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Zum Lachen auf den Friedhof
Museumsfriedhof in Kramsach: „Hier liegt Martin Krug, der Kinder, Weib und Orgel schlug“ – die skurrilen Inschriften auf den Grabkreuzen, die die Familie Guggenberger sammelt, lassen schmunzeln.
Von unserem Mitarbeiter Martin Cyris
 |  aktualisiert: 26.04.2023 20:50 Uhr

Ein stiller Herbstnachmittag im Unterinntal in Tirol. Friedhofsruhe im Örtchen Kramsach. Kein Sterbensgeräusch zu hören. Gelbgrüne Lärchen und weiß gepuderte Bergspitzen deuten auf den nahenden Winter hin. Ein Mann mit weißem Resthaar schreitet an schmiedeeisernen Kreuzen vorbei. Er wirkt in sich gekehrt. Macht ein paar Schritte, kniet nieder. Doch nicht etwa zum Gedenken an einen Verstorbenen. Nein, Hans Guggenberger klaubt ein paar dürre Zweige auf. Die hat der Wind von einer alten Eiche geweht. Nach der Putzaktion hat nun alles wieder seine Friedhofsordnung. Besser: Museumsfriedhofsordnung. Aufgestellt vom Chef, Hans Guggenberger.

Nicht in jedem Erdendasein ist freilich alles in bester Ordnung. Auch in den Alpen strauchelte im Lauf der Jahrhunderte so mancher durchs Leben. Oder segnete das Zeitliche durch ein Unglück. Wovon die rund 60 Inschriften auf dem historischen Schaufriedhof in Kramsach zeugen.

Einige kurz und bündig: „Aufigschtieg’n, obagfall’n, hin gwös’n“. Die meisten skurril und in Reimform: „Hier ruht der Brugger von Lechleithen, er starb an einem Blasenleiden, er war schon je ein schlechter Brunzer, drum bet für ihn ein Vaterunser“. Viele stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, fast alle aus dem Alpenraum. Gereimt und gemalt von sogenannten Täfelemalern. Manche die Einzigen ihrer Umgebung, die des Schreibens halbwegs mächtig waren.

Hans Guggenberger beobachtet die Mimik der Besucher. Und freut sich wie ein großer Lausbub über amüsierte Gesichter. Er ist Seniorchef eines Kunstschmied- und Steinmetzbetriebs für Grabmale. Sein Vater begann mit der Sammelei der Grabkreuze. „Weil ihm die alte Schmiedekunst zu schade war“, sagt Guggenberger. Nicht selten landen ausgediente, Jahrhunderte alte Kreuze im Altmetall. Oder verstauben auf Dachböden. Nachdem die Verträge auf den Gottesackern ausgelaufen sind und Familiengräber aufgelöst werden, weiß niemand so recht, wohin mit ihnen.

So manche historischen Kreuze zu erhalten lohnt sich nicht nur wegen des teuren Schmiedehandwerks. Sondern auch, weil sie zur Erheiterung der Lebenden beitragen. „Unter diesem Rasen liegt die versoffene Kupferschmied Nasen“ verrät etwa eine Inschrift, die ursprünglich den Friedhof in Jenbach/Tirol schmückte.

Auf einem anderen Kreuz prangt: „Hier liegt mein Weib Gott seis gedankt, oft hat sie mit mir gezankt. O lieber Wanderer geh gleich fort von hier, sonst steht sie auf und zankt mit Dir“. Wem entlockt soviel posthume Freimütigkeit nicht wenigstens ein Schmunzeln?

Doch die Inschriften regen auch zum Nachdenken an. Weil sie Einblicke in die Denkweise früherer Generationen geben. Und den kargen und mühevollen Alltag in den Bergen. Die Partnerwahl etwa erfolgte weniger aus romantischen Motiven. Eheleute fungierten als Teile von Zweckgemeinschaften, wovon folgender emotionsloser Spruch aus dem Oberinntal zeugt: „Es liegt begraben die ehrsame Jungfrau Nothburg Nindl, gestorben ist sie im siebzehnten Jahr just als sie zu brauchen war“.

Da bleibt einem das Lachen fast im Halse stecken. Wie auch beim – laut Guggenberger – Lieblingsspruch vieler Besucher: „Hier ruht Martin Krug, der Kinder, Weib und Orgel schlug.“ Hans Guggenberger nennt solche Sprüche die „kürzesten Lebensläufe, die man sich vorstellen kann“. Daseins- und Wirkungsstätte des handgreiflichen Tiroler Organisten war die Ortschaft Wiesing.

Vom dortigen Friedhof kam das Memorial in die Hände der Familie Guggenberger – und im Laufe der vergangenen 50 Jahre rund 900 weitere. Die allermeisten lagern in einem Depot. In unrestauriertem Zustand. Das Aufpolieren ist aufwendig und teuer. Die wenigsten bekommt Guggenberger zudem umsonst. Für sein teuerstes hat er 4500 Euro berappt. Das Restaurieren hat ihn weitere 7000 Euro gekostet. „Ich hätte mir wahrscheinlich längst eine Yacht kaufen können“, sagt Hans Guggenberger. Ob er sein Hobby bereut? „Nein. Die Kreuze sind unsere Geschichte und Kultur. Eine Yacht aber säuft irgendwann ab.“ Was vielleicht halb so schlimm wäre, denn vermutlich hätte Guggenberger auch für Seebestattungen ein passendes Kreuz auf Lager.

Säufer und Blasenschwache – Lachen ist erlaubt auf dem Museumsfriedhof. „Hier liegen sowieso keine Toten begraben“, stellt Hans Guggenberger klar. Wohl gebe es gelegentlich Besucher, die sich über die vermeintliche Pietätlosigkeit der Zurschaustellung makabrer Grabkreuze mokierten. „Aber das sind Ausnahmen“, sagt er.

Ohnehin sei der Humor ein wichtiges Gegengewicht. „Den darf man nie verlieren“, mahnt Guggenberger. Auch in der Trauer. Hier hat er den Beistand der modernen Trauerforschung. Der renommierte amerikanische Forscher George A. Bonanno etwa resümiert in seinen Büchern, dass Verluste nicht in schier endloser Verarbeitung oder gar Depressionen enden müssen. Zu einem produktiven Verarbeitungsprozess gehöre Humor und Lachen.

Gerade die Tiroler Berge eignen sich dafür als Kulisse. Die Umgebung von Kramsach bietet reichlich irdische Ablenkung. Sterbenslangweilig ist jedenfalls anders. Der Ort gehört zum Tourismusverband Alpbachtal und Seenland. Das Alpbachtal ist zwar nicht ganz so prominent wie seine Nachbartäler. Doch Unverfälschtheit soll’s richten.

„Wir haben keine Starallüren“, sagt Michael Mairhofer vom Tourismusverband, „was die Gäste bei uns vorfinden ist authentisch.“ Ein Eindruck, der sich weitgehend bestätigt. Etwa bei einem Abstecher zum Kaiserhaus. In dem geschichtsträchtigen Forsthaus und seiner Umgebung genoss schon Kaiser Franz Josef die Ruhe und Schönheit der Natur. Oder in der nahen Kaiserklamm. Und eine asphaltierte Straße führt sowieso erst seit 1926 ins Alpbachtal.

Hans Guggenberger ist als Steinmetz und Museumsfriedhofsdirektor permanent vom Thema Tod umgeben. Er habe es zwar nicht eilig, trotzdem habe er schon einen Reim verfasst, welcher eines Tages auf seinem Grabkreuz stehen soll, sagt er. Er lautet: „Wanderer steh still und weine, hier ruhen meine Gebeine. Ich wollt’ es wären deine.“

Tipps zum Trip

Auskunft: Tourismusinformation Alpbach, Haus Nr. 175, A-6236 Alpbach; Tel. 00 43/53 37/2 12 00 30 Internet: www.alpbachtal.at Urlauber erhalten die kostenlose Alpbachtal Seenland Card, sie bietet unter anderem Freifahrten mit Bussen und Bergbahnen. Anreise: Auf der A 8 oder A 9 via München, dort weiter auf der A 8 bis zum Dreieck Inntal, Richtung Österreich, auf der A 12 (Vignettenpflichtig) Richtung Innsbruck bis Ausfahrt Kramsach. Museumsfriedhof: Der Museumsfriedhof Tirol ist täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet, im Winter von 10 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit, der Eintritt ist kostenlos. Museumsfriedhof Tirol, Hagau 80, A-6233 Kramsach; Tel. 00 43/53 37/6 24 47 Übernachten: Aus einem uralten Bauernhaus wurde das Romantikhotel Böglerhof in Alpbach (ab 84 Euro pro Person inklusive Frühstück), das unter anderem in einer knarzigen, original Bauernstube eingenommen werden kann. Dank des nahen Internationalen Kongresszentrums begrüßte das Haus in seiner Geschichte äußerst illustre Gäste, etwa Indira Gandhi oder Sir Karl Popper (

www.boeglerhof.at).

Damit ihre Gäste möglichst lange unter den Lebenden weilen, hat sich das Hotel Pirchnerhof der Gesundheitslehre von Hildegard von Bingen verschrieben. Zum ganzheitlichen Heilprogramm gehört die Hildegard-Küche oder Lustwandeln im Hildegard-Kräutergarten, Halbpension ab 70 Euro pro Person (www.pirchnerhof.at). Aktivitäten: Über 900 Kilometer markierte Wander- und Spazierwege gibt es. Eine urige Hüttenjause unterwegs gehört dazu. Im Alpbachtal bestehen die Jausen aus Heumilchkäse, Speck und einem Stamperl Schnaps. Beste Hausbrände bekommt man im Pinz- gerhof: Der Wirt Günter Kammerlander ist Edelbrandsommelier und empfiehlt für jeden Gaumen den richtigen Hochprozentigen, gewonnen aus eigenen Obstkulturen (Internet: www.pinzgerhof.at und

www.natur-edelbrand.at). In der wildromantischen Kaiserklamm tost die Brandenberger Ache. Auf einem gesicherten Weg kann das beeindruckende Naturschauspiel in der Schlucht beobachtet werden. Idealer Ausgangspunkt ist das Kaiserhaus. Hier findet im Sommer jeden Donnerstag ein Prügeltorten-Schaubacken statt; eine Prügeltorte ist eine regionale Spezialität, die über offenem Feuer gebacken wird. Außerdem treffen zahlreiche Rad- und Wanderwege zusammen, etwa der Tiroler Adlerweg (www.kaiserhaus.eu).

 
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