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Sankt Patricks grüne Insel
In Irland: Die Iren sehen Gesetze gerne nicht allzu streng. Die Verehrung ihres Nationalheiligen dagegen stellen sie nicht infrage. Die Spuren des christlichen Missionars finden Pilger überall im Land – eingebettet in eine herrliche Natur.
Sankt Patricks grüne Insel
Michael Mößlein
 |  aktualisiert: 26.04.2023 21:52 Uhr

Martin Brathnach lässt seine rechte Hand so schnell in dem kleinen Hohlraum in der Kaminmauer verschwinden, dass der Beobachter es kaum wahrnimmt. Im selben Moment hält er eine Flasche mit kristallklarem Inhalt in der Hand, während seine linke Hand das kleine Holzbrett, das die Lücke in der Wand vor neugierigen Blicken schützt, wieder an seinen Platz zurückschiebt. Während der Ire mit den schlohweißen Haaren den Inhalt der Flasche in kleine Gläschen füllt, macht sich ein Grinsen in seinem Gesicht breit. Diese verschwörerisch wirkende Prozedur bereitet ihm sichtbar Freude.

Dabei hätte er die Geheimniskrämerei gar nicht nötig. Zumindest nicht hier, in dieser Hütte im hügeligen Connemara, am westlichsten Zipfel der irischen Insel. Hier oben über den moorigen Heide- und Grasflächen, in diesem wildromantischen Landstrich ist die Hand des Gesetzes weit weg. Niemand schert sich darum, dass der alte Farmer den Touristen, die ihn neugierig beäugen, gerade etwas Verbotenes anbietet: Potcheen. Die private Herstellung des Gersten-Schnapses ist seit 1760 verboten, weil er mehr Alkohol enthält als Whiskey. Einzelne Marken haben 90 Volumenprozent. Der Potcheen von Martin Brathnach, den er schwarz gebrannt hat, bringt es auf 72 Prozent. Und er rinnt überraschend glatt die Kehle hinunter. Der Schwarzbrenner versteht sein Handwerk, wie viele seiner Landsleute, für die die Potcheen-Brennerei eine Art Hobby geworden ist.

Der Trinkspruch, den der Ire parat hat, klingt auf den ersten Blick unfreundlicher, als er gemeint ist: „Here's to those who wish us well, as for the rest, they can go to hell!“ – was in etwa meint: Wir trinken auf die, die uns gut gesonnen sind, die anderen sollen sich zum Teufel scheren! Iren lassen sich eben ungern vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. Auch nicht von Gesetzen, die sie für unsinnig halten, was, zugegeben, eines gewissen Charmes nicht entbehrt.

Ausgeprägter Nationalstolz

Das mag auch daran liegen, dass die Bewohner der grünen Insel einen ausgeprägten Nationalstolz haben. Jahrhundertelang galt ihr Land als ein Armenhaus Europas. Allein in den 1840er Jahren starben über eine Million Iren den Hungertod, nachdem eine grassierende Kartoffelfäule große Teile der Ernten vernichtet hatte. Nicht ohne Grund wanderten im 19. Jahrhundert viele Iren in die USA aus, um in der neuen Welt ihr Glück und ein besseres Leben zu finden. Die, die blieben, lernten, sich mit wenig zurechtzufinden.

Seit dem Jahr 1949 ist Irland – bis auf den weiter zu Großbritannien gehörenden Norden der Insel – eine unabhängige Republik. Dass Irland trotz Hungersnöten und Jahrhunderten englischer Besatzung, blutigen Konflikten zwischen Katholiken und Protestanten und der Finanzkrise 2008, deren Folgen das Land bis heute stark belastet, als Nation besteht, ist – da sind sich die Iren sicher – der schützenden Hand eines Mannes zu verdanken, der vor über 1550 Jahren starb: Sankt Patrick. Dessen Verehrung ist den 4,6 Millionen Insulanern quasi ins Blut gegeben. Dem Nationalheiligen werden fabelhaft anmutende Wunderkräfte zugeschrieben, und es gibt kaum einen Flecken auf der Insel, an dem er nicht gewirkt haben soll. Dabei ist Patrick weder Ire gewesen noch der erste christliche Missionar auf der Insel, stellt Tim Campbell fest, der Leiter des Sankt-Patrick-Centers im nordirischen Downpatrick. Hier, im Südosten Nordirlands, sind die Spuren, die auf Patrick verweisen, besonders dicht gesät. In der Stadt Armagh gibt es sogar zwei dem Nationalheiligen geweihte Kathedralen: eine katholische und eine evangelikalische.

Wahrscheinlich wurde der Heilige um das Jahr 400 als Jugendlicher in seiner englischen Heimat als Sklave gefangen und nach Irland verkauft. Er konnte fliehen, wanderte durch ganz Europa und kehrte nach Irland zurück, um hier im Namen des christlichen Glaubens zu missionieren – eine Aufgabe, die vor ihm noch keiner geschafft hatte. Unweit von Downpatrick weihte er eine Scheune, die ihm geschenkt wurde, zur ersten Kirche Irlands. Heute steht dort eine kleine Saul-Kirche, die aber erst 1932 entstand, zur Feier des 1500. Jahrestags der Ankunft Patricks auf der Insel. Der Heilige wurde 76 Jahre alt. Er starb im Jahr 461, am 17. März, der weltweit – nicht nur von Iren – als Sankt-Patricks-Day gefeiert wird. Wo Patrick begraben ist, ist nicht genau bekannt. Vermutlich liegen seine Überreste bei der Kathedrale in Downpatrick, berichtet Tim Campbell, während er einen Gedenkstein aus Granit zeigt, der den schlichten Schriftzug „Patrick“ trägt. Der Stein liegt unweit der Kathedrale und ist das Ziel vieler Pilger.

Wer in Irland zwischen den in zig Schattierungen von grün schimmernden Wiesen und abwechslungsreichen Landschaften Patricks Spuren suchen möchte, für den hat unter anderem das Bayerische Pilgerbüro Angebote im Programm. Die Diözese Würzburg gehört zu den „Besitzern“ des Münchner Reiseveranstalters. Wer möchte, kann sich aber auch auf eigene Faust auf den Patrick-Trail begeben, der zu Stationen führt, die mit dem Heiligen in Verbindung gebracht werden – was nicht sonderlich schwer ist, heißt es in Irland doch, dass es unmöglich ist, einen Stein zu werfen, ohne eine Stelle zu treffen, an der Patrick nicht gewirkt haben soll.

Wolfgang Bischof, Weihbischof von München und Präsident des Bayerischen Pilgerbüros, erklärt sich den Aufwind, den Pilgerreisen allgemein seit Jahren erfahren, mit einer Sehnsucht der Menschen nach Entschleunigung und mit der Suche nach Werten. Dies gelte auch für junge Menschen „und nicht nur für kreuzfromme Katholiken“. Wer sich auf Pilgerreisen einlasse, ist Bischof überzeugt, werde auf diesen Wegen etwas erleben.

Besondere Berührpunkte mit der christlichen Vergangenheit Irlands bilden neben den Kirchen und Kathedralen die zahlreich erhaltenen frühchristlichen Stätten. Die wohl berühmteste unter ihnen ist die Anlage von Clonmacnoise. Sie liegt in der Mitte der Insel, direkt am Shannon, dem längsten Fluss Irlands. Die Klosteranlage reicht bis in die Mitte des 6. Jahrhunderts zurück und war eine frühchristliche Bildungsstätte und Schule, die Männer und Frauen zugleich bewohnten. Berühmt ist Clonmacnoise vor allem wegen seiner steinernen Hochkreuze, die kunstvoll gearbeitete Reliefs mit biblischen Szenen tragen.

Während in Clonmacnoise die im Freien stehenden Hochkreuze durch Duplikate ersetzt worden sind und die Originale in einem angrenzenden Museum wettergeschützt stehen, ist Monasterboice im Nordosten der Republik Irland, nahe der Grenze zu Nordirland, eine Klosterruine aus dem frühen 6. Jahrhundert, in der drei Sandsteinkreuze aus dem 9. Jahrhundert im Original stehen. Das sechseinhalb Meter hohe Westkreuz ist das größte in Irland. Wie in Clonmacnoise steht dort ein 35 Meter hoher Rundturm. Dessen Steine sind ohne Mörtel aufeinandergeschichtet – und halten bis heute.

Tipps zum Trip

Anreise: Aer Lingus (www.aerlingus.com), Irlands nationale Fluggesellschaft, fliegt wöchentlich 69 Mal von deutschen Flughäfen (unter anderem Frankfurt, Stuttgart, München) nach Dublin. One-Way-Tickets gibt es ab 50 Euro. Informationen: Irlands Tourismus-Information, Gutleustraße 32, 60329 Frankfurt; Tel. (069) 66 80 09 50, Internet: www.ireland.com Speziell für Pilger-, Studien- und Wanderreisen: Bayerisches Pilgerbüro, Dachauer Straße 9, 80335 München; Tel. (089) 5 45 81 10; Internet: www.pilgerreisen.de; Preisbeispiel: achttätige Pilgerreise „Irland – Insel der Mönche und Heiligen“ ab 1200 Euro. Titanic-Museum: 100 Jahre nach dem Untergang des legendären Luxusliners eröffnete im Jahr 2012 im Hafen von Belfast, dort, wo das Schiff vom Stapel lief, das Titanic-Museum. Es beherbergt die größte (und sehenswerte!) Ausstellung zur Schiffslegende – vom Bau bis zum Untergang. Informationen im Internet: www.titanicbelfast.com. Guinness-Brauerei: Über die 250 Jahre alte Geschichte des bekanntesten Biers Irlands, das Guinness, informiert die Brauerei direkt auf ihrem 24 Hektar großen Gelände in Dublin. Zwei Millionen Liter Bier werden dort pro Tag gebraut. Im obersten Stockwerk des in Form eines Pint-Glases errichteten Storehouses erhält der Besucher ein frisch gezapftes Guinness – und einen Rundumblick auf die irische Hauptstadt. Informationen im Internet: www.guiness-storehouse.com (dort können zum Teil auch vergünstigte Eintrittskarten gebucht werden).

 
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