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Venedig im Winter
Eine deutsch-venezianische Reise: Ein Ausflug in die kühl-neblige Lagunenstadt hat seine Vorteile. Denn wer die touristischen Hauptrouten verlässt, erlebt eine Stadt voller Überraschungen – und Widersprüche.
Markusplatz in Venedig       -  Nebelstimmung: Venedig im Winter – da hat die Lagunenstadt jenseits der Hauptsehenswürdigkeiten wie hier am Markusplatz weniger Touristen als im Sommer zu bieten.
Foto: Yasin Yildiz, Fotolia | Nebelstimmung: Venedig im Winter – da hat die Lagunenstadt jenseits der Hauptsehenswürdigkeiten wie hier am Markusplatz weniger Touristen als im Sommer zu bieten.
Von unserer Mitarbeiterin Katrin Fischer
 |  aktualisiert: 30.09.2016 03:49 Uhr

Eine lange Autobrücke führt in die Lagunenstadt, sie heißt „Brücke der Freiheit“. Doch diese Stadt ist alles andere als frei. Im Sommer gehört sie den Touristen, die in Massen über die Gassen und Kanäle herfallen. Einzig im Winter wird es etwa ruhiger. Von der Via Liberta aus sehen Besucher ein düsteres Venedig, umhüllt von Nebel, der so dicht ist, dass er die Grenzen zwischen Festland und Meer verschwimmen lässt.

Auf Venedigs berühmter Rialto-Brücke mitten im Zentrum ist freilich vom ruhigen Weiß am Stadtrand nichts mehr übrig. Hier wuseln auch im Winter jede Menge Menschen um die Souvenirstände. Zwischen ihnen schlängelt sich Enrico hindurch. Er vermietet ein paar Zimmer an Touristen und nennt sich den „besten Gastgeber“ der Stadt. Enrico holt Gäste ab – zwei aus München angereiste Studentinnen. Nahe der Rialto-Brücke liegt die Wohnung, die er den beiden Frauen für ein Wochenende vermietet.

Auf dem golden glänzenden Biedermeier-Sofa im kleinen Wohnzimmer klappt er einen Stadtplan aus und zeichnet einen Kreis um den zentralen Stadtteil San Marco: „Hier solltet ihr auf keinen Fall essen. Zu teuer. Zu viele Touristen.“ Stattdessen macht er etwas weiter abgelegen vom Canal Grande zwei Kreuzchen. Eines für das beste Pasta- und eines für das beste Fisch-Restaurant. Im Hinausgehen gibt er den Münchnerinnen noch einen Ratschlag: „Verirrt euch in Venedig!“ Selbst ihm passiere das noch. Es sei das Allerschönste.

Ein überflüssiger Hinweis. Zweimal abgebogen – und schon ist die Orientierung weg. Einige der Sträßchen sind menschenleer. Ein Anblick, den Touristen im Massenansturm des Hochsommers nur in Ausnahmefällen erleben. In dieser ruhigen Gegend nahe des jüdischen Bezirks, wo im 16. Jahrhundert Europas erstes Getto abgesperrt wurde, ist ein Eingang hell erleuchtet. Er führt in ein Restaurant, das uriger nicht aussehen könnte: rötliche Backsteinmauern, ein Kamin und zwei spielende kleine Katzen. Um 18 Uhr ist noch nicht viel los. Die Kellnerin ist kühl und eilig, einen einzigen freien Tisch gibt es in der Mitte. An den übrigen Tischen kleben Zettel: „Riservato“.

Der große Mittel-Tisch füllt sich mit deutschen Touristen, die es gewohnt sind, früh zu Abend zu essen. Ein Paar aus Rosenheim kommt mit den Frauen aus München ins Gespräch. Seit Jahren reist das Paar nach Venedig – immer im Winter. Die beiden mögen es, wenn weniger los ist, wenn der Steinboden nicht so heiß und das Wasser klar und geruchlos ist. Am nächsten Tag wollen sie einen kleinen Familienbetrieb besuchen, der besonders schöne Mosaike kreiert. Einen Laden oder so etwas wie Öffnungszeiten gibt es nicht, sie wollen sich telefonisch anmelden. Ihr ganz spezieller Venedig-Urlaub, so sagen sie am Touri-Tisch, soll sich von den Erfahrungen jährlich etlicher Millionen Touristen abheben. Gegen 21 Uhr, als die Deutschen das Lokal verlassen, sind die reservierten Tische voll besetzt mit Menschen, die sich grüßen, kennen, mit dem Personal schäkern. Italiener, Venezianer. Sie sind von jetzt an unter sich.

Enrico will seinen Gästen nun die Bar eines Freundes zeigen. Dort können sie für zwölf Euro eine Weinprobe mitmachen – mit so viel Wein und Käse, wie sie wollen. Die Bar liegt am Campo San Bortolomio, wo tagsüber Shoppingketten ihre Türen öffnen. Silberne Barhocker, neonpinke Beleuchtung – kuschelig-gemütlich ist das nicht. Aber Enrico schwärmt vom Wein, den der Barbesitzer selbst auf seinem Weingut herstellt. Die beiden Venezianer empfehlen einen prickelnden Weißen.

Während Enrico an seiner Zigarette zieht, erzählt er von „seinem“ Venedig. Wo Wein, Käse und Brot das Größte sind und Touristen, die die Stadt im Wasser für „Italiens Disneyland“ halten, verächtlich belächelt werden. Auch wenn die Stadt doch von ihnen lebt. Ein Widerspruch? Nicht für Enrico. Er will aus seinen Gästen die etwas anderen Venedig-Besucher machen: die, die den Markus-Platz nicht am Tag unter Tausenden, sondern nachts fast allein besuchen.

Tags darauf heißt es Bummeln durch die endlosen Gassen der Stadt. Die Münchnerinnen landen an einer der Attraktionen, die im Internet als Geheimtipp angepriesen werden: am angeblich schönsten Buchladen der Welt. Luigis Laden wurde von der BBC mit diesem Titel gekürt. Das erzählt der Besitzer stolz jedem, der zur Tür hereinschneit. Ob man nun nach dem Preis eines Buches fragt oder einfach nur bezahlen will – Luigi zieht an seiner Zigarette und berichtet von der BBC. Die Gestaltung seines Ladens hat ihn ganz offensichtlich viel Mühe gekostet. Er hat alte Boote und Kronleuchter aufgehängt und in einem kleinen Hof eine Treppe aus Büchern aufgebaut, die für Besucher die optimale Foto-Kulisse bietet. Schnell mal ein Treppen-Selfie – das ist garantiert ein Venedig-Bild der anderen Art. Egal ob im Sommer oder im Winter.

Venedigs „bester Gastgeber“ läuft am Abend noch mal zu Hochform auf. Er nimmt seine Gäste aus München mit zum Geburtstag eines Freundes. Es geht um ein paar Ecken in eine schäbige Kneipe. Hinter der Theke steht ein Mann mit Partyhut und pustet in eine Tröte. Das Geburtstagskind arbeitet und schenkt Wein aus. Gleich auch den Venezianerinnen, die in der Bar einen Junggeselinnen-Abschied feiern. Sie kreischen, er trötet, Konfetti fliegt, der Wein fließt.

Unter den feiernden Venezianern fallen die Studentinnen auf. Sie sind die einzigen Touristen in der Bar. „Bist du Deutsche?“, fragt eine junge Italienerin und beginnt dann eifrig zu erzählen. Sie kann deutsch, kommt aus Bozen, studiert inzwischen in Venedig. Ihre Schwester lebt in München. „Wir können uns ja mal treffen?“ Mit einem breiten Lächeln speichert sie die Nummer der neuen Bekannten ins Handy. Dann aber geht's schnell-schnell: „Jetzt muss ich leider los, zum Abendessen“, sagt sie und wirft ihre Zigarette weg. Die deutsche Venedig-Urlauberin blickt erstaunt auf die Uhr. Es ist schon 22 Uhr. Die Venezianerin reagiert gelassen: „Ich weiß, ich weiß, aber den Aperitif hatten wir jetzt ja schon.“

Tipps zum Trip

Anreise: Venedig wird auch von Fernbuslinien angefahren, zum Beispiel von Meinfernbus ab München. Die Fahrt dauert über sieben Stunden, ist mit Preisen ab 40 Euro aber günstig. Übernachten: In der Lagunenstadt gibt es viele junge Leute, die ihre Wohnungen als Unterkunft im Online-Kontakt-Portal Airbnb.de zur Verfügung stellen. Dort gibt es je nach Jahreszeit schon für 100 Euro pro Nacht Zimmer in zentraler Lage. Unterwegs: Wer mit einem Fernbus anreist, kommt am Halteplatz Tronchetto an. Von dort fährt kein Linien-Bus, sondern ein Linien-Boot in die Innenstadt. Es gibt nur ein Tages-Ticket für 7,50 Euro, doch zumindest einmal sollte man in die gelben Linien-Boote gestiegen sein – obwohl dort auch im Winter Gedränge herrscht. FOTO: Katrin Fischer

Hinweis der Redaktion: Unsere Autoren reisen gelegentlich mit Unterstützung von Fremdenverkehrsämtern und Tourismusunternehmen.

 
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