Es dauert keine zehn Minuten, bis sich der erste Bär zeigt. Vorsichtig tapst er durch die Bäume den Hang hinunter. Ganz langsam nähert er sich der Lichtung, weicht wieder zurück, zögert – und traut sich dann doch wieder ein Stück weiter. Auf der Lichtung gibt es Futter. Süßen Mais, den der Förster in Baumstümpfen und Futterkrippen verteilt hat. Für Braunbären ein echter Leckerbissen. Doch auf der Lichtung droht auch Gefahr. Hier könnten Jäger lauern – oder andere Bären, die größer und stärker sind.
„Dieser Bär ist noch jung“, sagt Katharina Kurmes. Die Lehrerin und Naturschützerin kennt jeden einzelnen Bären in dieser Gegend der rumänischen Karpaten. 36 Bären leben in dem Tal – nicht in einem eingezäunten Naturschutzgebiet, sondern in freier Wildbahn. Jeden Abend, bevor die Dämmerung hereinbricht, führt ein Naturführer Touristen zu einem Hochstand. Etwa 20 Leute finden auf den hölzernen Bänken Platz. Gespräche, Fotografieren mit Blitz oder Essen ist verboten. Nur wenn man ruhig ausharrt, trauen sich die Tiere auf die Lichtung.
Der junge Bär entscheidet sich dann doch für den Rückzug. Nicht, weil er im Hochstand ein verdächtiges Geräusch gehört hätte, sondern weil sich von rechts eine große Bärin nähert. „Da kommt die alte Bärin“, erklärt Katharina Kurmes. „Sie ist trächtig – und hat hier das Sagen.“ Zielsicher nähert sie sich einem Baumstamm und macht sich über den Mais her. Es dauert nicht lange, bis sich weitere Bären zeigen. Von überall aus dem immer dunkler werdenden Wald nähren sich die wilden Tiere. Bis zu fünf Bären fressen gleichzeitig auf der Lichtung – nur wenige Meter von den staunenden Touristen entfernt.
Etwa 6000 Bären leben in Rumänien in freier Wildbahn. Die Tiere stehen unter Naturschutz, allerdings nicht das ganze Jahr. „Auch heute wird noch Jagd auf Bären gemacht“, sagt die Naturschützerin. Legal ist das nicht immer. Katharina Kurmes betreibt zusammen mit ihrem Mann Hermann eine Pension in Magura, einem kleinen Ort in den Südkarpaten. Von hier aus bietet das Ehepaar Tierbeobachtungen und Wandertouren an. Am beliebtesten sind die Touren zu den wilden Bären.
Königstein wird diese Gebirgskette genannt. Hermann Kurmes ist in dieser Gegend geboren. 1977, als Nikolae Ceausescu an der Macht war, verließ der Siebenbürger Sachse – wie viele andere deutschstämmige Rumänen auch – das Land und ging nach Deutschland. 1997, acht Jahre nach dem Ende des Sozialismus und dem Sturz des Diktators, kehrte der Lehrer mit seiner Frau Katharina in sein Heimatland zurück.
Spuren deutscher Geschichte
Siebenbürgen ist seit dem 12. Jahrhundert von deutschen Siedlern geprägt – und auch heute noch findet man hier viele deutsche Spuren: Es gibt deutsche Kindergärten, deutsche Schulen, die deutsche Sprache ist noch überall präsent. Hermann und Katharina Kurmes unterrichteten jahrelang an einer deutschen Schule in Medias – und sie setzten sich für den Tier- und Naturschutz ein. Besonders die Wölfe und Bären in Rumänien lagen ihnen von Anfang an am Herzen.
„1999 haben wir mit den Tierbeobachtungen angefangen“, sagt Katharina Hermann. Inzwischen ist das zusammen mit ihrer Pension, der Villa Hermani, ihre Hauptbeschäftigung. In Magura, etwa 40 Kilometer von Brasov (deutsch: Kronstadt) entfernt kennt Hermann Kurmes jeden einzelnen Bewohner. „Erst vor kurzem wurde hier ein Braunbär gesehen, der sich über einen Apfelbaum hergemacht hat“, erzählt Hermann Kurmes bei einer Wanderung. „Und vor zwei Jahren hat ein Bär hier auf dem Berg ein Schaf gerissen.“ Dass Bären Menschen angreifen, passiert selten, aber kurz vor der Winterruhe müssen sich die Bären noch genug Winterspeck anfressen. Die Tiere sind zwar zu 80 Prozent Vegetarier, aber wenn der Hunger zu groß ist und sich die Gelegenheit ergibt, reißen sie auch mal ein Schaf oder eine Ziege.
Für die Stadt Brasov waren die Bären lange Zeit eine Plage. „Ein neues Wohngebiet wurde ins Bärengebiet hineingebaut“, so Katharina Kurmes. „Und an den Mülltonnen fanden die Tiere auch im Winter genug zu fressen.“ Mittlerweile hat die Stadt das Problem in den Griff bekommen. Die Mülltonnen wurden eingezäunt und viele Bären in weit entfernte Naturschutzgebiete umgesiedelt.
Brasov ist die größte Stadt in Siebenbürgen, einer Gegend in Rumänien, die unter dem Namen Transsilvanien weltweit bekannt ist. Die Stadt hat etwa 250 000 Einwohner, eine hübsche Innenstadt mit bunten Hausfassaden, von denen jedoch nur wenige restauriert sind, alte Kirchen und eine Seilbahn zum nahe gelegenen Skigebiet.
Die meisten Touristen kommen aber nicht wegen der mittelalterlichen Innenstadt und den nahen Karpaten nach Brasov, sondern wegen Schloss Bran. Die Burg, etwa 30 Kilometer von Brasov entfernt, gilt als Inbegriff des unheimlichen Schlosses von Graf Dracula. Beeindruckend und – im Mondschein sicher auch unheimlich – sieht das Schloss auf jeden Fall aus, wie es auf einer Steinmauer majestätisch in den Himmel ragt. Dracula und Vampire sucht man darin aber vergeblich. Weder der irische Schriftsteller Bram Stoker, der die Dracula-Figur erfunden hat, noch Regisseur Roman Polanski, der mit seinem „Tanz der Vampire“ den Kult um die Blutsauger weiter vorangetrieben hat, waren hier je zu Gast.
Inspiration für „Dracula“
Das Schloss liegt an der Grenze zur Walachei, wo früher ein gewisser Vlad Tepes gelebt haben soll, auch bekannt als Vlad, der Pfähler. Ein grausamer, aber gerechter Herrscher, der von vielen Rumänen noch immer verehrt wird. Dieser Vlad Tepes soll Bram Stoker zu seiner berühmten Dracula-Figur inspiriert haben. In einem kleinen Raum wird kurz die Entstehung des Dracula-Mythos beschrieben, ansonsten ist Bran vor allem ein schönes Schloss mit einer beeindruckenden Geschichte, in der aber weder Blutsauger noch Untote vorkommen. Das Schloss ist heute im Besitz der Familie Habsburg.
Bran ist die berühmteste der vielen Burgen in Siebenbürgen, einer Gegend in der man – anders als der Name vermuten lässt – mehr als sieben Burgen findet. In jeder Stadt und jedem Dorf gibt es eine Burg oder Kirchenburg. Als sich im 12. und 13. Jahrhundert die ersten deutschen Siedler in dieser Gegend niederließen, mussten sie sich vor vielen durchziehenden und plündernden Völkern schützen. Also befestigten sie ihre Kirchen, bauten Wehrtürme und gewaltige Mauern, um ihre Städte, in die sie sich bei Gefahr zurückziehen konnten. Über 100 befestigte evangelische Kirchen gibt es in Siebenbürgen, die meisten stammen aus dem 14. Jahrhundert. Einige wie Sigishora und Biertan stehen unter dem Schutz der Unesco, die meisten sind in schlechtem Zustand. Nur noch wenige Siebenbürger Sachsen sind in Rumänien zurückgeblieben, die sich um den Erhalt der Kirchen kümmern. Die deutschstämmigen Rumänen sind mit einem Anteil von weniger als zwei Prozent eine kleine Minderheit in dem Land – die aber noch immer großen Einfluss hat.
Ihr berühmtester Vertreter ist Klaus Iohannis, der im November zum rumänischen Präsidenten gewählt wurde. 14 Jahre lang hat er als Bürgermeister seiner Heimatstadt Sibiu (deutsch: Hermannstadt) gute Arbeit geleistet. Sibiu gilt als Vorbild für viele Städte in ganz Rumänien. Sie hat einen modernen Flughafen, ein gut ausgebautes Straßennetz und eine wunderschöne restaurierte Innenstadt. 2007 war Sibiu – zusammen mit Luxemburg – europäische Kulturhauptstadt. Eine Auszeichnung, die der Stadt sehr geholfen hat. Hier findet man nicht nur jede Menge Cafés, Restaurants, Kneipen und Bars, sondern auch ein abwechslungsreiches Kulturprogramm. Von April bis Oktober ist auf dem Platz vor dem Rathaus fast jeden Tag etwas los: Konzerte, Sportveranstaltungen, Modeschauen, Aufführungen. Die Stadt will ihren Besuchern etwas bieten.
So weit wie Sibiu ist Brasov noch nicht. Aber Bürgermeister und Stadtrat arbeiten daran. Ein Flughafen ist in Planung und auch die Restaurierung der Altstadt macht Fortschritte.
Tipps zum Trip
Information: Tipps für Reisen nach Rumänien gibt es beim rumänischen Tourismusamt in Berlin, Tel. (030) 30 60 26 46 22; Internet: www.rumaenien-tourismus.de Rumänien ist auch Partnerland bei der Urlaubsmesse CMT in Stuttgart vom 17. bis 25. Januar 2015.
Anreise: Viele Fluggesellschaften bieten Flüge nach Sibiu (Hermannstadt) an. Direktflüge von Stuttgart nach Sibiu gibt es bei der rumänischen Fluggesellschaft Blue Air (www.blueairweb.com) schon ab etwa 40 Euro. Wer die etwa 1300 Kilometer von Deutschland nach Rumänien mit dem eigenen Auto zurücklegen will, sollte mit einplanen, dass die Straßen in Rumänien nicht die besten sind.
Unterkunft: In Städten wie Sibiu und Brasov findet man Luxushotels, Hostels und Pensionen (Doppelzimmer ab 30 Euro) ebenso wie moderne Ferienwohnungen (ab zehn Euro). Ein Hotel mit langer Geschichte ist das Hotel „Römischer Kaiser“ (Imparatul Romanilor) in Sibiu. Rote Teppiche, Gold und zweistöckige Suiten im zweiten Stock erzählen von einer Zeit, in der hier wichtige Politiker und Schauspieler abgestiegen sind. Das Hotel mitten in der Altstadt ist schon etwas in die Jahre gekommen, aber trotzdem noch immer eine gute Adresse (Doppelzimmer ab 60 Euro).
Bären beobachten: Braunbären halten von November bis März Winterruhe. Tierbeobachtungstouren werden daher nur von April bis Oktober angeboten. Also: Rechtzeitig buchen, zum Beispiel über www.cntours.eu