist es aber auch ein Kreuz. Die Hellenen sehen sich als einzig legitime Zyprer, ihre Republik ist EU-Mitglied inklusive Euro. Türken und deren nirgendwo politisch anerkannte Türkische Republik Nordzypern sind für sie seit der Besatzung 1974 garstige Invasoren, die ein Schaden fürs ganze Land seien. Selbst Touristen teilen sie ihre Abneigung unverhohlen mit: „Was, dahin reisen Sie? Tun Sie?s nicht! Was wollen Sie denn dort?“, ist da noch eine freundlich formulierte Ansprache. Die von den Vereinten Nationen bewachte „Green Line“-Grenze verfügt nach wie vor über Wachtürme im DDR-Stil.
Die Zweiteilung wird besonders auffällig in der Doppel-Hauptstadt Nikosia (Süd) und Lefkosia (Nord): Wer in Nikosia die zentrale Ledra-Straße durchbummelt, erlebt eine trotz aller Krisen quirlige, schicke Fußgängerzone mit agilen Menschen. Doch geht?s hinüber nach Lefkosia, wartet ein nach dem Vorbild der Berliner Friedrichstraße benannter „Checkpoint Charly“ mit antiquierten Einreiseformalitäten auf die Besucher. Die treffen dann drüben in der gleichen Straße auf schäbige Billigbasare und wenig Leben ringsherum. Die offene Wunde eines aufgepeitschten Nationalismus tut schon beim Hinschauen weh – und ihre Heilung wäre überfällig.
Was die Griechen dabei nachvollziehbar wurmt, ist das Vorhandensein der optisch netteren, schöneren Ecken in Lefkosia, eben nicht in ihrem recht sachlich Banken-dominierten Nikosia. Die Große Karawanserei des Nordteils ist mit ihrem Innenhof Büyük Haman ein prächtiger Ort zum Verweilen. Die Markthalle und Selimiye-Moschee nebendran bieten eine wunderhübsch pittoreske Kulisse.
Auch außerhalb der Doppelmetropole punktet der zurückgeblieben-arme, anatolisch anmutende Norden mit seinem allen Gerüchten zum Trotz entdeckungswürdigen Gesicht der Insel mehr und mehr: In der Hitparade der schönsten Inselstädte übertrumpft das von den Römern mitgestaltete Kyrenia (bekannter unter dem Griechen-Namen Girne) mit seinem klassisch schönen Hafen und der Festung hintendran die wohlklingenden Südzypern-Hochburgen Larnaca oder Limassol oder das vom Rummel verkommene Agia Nápa mit protzig-austauschbarem Gehabe locker. Das Kloster Bellapais thront märchenhaft über Girne, und Kultur-Besessene lockt Famagusta mit seinen einst gotisch-orthodoxen Kirchen, die wie der Kölner Dom ausschauen, aber von den neuen Bewohnern abgesäbelt und zu einer Moschee umfunktioniert wurden. Einen irren Beleg des radikal veränderten Glaubens vermittelt etwa die Kulisse der früheren St.-Nikolaos-Kathedrale, die nun Lala-Mustafa-Pascha-Moschee heißt.
Vor allem landschaftlich punktet der Norden ganz oben im Nordosten mit einem Halbinsel-Zipfel wie Karpaz, der menschenleere, filmreife Traumstände vorweist und am hintersten Ende das einst griechische, unwirklich wirkende Kloster Apostolos Andreas gerade mal 60 Kilometer Luftlinie vor Syrien. Wer auf der Schotterpiste morgens die Fahrt dorthin wagt, hat die Nacht davor bei liebevollen Gastgebern in schlichten Häuserwürfeln verbracht. Und er begibt sich auf die Tour zu einem der letzten großen, einigermaßen unberührten Reiseabenteuer Europas, wo wilde, aber zahme Esel zu Dutzenden ihre Hälse in die Wagen strecken, um sich ihre Ration Karotten abzuholen.
Trotzdem bleibt für klassische Urlauber natürlich der Süden erste Wahl – wegen seiner nicht minder fabelhaften Strände, die es in weit abgeschiedener Form mit ein paar Holzbuden gibt oder offiziell aufgemotzt betrieben, je nach Gusto. Liebesgöttin Aphrodite soll ja in Zyperns Südwesten dem Meer entstiegen sein, und dem wagt bestimmt niemand zu widersprechen, der diese üppigen Meeresgestade rund um den Aphrodite-Felsen betrachtet. Pissouri und Pafos sind von dort nicht weit entfernt, zwei ziemlich sichere Empfehlungen: Pafos wird schließlich 2017 sogar Europas Kulturhauptstadt des Jahres. Rein als Ort ist es zwar nicht mit überragendem Liebreiz gesegnet, aber eine arabisch und byzantinisch, griechisch und römisch beeinflusste Pflicht für kunstbeflissene Menschen und insbesondere Liebhaber von Bodenmosaiken, die hier auch bei großer Hitze mit Königsgräbern und römischen Häusern und dem Kastell am Hafen tagelang ihren Leidenschaften nachkommen können.
Zu mehr als einem Geheimtipp hat sich derweil Pissouri entwickelt, mit seiner klassischen, hier mal nicht religiösen, sondern naturräumlichen Zweiteilung: Drunten am Meer locken Sonne und Strand, angenehme Hotels und auch eine sehr komfortable Nobelherberge. Droben auf dem trocken steilen Felsen, fünf Kilometer sind?s hinzufahren, zeigt sich ein zugehöriger Bilderbuch-Ort, an dem allabendlich auf dem Marktplatz Sirtaki getanzt wird, ohne dass die Tavernen die Einkehrenden neppen würden, wie das andernorts gerne der Fall ist – nennen wir?s zypriotische Gastfreundschaft pur, die sich hier glaubwürdig entfaltet.
Ach ja, mit dem Geburtsstrand der Aphrodite ist es längst nicht getan: Denn droben im Nordwesten des Süd-Teils, bei Polis und Latchi auf der anderen Seite des bis zu 1952 Meter hohen Troodos-Gebirges, soll sich die Schöne gebadet und auf ihren Adonis gewartet haben, den der eifersüchtige Kriegsgott Ares allerdings schnöde meuchelte. Die Sage taugt für einen weiteren Anziehungspunkt. Ganz astrein ging es auf Zypern also selbst unter den geschätzten Göttern schon seinerzeit nicht zu – doch irgendwann haben sie sich auf der Sonneninsel immer wieder von allem Unbill erholt.
Tipps zum Trip
Einreise: Nordzypern ist preislich günstiger, hat aber infrastrukturellen Nachholbedarf. Flüge in den türkischen Teil (Flughafen Ercan) gibt es zwar ab 150 Euro hin und zurück, sie sind aber generell nur via Türkei-Zwischenstopp möglich (acht Stunden Dauer aufwärts). Für die dreieinhalb Stunden nach Larnaca oder Pafos im Süden gibt es manchmal Optionen unter 200 Euro, mit 290 bis 350 Euro ist bei Selbstbuchung realistisch zu rechnen. Zwei Republiken: Strandurlauber, die mit Sonne und Meer zufrieden sind und nur an der Küste verweilen, bekommen die Zweiteilung Zyperns nicht mit – wer die Insel bereist, dagegen sofort. Zwar ist die Grenze an sieben Stellen geöffnet, der Übertritt aber kompliziert. So sind Mietwagen (Achtung, Linksverkehr!) im jeweils anderen „Land“ entweder gar nicht zugelassen oder nicht versichert. Letztlich sollte sich der Gast für den Besuch der nur von der Türkei anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“ entscheiden oder den der international präsenten „Republik Zypern“, es lohnt sich in beiden Fällen auf eigene Weise. Die Zypern-Griechen im Süden betrachten eine Einreise via Nordzypern als illegal – ohne die, laut Gesetz, möglichen Strafen abzukassieren. Unterkunft: Ob Nord oder Süd – echter und landestypischer als im „Linos Inn“ der Altstadt von Kakopetriá am Fuße des Troodos-Gebirges geht es kaum. Wer die versteckte Unterkunft gefunden hat, entdeckt eine Herberge mit alten Weinpressen, Traditionsmobiliar und Himmelbett. Und beim Doppelzimmer-mit-Frühstück-Preis von 75 Euro aufwärts verzeiht der Fremde spätestens abends in der Taverne auch den eigenwilligen Charme im Service. Info: www.linosinn.com Halloumi: Es gibt auf der ganzen Insel garantiert kein Lokal, das den etwas salzigen, etwas zähen, aber eben auf dem Grill nicht schmelzenden Kuh-Schaf-Ziegen-Käse Halloumi nicht auf der Karte stehen hat – längst ist das regionale Produkt ein Exporthit. Nicht zu verachten ist derweil auch „Meze“ – die zypriotische Variante einer Vorspeisen-Prozession mit allen Genussreizen des Orients, der Türkei und Griechenlands. Nachzulesen gibt?s dies auf 320 Seiten mit 300 Bildern im delikat-feinen Buch „Verführerisches Zypern – eine kulinarische Reise“, erschienen bei Callway, München.