Mehr als 200 Neuerscheinungen von großer Bandbreite: Der Frankfurter Buchmessen-Ehrengast Finnland findet bei deutschen Verlagen ein so großes Interesse wie wenige andere Gastländer zuvor. Eine kommentierte Auswahl aus der Belletristik:
Holmström, Johanna: Asphaltengel, Ullstein Verlag, Berlin, 400 Seiten, 12,99 Euro: Der Vater kommt aus dem Maghreb, die finnische Mutter konvertiert zum Islam, die Töchter lieben die weltlichen Vergnügen. Finnland hat zwar wenige Muslime – doch das Thema Migration ist dem Land nicht ganz fremd. Johanna Holmström liefert einen ungeschminkten Bericht aus Parallelwelten, rasant erzählt und mit lakonischem Unterton. Ein Buch aus der Perspektive von jungen Frauen, die nicht nur Objekt sein wollen.
Itkonen, Juha: Ein flüchtiges Leuchten, Verlag Droemer Knaur, München, 544 Seiten, 19,99 Euro: Ein Familienroman über mehrere Generationen hinweg ist ein Großprojekt. Juha Itkonen beschreibt zugleich, wie sich aus finnischer Sicht die globalen Veränderungen seit 1945 spiegeln. Im Zentrum des kurzweiligen Romans steht ein Selfmademan. Der Rundfunkgerätehändler ist ein glühender Anhänger der USA, kommt aber mit seiner Familie nicht klar.
Kettu, Katja: Wildauge, Galiani Verlag Berlin, 416 Seiten, 19,99 Euro: Mit der Liebesgeschichte zwischen einer finnischen Hebamme und einem SS-Offizier 1944 in Lappland hat Katja Kettu in Finnland für Furore gesorgt. Auch wegen der drastischen Sprache mit teils wenig bekannten finnischen Worten, die die Übersetzerin vor Probleme stellten. Kettu kann sich auf Aufzeichnungen ihrer Großmutter stützen. Literarisch bewegt sich das Buch allerdings stellenweise am Rande eines Groschenromans.
Liksom, Rosa: Abteil Nr. 6, DVA München, 224 Seiten, 14,99 Euro: Eine schräge Geschichte: Eine schweigsame finnische Studentin reist 1986 in den Zeiten der alten Sowjetunion mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau in die Mongolei – mit einem trinkfesten und gewalttätigen Russen im Abteil. Und doch entwickelt sich zwischen beiden eine besondere Beziehung. Stimmungsvoller Roman – zugleich auch etwas wie ein Spiegel der schwierigen Beziehung zwischen beiden Ländern.
Lundberg, Ulla-Lena: Eis, mare Verlag Hamburg, 528 Seiten, 24 Euro: Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg kommt ein junger Pfarrer auf eine abgelegene Schären-Inselgruppe. Der hoch motivierte Novize merkt, dass dort nicht alles so idyllisch ist wie gedacht. In ruhigen und einfühlsamen Worten erzählt Lundberg den Alltag auf der Insel mit all den Rivalitäten und Verstrickungen. Oksanen, Sofi: Als die Tauben verschwanden, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 432 Seiten, 19,99 Euro: Estland zur Zeit der Besetzung durch Nazi-Deutschland. Der Kollaborateur Edgar dient sich den Besatzern an, seine Frau Juudit verliebt sich in einen SS-Offizier. Nach dem Krieg macht Edgar nahtlos Karriere bei den neuen sowjetischen Herren. Sofi Oksanen, der Popstar der finnischen Literatur, vermengt im neuen Roman die große Politik mit Themen wie Liebe, Verrat und Intrigen. Melodram unter Kitschverdacht.
Siekkinen, Raija: Wie Liebe entsteht, Dörlemann Verlag Zürich, 176 Seiten, 16,90 Euro: Die finnische Alice Munro: In zehn Kurzgeschichten geht es immer um Frauen. Eine muss sich mit ihrem untreuen Mann auseinandersetzen, eine andere ist Opfer einer Vergewaltigung geworden. Atmosphärisch dichte Erzählungen. Siekkinen, in Deutschland nahezu unbekannt, ist 2004 bei einem Wohnungsbrand im Schlaf ums Leben gekommen.
Södergran, Edith: Ich selbst bin Feuer. Briefe und Gedichte gelesen von Meriam Abbas, BuchKunst Kleinheinrich, Münster, CapBox mit Booklet und 1 CD, 15 Euro: Helsinki war nach dem Ersten Weltkrieg Zentrum einer kleinen literarischen Avantgarde. Dazu gehörte die finnlandschwedische Lyrikerin Edith Södergran, die aber bereits 1923 im Alter von 31 Jahren starb. Ihre großartigen Gedichte, von Experten gerühmt, sind auf der neuen CD zu entdecken.
Teir, Philip: Winterkrieg, Blessing Verlag München, 384 Seiten, 19,99 Euro: Den Winterkrieg haben die Finnen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gegen die Sowjetunion verloren. Bei Philip Teir geht es um einen Ehekrieg in der gehobenen Mittelschicht. Paul, verheiratet und Vater zweier erwachsener Töchter, ist Universitätsprofessor und lässt sich mit einer früheren Studentin ein. Seine Frau schlägt zurück. Kluger unterhaltsamer Familienroman, zwischen Helsinki und London angesiedelt.
Westö, Kjell: Das Trugbild, btb München, 416 Seiten, 19,99 Euro: Westö, literarischer Chronist von Helsinki, ist für seine treffenden Milieustudien bekannt. Im neuen Roman kehrt er zum Vorabend des Zweiten Weltkriegs zurück. Auch in Finnland gibt es 1938 viele Sympathien für den Faschismus. Ein Anwalt verweigert sich und wird Opfer eines Verrats. Eine gut erzählte Geschichte.