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VISTHUS
Norwegische Abenteuer in der Stille
In Norwegen: Vor den schroffen Küsten verbirgt sich der Schatz des Meeres: Fisch. Der bestimmt nicht nur das Leben der Einheimischen, sondern zieht auch Besucher an.
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Foto: Augsburger
Von Christian Gall
 |  aktualisiert: 27.04.2023 07:30 Uhr

Es ist ruhig im Fjord. Die Geräuschkulisse besteht aus dem sanften Platschen der Wellen, die gegen das Boot schlagen. Dem Rauschen des nahen Wasserfalls, der über den Fels ins Meer stürzt. Und dem gelegentlichen Kreischen der Möwen, die von den Anglern im Boot ein Mittagessen erwarten. Die heben und senken im ruhigen Rhythmus ihre Angelruten, genießen die Stille. Langsam auf, schnell ab. Langsam auf, schnell ab. Wie eine Meditationsübung. Bis ein Ruck durch eine der Ruten geht. Etwas hat angebissen. Die Rute biegt sich durch, die Spitze zeigt im 90-Grad-Winkel hinab ins tiefe Wasser. Etwas Großes! Die Ruhe ist vergessen, Adrenalin schießt ins Blut. Die nächsten Minuten entscheiden, ob der Fisch auch wirklich im Boot landet.

Ruhe und Abenteuer wechseln sich im Vistenfjord ab. Der Meeresarm liegt in der norwegischen Region Nordland, rund 90 Kilometer südlich des Polarkreises. Etwa 80 Menschen leben entlang des 22 Kilometer langen Fjords. Die meisten von ihnen im Dorf Visthus, das zugleich das touristische Zentrum der Region ist. Wobei „Zentrum“ hoch gegriffen ist. Während der Saison von Ende März bis Anfang Oktober sind zeitgleich höchstens 40 Touristen in dem kleinen Ort – die Zahl bleibt also überschaubar. Die meisten Besucher kommen im „Rorbucamping“ unter – Ferienhäuser, die von Hilde Pedersen vermietet werden. Der Name „Rorbucamping“ bedeutet übersetzt etwa „Siedlung von Fischerhütten“. „Viel Zeit verbringen die Gäste aber nicht in den Häusern“, sagt Hilde. Sie wollen aufs Wasser. Wegen der Fische.

Das Wasser ist so klar, dass man problemlos den Grund erkennt

Auf dem Angelboot neigt sich der Kampf mit dem Fisch dem Ende zu. Meter für Meter kurbelt der Angler einen goldbraun schimmernden Fisch an die Wasseroberfläche. Ein Dorsch, der wohl typischste Meeresbewohner Norwegens. Mit einem kräftigen Ruck landet der Fisch im Boot – etwa zwölf Kilo bringt er auf die Waage. Noch auf dem Wasser wird er filetiert, um die Reste kümmern sich die Möwen, die sich mit gierigen Schreien auf jeden kleinen Fetzen stürzen.

Einem Angler bieten sich rund um Visthus optimale Bedingungen. Der Fjord und die vorgelagerten Inseln bremsen den Wind, das Meer liegt meist ruhig da. Das Wasser ist so klar, dass man noch in fünf Metern Tiefe problemlos den Grund erkennt. Hilde erzählt, dass vor einigen Jahren sämtliche Fjorde Norwegens auf ihre Wasserqualität getestet wurden – der Vistenfjord war der sauberste. Und ein weiterer Punkt ist entscheidend: Es gibt dort keinen kommerziellen Fischfang. Denn der Meeresboden ist so bergig und zerklüftet wie das Land an der Oberfläche. Steil abfallende Kanten und der ungleichmäßige Untergrund machen das Fischen mit Grundnetzen unmöglich. Außerdem ist der Fjord Teil eines Naturparks – große Trawler dürfen ihre Netze dort nicht auswerfen. Daher beherrscht im Vistenfjord die Angelrute die Fischerei.

Zurück ins Boot. Auch wenn der Dorsch groß ist – im Vergleich zu den echten Giganten ist er nur ein Zwerg. Der dickste Fisch in Norwegen ist der Heilbutt. Exemplare von 20 Kilogramm werden regelmäßig gefangen. Einen Rekordfisch hat vor Jahrzehnten Hildes Bruder Leif Konrad Pedersen gefangen. Gewicht: 165 Kilo. Den Fisch musste er am Boot festbinden, ans Ufer schleppen und mit einem Traktor aus dem Wasser ziehen. Die Lokalpresse hatte damals über seinen Fang berichtet. Ein Exemplar der Ausgabe hat er noch in einer Schublade liegen.

Über einem Makrelenschwarm haben Angler im Minutentakt Erfolg

Kleinere, dafür umso lebendigere Beute findet der Angler in der Makrele. Der Fisch, in Norwegen rund 40 Zentimeter groß, lebt in großen Schwärmen. Die gilt es zu finden. Angler kennen die unverkennbaren Zeichen: Gruppen von winzigen Fischchen, die in ihrer Flucht vor den Makrelen einige Zentimeter weit aus dem Wasser springen. Und eine große Schar kreischender Möwen, die sich die flüchtenden Fischchen von der Wasseroberfläche schnappen. Wer es schafft, sein Boot über dem Schwarm in Stellung zu bringen, zieht im Minutentakt Fische an Land. Bei ruhiger See kann man den Fischen sogar beim Jagen zusehen. Die metallisch schimmernden, getigerten Körper schießen regelrecht durch das Meer und erwecken die Illusion, das Wasser würde unter dem Boot kochen.

Für die Bewohner des Vistenfjords gehören Fische und Angeln fest zum Leben. Jede noch so kleine Pause wird genutzt, um mal schnell vom Booten die Angel auszuwerfen. Ronald Bjoru, dessen Schafe über die Wiesen von Visthus wandern, packt standardmäßig eine Angelrute auf sein Boot, wenn er auf Erledigungen unterwegs ist. „Im Nordosten steht das alte Haus meiner Mutter, zu dem ich manchmal fahre. Auf dem Rückweg ist eine schöne Stelle für Makrelen“, erzählt er. Allerdings lässt er sich bei so einem Trip nicht allzu viel Zeit: „Nach 20 Makrelen mache ich immer Schluss.“

Ronald ist aber nicht nur mit dem Meer vertraut. Jedes Jahr ab Ende Oktober durchstreift er den Fjord auf der Jagd nach Elchen. Von denen gibt es viele im Vistenfjord; die Regierung legt Abschussquoten fest, damit der Bestand nicht zu groß wird. Typisch für Norweger: Ronald verschwendet nichts von seiner Beute. Das beweist ein Blick in seine gut gefüllte Gefriertruhe – darin stapeln sich die Fleischstücke. Einige in Portionsgröße für die Pfanne, andere in der Größe eines Schuhkartons. Und in den Lücken dazwischen steckt gefrorener Fisch. Ronalds Familie versorgt sich, wie viele andere Bewohner des Ortes, zu einem großen Teil selbst mit Lebensmitteln. Wenn er mehr Auswahl will, schaut er bei Hilde vorbei, die einen Laden in ihrer Touristensiedlung hat. Meistens kauft er dort aber nur Eiscreme.

Angeltouristen können sich im Vistenfjord ebenfalls problemlos selbst mit Fisch versorgen. Außerdem dürfen sie ihre Beute mit nach Hause nehmen – allerdings nur eine bestimmte Menge. Aktuell liegt die bei 20 Kilogramm pro Person. Und das auch nur, wenn der Urlauber nachweislich in einer Unterkunft war, die im norwegischen Fischereidirektorat registriert ist. Hildes Rorbucamping gehört dazu.

Ihren Reichtum an Fischen haben die Norweger schon vor Jahrhunderten mit anderen Ländern geteilt. Im Winter verließen die Männer ihre Dörfer, um zu den Lofoten zu segeln, wo im März der Dorsch seinen Nachwuchs bekommt. Die Massen an gefangenem Fisch wurden getrocknet, über Handelsrouten nach Südeuropa verschifft und dort unter dem Namen Bacalao verkauft. In Portugal und Spanien gehört Trockenfisch bis heute zur typischen Landesküche – der meiste davon stammt noch immer aus Norwegen.

Bei der Anzahl an Freizeitanglern, die nach Visthus kommen, muss auch niemand einen Rückgang der Bestände im Meer fürchten. „Fisch haben wir genug für alle“, meint Hilde dazu. Bereits seit 1992 kommen Urlauber in den Fjord. Probleme hat es Hilde zufolge dadurch noch nie gegeben. „Die Bewohner freuen sich eher, dass bei uns ein bisschen mehr los ist“, sagt sie. Immerhin ist die Bevölkerungszahl überschaubar – vor allem im Winter. Wenn die Sonne nur für rund fünf Stunden ein dämmriges Licht spendet, ziehen einige Bewohner für ein paar Monate in südlichere Gebiete.

Dabei ist auch der Winter beeindruckend in Norwegen. Ronald Bjoru bekommt dann immer Besuch von seiner Tochter, die inzwischen in Australien wohnt. Manchmal zwar auch im Sommer, immer aber zur Weihnachtszeit. „Ich liebe den Winter hier“, sagt sie. Das Licht tauche dann alles in einen ganz besonderen Schein, den man sonst nirgendwo sieht. Und natürlich ziehen dann auch die Polarlichter mit einem grünen Leuchten über den Himmel.

Besucher kommen allerdings kaum im Winter nach Visthus. Die Temperaturen von wenigstens minus 15 Grad sind zwar noch gemäßigt, doch die meisten Leute kommen im Sommer, wenn die Sonne den ganzen Tag lang scheint und die Temperaturen bei bis zu 30 Grad liegen. „Zum Angeln kann man aber eigentlich immer kommen“, sagt Hilde Pedersen. Der Winter sei sogar die erfolgreichste Zeit im Jahr, da dann die Dorsche nicht nur auf den Lofoten, sondern auch im Vistenfjord den ganzen Tag jagen.

Im Vistenfjord gibt es viel tierisches Leben

Aber Fischen ist nicht alles, was den Vistenfjord ausmacht. Wer die Augen von der Spitze seiner Angelrute weg über die Landschaft schweifen lässt, sieht an jeder Ecke die Schönheit Norwegens. Schroffe Felsen und blühende Wiesen. Schneebedeckte Berge in der Ferne. Das Meer, das sich mal fast schwarz, mal azurblau zeigt. Im Fjord streifen regelmäßig Schweinswale umher, die sich manchmal neugierig bis auf wenige Meter an ein Boot heranwagen. Am Himmel kreisen neben den Möwen auch Adler, die ab und zu von den Bergrücken bis hinab ins Wasser stoßen, um einen Fisch zu fangen. Und über die Wiesen und Felder streifen am frühen Morgen Rentiere und Elche. In der Stille hier tummelt sich Leben – über und unter der Wasseroberfläche.

Tipps zum Trip

Anreise: Flüge über Trondheim nach Bronnoysund oder Sandnessjoen, danach weiter mit Bus bzw. Taxi und Fähre. Die Anreise vom Zielflughafen aus sollte von einem Ortskundigen organisiert werden, etwa dem Vermieter.

Unterbringung In Visthus im Rorbucamping, vereinzelt gibt es Ferienhäuser und -wohnungen in der Umgebung, etwa in Vevelstad oder Stokkasjoen oder weiter entfernt in Bronnoysund oder Sandnessjoen.

Mobilität Ein Boot ist das flexibelste Fortbewegungsmittel. Allerdings ist für einige ein Sportbootführerschein Pflicht. Kleinere Boote mit maximal acht Metern Länge und höchstens 25 PS dürfen auch ohne Führerschein gefahren werden.

Weitere Informationen unter www.visthus.com

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