Das kommt nun wirklich überraschend: eine fast schon comic-hafte Welt von Fratzen, Sagentieren und Bibelmetaphern an den Säulen im Kreuzgang eines katalonischen Klosters. Stundenlang könnte man sich an diesem Ort der frommen Einkehr in die Abbildungen handwerklichen Könnens, menschlicher Schwächen, närrischer Spiele oder biblischer Weisheiten versenken und darüber sinnieren. So viel Zeit haben wir nicht. Aber auch ein kurzer Rundgang durch den Kreuzgang des Klosters Santes Creus reicht, um der Fantasie Schwingen zu verleihen. Schließlich haben wir mit Knut Schwinzer einen Kenner der Szenerie an der Seite. Der vor 15 Jahren vom deutschen Schwaben ins spanische Katalonien umgesiedelte Fotograf hat sich ein schier unerschöpfliches Wissen über die Zisterzienser und insbesondere über das von ihnen im 12. Jahrhundert erbaute Kloster Santes Creus angeeignet. Selbst das ebenso geschickt wie verdeckt gemachte „Selfie“ des damaligen Baumeisters entgeht unseren Augen so nicht.
Die Enthaltsamkeit der Zisterzienser spiegelt sich auch in ihren Bauten
Schon zuvor hat uns eine Multivisionsschau ein fundiertes Bild von dem Orden gegeben, den der französische Abt Bernhard von Clairvaux gegründet hat. Jetzt tauchen wir endgültig ein in den Geist der Zisterzienser. Enthaltsamkeit etwa spiegelt sich auch in der Architektur ihrer Bauten. Sie stammen aus der Zeit, als die Könige von Aragón das sogenannte „Neue Katalonien“ von den Mauren aus Al-Andalus eroberten und den Zisterziensermönchen durch Gründung neuer Klöster die Besiedelung der neu erworbenen Gebiete ermöglichten.
Bis zu 400 Mönche – deshalb auch der riesige Schlafsaal mit fast 50 Metern Länge und zehn Metern Breite – sorgten für ein umtriebiges Leben innerhalb und außerhalb der Klostermauern. Noch heute zeugen der elegante Kapitelsaal und die mächtige Kirche von der einstigen Bedeutung des Klosters. Mit Peter III. und Jakob II. sind auch zwei Könige von Aragón in dieser Kirche bestattet. Wobei die Öffnung des Sarkophags von Peter III. vor gut fünf Jahren eine echte Überraschung zu Tage förderte und einen weiteren Beweis dafür lieferte, wie findig und praktisch veranlagt die Zisterziensermönche damals waren: Der 1285 gestorbene Peter III.
war ein großgewachsener Mann und der Sarkophag nicht lang genug für seinen Leichnam. Also hackte man dem toten König einfach die Beine ab und legte sie neben den Körper in den Steinsarg. Wenn das damals bekannt geworden wäre . . .
Doch der Lauf der Geschichte machte vor den Mönchen von Santes Creus nicht halt. Die letzten von ihnen mussten im Zuge der Säkularisierung 1835 das Kloster verlassen, danach machten Plünderungen den Gebäuden zu schaffen. Nach sorgsamer Restaurierung erfreuen sie jetzt nicht nur Besucher, sondern geben auch eine schöne Kulisse für sommerliche Konzerte ab. Klösterliches Leben gibt es in Santes Creus nicht mehr. Ganz im Gegensatz zu Poblet und Vallbona des les Monges, beide gut 30 Kilometer von Santes Creus entfernt und ebenso im eine Autostunde von Barcelona entfernten Hinterland von Tarragona gelegen. Tourismusmanager haben die drei Zisterzienserklöster im Jahr 1989 zur „Ruta del Cister“ (Route der Zisterzienser) zusammengefügt, um Menschen ein Angebot zu machen, die Ruhe, Einkehr und Kultur suchen.
Das 1151 gegründete Poblet ist das größte, prächtigste und berühmteste von ihnen, zugleich das besterhaltene Zisterzienserkloster des Abendlandes. Seit 1991 wird es in der Liste der Weltkulturerbestätten der Unesco geführt. Dieses über 800 Jahre erhalten gebliebene Kloster am Fuße der Berge der Serra de Prades hat seinen Ruhm von der Grablege der Könige von Aragón. Acht Regenten mit ihren Frauen sind in der imposanten, dreischiffigen Klosterkirche bestattet. Hinzu kommen noch die Gräber von elf Äbten aus der Zeit von 1393 bis 1693. In der Amtszeit dieser elf Äbte erlebte das Kloster seine besten Jahre. Wie in Santes Creus wurden die Mönche 1835 vertrieben, gut 100 Jahre später bezogen italienische Zisterzienser Poblet aber wieder. Heute leben etwa 30 Mönche hinter den bis zu zwei Meter dicken Mauern.
Wo einst 300 Nonnen beteten, treffen sich heute gerade mal acht zur Komplet
Beim Besuch von Poblet fühlt man sich bisweilen wie in einen Ritterfilm versetzt, denn das Kloster mutet an wie eine mittelalterliche Burg. Gleichwohl fügen sich seine dicken und langen Mauern aus Sandstein perfekt in die sanftwellige Landschaft. Die Klosterbrüder haben den Spagat zwischen uralt und modern geschafft und ein angenehmes Gästehaus mit 42 Zimmern auf dem Anwesen erschaffen. Es ist der ideale Ort für einen spirituellen Rückzug oder Ausgangspunkt für Wanderungen.
Zum Beispiel zum nur fünf Kilometer entfernten Castell de Riudabella. Dieser ehemalige römische Landhof diente in kriegerischen Zeiten oft als Schutzburg und befindet sich seit 1840 in der jetzt siebten Generation in Privatbesitz – mit hundert Hektar Wald und Weinbergen sowie einer privaten Kapelle. Geführt wird das Kastell seit einigen Jahren von einer deutschen Pharmazeutin namens Martina, die sich 1996 als Au Pair in den Herrn des Hauses verliebte. Nun gibt es dort nicht nur einen guten Tropfen zu kaufen, sondern auch Appartements mit herrlichem Blick zu mieten und die Möglichkeit, Feste im ungewöhnlichen mittelalterlichen Rahmen und mit außergewöhnlichen Gerichten wie einer 24 Stunden lang im Holzofen gegarten Wildschweinkeule zu feiern.
Von Poblet aus gelangt man zu Fuß in sechs Stunden zum letzten der drei Klöster nach Vallbona de les Monges. Seit 1175 leben dort in ländlicher Umgebung Nonnen – ohne Unterbrechung. Bis zu 300 sollen es zu Hochzeiten gewesen sein, als die Äbtissin zugleich Herrin der Grafschaft Vallbona war.
Heute sind es gerade mal acht – und das trapezförmig mit vier Galerien angelegte Kloster strahlt trotz seines Architektur-Wirrwarrs zwischen zisterziensischer Romanik und später Gotik einen derart intimen Charakter aus, dass kaum vorstellbar erscheint, dass hier einst Hunderte Töchter bedeutsamer Adelsfamilien beteten.
Jetzt finden die acht verbliebenen Nonnen jeden Abend beim Singen der Komplet den Weg zu Gott. Dieser Sprechgesang beendet das Tagwerk und rüstet für die Nacht. Einfache, melodische Weisen hallen durch die Kirche, und beim Zuhörer stellt sich so etwas wie innere Ruhe ein. Wer sich in einem der schlichten Gästezimmer eingemietet hat, kann später beim Abendessen noch einmal einen kleinen Einblick in das abgeschiedene Leben der frommen Damen bekommen.
Neben eher spirituellen Erfahrungen bietet die „Ruta del Cister“ auch jede Menge nachhaltiger weltlich-sinnlicher Erlebnisse. Zum Beispiel in Valls. Die 25 000-Seelen-Stadt gilt als Wiege der „Castells“, der Menschentürme. In atemberaubender Geschwindigkeit und Höhe türmen sich dabei Dreier- oder Vierergruppen von Menschen auf bis zu neun Stockwerke auf.
Bereits seit 1801 wird dieser außergewöhnliche Turmbau zu Valls praktiziert, zwei rivalisierende Vereine treiben sich zu immer neuen Höchstleistungen an. Der offizielle Weltrekord wurde vom Verein „Colla Vella dels Xiquets de Valls“ im Jahr 2015 bei einer China-Reiser aufgestellt: ein Dreier-Menschenturm über neun Ebenen. Bei inoffiziellen Wettkämpfen sollen sich laut Klub-Boss Roger Montalo Menschen sogar schon über elf Ebenen aufgetürmt haben. Allerdings lässt einen bereits ein im Training mir-nichts-dir-nichts aufgestellter sechsstöckiger Vierer-Menschenturm das Herz höher schlagen. Im Jahr 2017 wird in Valls ein Museum zum Thema „Castells“ eröffnen und tiefe Einblicke in die Kunst des menschlichen Turmbaus gewähren.
In Montblanc ist die Stadtmauer mit ihren 30 Türmen bestens in Schuss
Von den Aufregungen beim Körperschichten lässt es sich bestens beim Besuch einer der zahlreichen Weinkooperativen in der Drei-Klöster-Region erholen.
Häufig stehen die bis zu zehn Meter hohen Bottiche dieser „Vinicolas“ in architektonisch faszinierenden Gebäuden, die meist von Jüngern des Architekten und Künstlers Antonio Gaudi geplant und mithilfe der Dorfbevölkerung erstellt wurden und fantastische Blicke auf die einzigartige katalonische Spitzbogentechnik ermöglichen. Derlei Kostbarkeiten stehen zum Beispiel in Nulles (Cooperativa Adernats) oder in Sarral (Cooperativa Portell) – und ausgezeichnete Weine oder Cavas lassen sich bei dieser Gelegenheit auch noch probieren und genießen.
Apropos genießen: Das Hinterland von Tarragona, also die Provinzen Altcamp, Conca de Barbera und Urgell, zeichnet sich durch eine Vielzahl von Restaurants mit exzellenter heimischer und bezahlbarer Küche aus. Ein Kleinod ist das „Fonda Cal Colon“ in Montblanc, eine der ältesten Gaststätten Kataloniens. Wobei ein Besuch des im 12. Jahrhundert gegründeten Montblanc sowieso Pflicht ist.
So litt die im Mittelalter mit 20 000 Einwohnern siebtgrößte Stadt Iberiens (jetzt leben 7000 Menschen dort) zwar häufig unter Kriegswirren, aber die 1500 Meter lange, mit 30 Türmen garnierte Stadtmauer wurde dabei nie zerstört und ist bestens in Schuss. Zudem ist das direkt am 104 Kilometer langen Wanderweg der „Ruta del Cister“ gelegene Montblanc der perfekte Ausgangspunkt für einen Ausflug in die noch recht wilden Berge der Serra de Prades, wo es sich so wunderbar von den Früchten des „Matrono“ naschen lässt. Dieser mannshohe Strauch wird von den Einheimischen Erdbeerbaum genannt, und wer seine tiefroten Beeren in den Mund nimmt, meint eine in Zitronensaft getauchte Erdbeere zu schmecken – und erlebt schon wieder etwas wirklich Überraschendes.
Tipps zum Trip
Hinweis der Redaktion: Unsere Autoren reisen gelegentlich mit Unterstützung von Fremdenverkehrsämtern und Tourismusunternehmen.